OLG Frankfurt vom 13.11.2008 (3 UF 10/08)

Stichworte: Befristung, Begrenzung, Lange Ehedauer, Aufstockungsunterhalt, ehebedingte Nachteile;
Normenkette: BGB 1573, 1578b
Orientierungssatz:
  • Eine Befristung des Aufstockungsunterhaltsanspruchs nach § 1578 b Abs.2 BGB n.F. erfolgt nicht bei einer Ehe, die bis zur Trennung der Parteien 25 Jahre, bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens mehr als 26 Jahre und bis zur rechtskräftigen Scheidung 28 Jahre gedauert hat und aus der vier Kinder hervorgegangen sind, wegen deren Betreuung die unterhaltsberechtigte Ehefrau ca. 20 Jahre nicht berufstätig war.
  • Solche Umstände führen in der Regel zu der Schlussfolgerung, dass eine Ehefrau, die ihre Schulausbildung mit dem Abitur abgeschlossen und außerdem eine Sprachschule besucht hat, erhebliche ehebedingte Nachteile in ihrer beruflichen Karriere erlitten hat, insbesondere wenn sie nach der Scheidung nur als ungelernte Pflegekraft arbeitet.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    U R T E I L

    In der Familiensache

    hat der 3. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Grabowski, den Richter am Oberlandesgericht Reitzmann und die Richterin am Oberlandesgericht Menz auf die Berufung des Antragstellers vom 10.01.2008 gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Friedberg vom 20.12.2007 im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 23.10.2008 für Recht erkannt:

    Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die teilweise Erledigung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin in Höhe monatlicher Unterhaltszahlungen von 396 EUR für die Zeit bis September 2008 einschließlich festgestellt wird.

    Der Antragsteller hat die Kosten der Berufung zu tragen.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Berufungswert: 7.331 EUR

    Gründe:

    Die Parteien haben am 18.07.1980 geheiratet. Zu diesem Zeitpunkt war die Antragsgegnerin 20 Jahre alt. Aus der Ehe sind die Kinder X., geb.am 1985, Y., geb. am 1988, V.., geb. am 1989 und Z., geb. am 1994 hervorgegangen.

    Die Antragsgegnerin hat die Schule mit dem Abitur abgeschlossen. Danach hat sie noch eine Ausbildung als Fremdsprachenkorrespondentin absolviert und später als Sekretärin in einer Bank gearbeitet. Ihre Berufstätigkeit hat sie wegen der Betreuung der Kinder aufgegeben.

    Seit März 2005 leben die Parteien getrennt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Antragsgegnerin aus dem ehelichen Haus, das im Alleineigentum des Antragstellers steht, ausgezogen.

    Nach der Trennung hatte die Antragsgegnerin Einkünfte aus wechselnden Tätigkeiten, die aber in der Regel nicht vollschichtig waren. Zurzeit arbeitet sie halbschichtig als Stationshilfe und erzielt netto monatlich 617 EUR.

    Die beiden Söhne Y. und V.. sind inzwischen extern untergebracht. Für V.. zahlt der Antragsgegner monatlichen Unterhalt von 186 EUR.

    X. und Z. leben beim Antragsteller. Es ist nicht bekannt, ob X. arbeitet und ob er eigene Einkünfte hat.

    Das Amtsgericht hat den Antragsteller mit dem angefochtenen Verbundurteil verurteilt, an die Antragsgegnerin monatlichen nachehelichen Unterhalt in Höhe von 611,50 EUR zu zahlen.

    Gegen diesen Teil des Urteils hat der Antragsteller Berufung mit der Begründung eingelegt, die Antragsgegnerin sei vollschichtig erwerbspflichtig und - -fähig und könne für ihren eigenen Unterhalt sorgen. Er beantragt,

    das angefochtene Urteil bezüglich des Ausspruchs zum Unterhalt abzuändern und die Unterhaltsklage abzuweisen.

    Die Antragsgegnerin hat zuletzt mit Schriftsatz vom 30.09.08 beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen und das angefochtene Urteil abzüglich monatlich gezahlten Unterhalts von 396 EUR aufrechtzuerhalten.

