OLG Frankfurt vom 10.06.1999 (2 WF 85/99)

Stichworte: PKH, Abschluß des Verfahrens, Antragstellung, Fürsorgepflicht, Bewilligung, nachträgliche
Normenkette: ZPO 114 ff
Orientierungssatz: PKH auch nach Beendigung der Instanz, wenn der nicht anwaltlich vertretenen Partei unter Verletzung der Fürsorgepflicht kein Hinweis erteilt wurde.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 2. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter Schreiber und die Richter Krämer und Kirsch am 10. Juni 1999 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des Amtsgerichts Marburg vom 15. Dezember 1998 abgeändert.

Dem Beklagten wird für den ersten Rechtszug rückwirkend Prozeßkostenhilfe bewilligt.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

G r ü n d e :

Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß der Beklagte sein Vater ist, und zugleich seine Verurteilung zu Unterhalt beantragt. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 3. Dezember 1997 seine Vaterschaft angezweifelt. Er hat hierzu vorgetragen, er habe mit der Mutter des Klägers zweimal geschlechtlich verkehrt, und zwar einmal im Frühjahr und ein weiteres Mal am 18. Juli 1996. Deshalb komme er als Vater nicht in Betracht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 1998 hat das Amtsgericht die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen. Danach hat es entsprechend seiner Ankündigung mit Verfügung vom 9. Dezember 1997 die Einholung eines Blutgruppengutachtens angeordnet und den Beklagten darauf hingewiesen, daß die Blutentnahme unmittelbar im Anschluß an den Verhandlungstermin erfolgen soll. Das hiernach erstellte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Hilgermann vom 17. April 1997 kam zu der Feststellung, daß die Vaterschaft des Beklagten praktisch erwiesen sei.
BR Mit Schriftsatz vom 17. Juni 1998 teilte der Beklagte mit, daß er die Vaterschaft anerkennen werde. Dies geschah am 29. Juni 1998 vor dem Jugendamt der Stadt Hagen.

Nach Vorlage dieser Urkunde betrachtete das Amtsgericht den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Mit Beschluß vom 24. Juli 1998 hat es gemäß § 91 a ZPO die Kosten des Verfahrens dem Beklagten auferlegt. Diesen Beschluß hat der Beklagte unanfechtbar werden lassen. Nachdem er die Kostenrechnung über insgesamt 5.921,80 DM erhalten hatte (wovon allein 5.486,80 DM auf Sachverständigenentschädigung entfielen), beantragte er mit Schriftsatz vom 10. November 1998 beim Amtsgericht die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe.

Durch den angefochtenen Beschluß hat das Amtsgericht diesen Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, das Verfahren sei abgeschlossen; deshalb könne Prozeßkostenhilfe nicht mehr bewilligt werden.

Gegen diesen Beschluß wendet sich der Beklagte mit seiner am 2. März 1999 beim Amtsgericht eingereichten Beschwerde.

Diese ist gemäß § 127 ZPO zulässig und in der Sache auch begründet. Sie führt zu rückwirkender Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für den ersten Rechtszug.

Zwar kann nach Abschluß einer Instanz im allgemeinen Prozeßkostenhilfe nicht mehr beantragt werden, weil das Verfahren, für das Prozeßkostenhilfe bewilligt werden soll, bereits durchgeführt worden ist und die Parteien während des Verfahrens genügend Gelegenheit hatte, ein Prozeßkostenhilfegesuch anzubringen.

Nach Auffassung des Senates muß von diesem Grundsatz jedoch dann eine Ausnahme gemacht werden, wenn die allgemein anerkannte prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichtes insbesondere gegenüber der anwaltlich nicht vertretenen Partei einen Hinweis auf die Möglichkeit der Prozeßkostenhilfebeantragung erforderte (OLG Karlsruhe, FamRZ 1995, 1163). Bei Verletzung dieser Pflicht ist die Partei so zu stellen, als hätte sie einen Prozeßkostenhilfeantrag zu dem Zeitpunkt gestellt, zu dem de Hinweis frühestens hätte ergehen müssen.

Nach Auffassung des Senates hätte das Amtsgericht spätestens mit Verfügung vom 9. Dezember 1997, in der es auf die Notwendigkeit eines