    Sie behauptet, gesundheitlich nicht in der Lage zu sein, vollschichtig zu arbeiten. Zurzeit sei sie lediglich halbschichtig in der Diakonie tätig. Der Arbeitsvertrag mit dem Betreuungsservice " Sonnenstrahl" sei ihr aus betriebsbedingten Gründen zum 30.09.08 gekündigt worden.

    Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Der Antragsgegnerin steht nach dem bisherigen beiderseitigen Parteivortrag mindestens ein Aufstockungsunterhaltsanspruch in der zuerkannten Höhe von 611,50 EUR zu (§ 1573 Abs.2 BGB). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie gesundheitlich in der Lage wäre, vollschichtig zu arbeiten. Selbst wenn man ein Einkommen aus einer Ganztagestätigkeit unterstellte, ergäbe sich immer noch ein Unterhaltsanspruch, der den ausgeurteilten Betrag überschreitet. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Antragsgegnerin kein Einkommen zugerechnet werden kann, das den Nettobetrag von 1.091 EUR überschreitet. Legte man nämlich fiktiv das Doppelte ihres derzeitigen Bruttoeinkommens bei der Diakonie, d.h. 1.556 EUR, zu Grunde, so ergäbe sich folgende Berechnung:

    Bruttolohn:1.556,00 EUR

    Lohnsteuer: -141,50 EUR

    Solidaritätszuschlag -7,78 EUR

    Rentenversicherung (19,9 %) -154,82 EUR

    Arbeitslosenversicherung (3,3 %) -25,67 EUR

    Krankenversicherung AN-Anteil (13,9 % / 2 + 0,9 %) -122,15 EUR

    Pflegeversicherung (AN-Anteil 0,85 %)-13,23 EUR

    Nettolohn: 1.090,85 EUR

    abzüglich pauschaler berufsbedingter Aufwendungen -54,54 EUR

    unterhaltsrechtliches Einkommen 1.036,00 EUR

    Unter Berücksichtigung dieses fiktiven Einkommens ergäbe sich ein Unterhaltsanspruch von 668 EUR.

    ( wird ausgeführt)

    Der Wert des Wohnvorteils wird - wie im erstinstanzlichen Urteil - auf mindestens 675,00 EUR geschätzt. Bei einem Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 135 qm erscheint das als angemessen. Der Antragsteller hat die Annahme dieses Wohnwerts auch nicht mehr mit seiner Berufung angegriffen.

    Das anrechenbare Einkommen des Antragstellers wird nicht durch eine gegenüber dem 23 Jahre alten Sohn X. bestehende Unterhaltpflicht reduziert. Diese hat der Antragsteller, der insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist - trotz ausdrücklicher gerichtlicher Anfrage - nicht dargelegt.

    Ebenso hat der Antragsteller nicht vorgetragen, dass er nach Rechtskraft der Scheidung noch Unterhaltsleistungen für den extern untergebrachten Sohn Y. aufbringen muss.

    Es ist nicht zu unterstellen, dass die Antragsgegnerin mit zumutbaren Anstrengungen mehr als 1.036 EUR als anrechenbares Nettoeinkommen erzielen könnte. Sie verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung und war so viele Jahre nicht berufstätig, dass es schon sehr zweifelhaft sein dürfte, ob sie - trotz ihres Alters und ihrer psychischen Labilität - überhaupt jemals in der Lage sein wird, Einkünfte in dieser Höhe aus einer vollschichtigen Tätigkeit zu erzielen.

    Eine Befristung des Unterhaltsanspruchs kam auch nach § 1578 b Abs.2 BGB n.F. nicht in Betracht. Die Ehe hat bis zur Trennung der Parteien 25 Jahre, bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens mehr als 26 Jahre und bis zur rechtskräftigen Scheidung 28 Jahre gedauert. Aus der Beziehung der Parteien sind vier Kinder hervorgegangen. Die Antragsgegnerin war wegen der Betreuung der Kinder ca. 20 Jahre nicht berufstätig. Im Jahr 2005 war sie zudem erheblich psychisch erkrankt. Ob diese Erkrankung noch besteht, ist unklar. Unter diesen Umständen ist das Fortbestehen eines Aufstockungsunterhaltsanspruchs nicht als unbillig anzusehen. Vielmehr waren die Parteien so lange miteinander verheiratet und durch die Geburt von vier Kindern wurden ihre Lebensverhältnisse so nachhaltig miteinander verwoben, dass es umgekehrt als unzumutbar anzusehen wäre, wenn der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin, befristet würde. Diese Umstände führen auch zu der Schlussfolgerung, dass die Antragsgegnerin, die ihre Schulausbildung mit dem Abitur abgeschlossen und außerdem eine Sprachschule besucht hat, erhebliche ehebedingte Nachteile erlitten hat. Wäre sie in der Lage gewesen, ihre Arbeit als Sekretärin mit fundierten Fremdsprachenkenntnissen fortsetzen zu können, spricht die Lebenserfahrung dafür, dass sie ein Einkommen hätte erzielen können, was weit über dem Verdienst liegt, den sie jetzt noch als ungelernte Kraft mit mehr als zwanzigjähriger Berufsunterbrechung erwirtschaften kann.

    Auch der Vorwurf des Antragstellers, die Antragsgegnerin kümmere sich nicht um die gemeinsamen Söhne der Parteien, kann keine Befristung bewirken. Dieser Vortrag ändert nichts an der Feststellung, dass die Antragsgegnerin so erhebliche ehebedingte Nachteile erlitten hat, dass die Fortdauer des Aufstockungsunterhaltsanspruchs gerade nicht unbillig ist. Im Übrigen hat sie dargelegt, dass die Kinder den Kontakt verweigern, obwohl sie mehrfach versucht habe, einen Umgang wiederherzustellen.

    Der Antragsteller hat gleichfalls keine Umstände dargelegt, die zur ganzen oder teilweisen Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin führen. Er hat zwar behauptet, sie habe seit mehr als zwei Jahren eine Beziehung zu einem anderen Mann, mit dem sie ihre Freizeit verbringe. Die Antragsgegnerin hat auch das Bestehen einer Fernbeziehung zugestanden, aber weiter ausgeführt, dass sie mit diesem Mann nicht zusammenlebe und weder eine häusliche noch eine wirtschaftliche oder ähnliche Gemeinschaft bestehe. Allein das Bestehen einer Freundschaft zu einem anderen Mann nach der Trennung der Ehegatten stellt noch keine verfestigte Lebensgemeinschaft i.S.d. § 1579 Nr.2 BGB und auch kein einseitiges Fehlverhalten i.S.d. § 1579 Nr. 7 BGB dar.

    Mit Schriftsatz vom 30.09.08 (Bl.196 d.A.) ist die Klage in der Hauptsache wegen monatlich erfolgter Unterhaltszahlungen in Höhe von 396 EUR für erledigt erklärt worden. Der Antragsteller hat sich dazu nicht geäußert. Da die Voraussetzungen des § 91 a Abs. 1 S.2 ZPO nicht vorliegen, ist über die Erledigung zu entscheiden. Diese ist festzustellen, weil der Unterhaltsanspruch vor Eintritt der Erfüllung begründet war.

    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO.

    Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§708, 713 ZPO.

    Die Höhe des Streitwertes bemisst sich nach § 42 Abs. 1 GKG.

    Die Revision gegen dieses Urteil ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht im Hinblick auf die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Zwar geht es hier um die Anwendung neuen Unterhaltsrechts. Es handelt sich aber nicht um einen rechtlich schwer einzuordnenden Grenzfall sondern um die rechtliche und tatsächliche Bewertung eines eindeutigen Einzelfalls, in dem solche Besonderheiten (besonders lange Ehe, lange Berufspause, vier Kinder und zwischenzeitliche erhebliche psychische Erkrankung) vorliegen, dass ähnliche Problemstellungen nicht in einer Vielzahl anderer Fälle zu erwarten sind. Deswegen ist die Zulassung auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

    Grabowski Reitzmann Menz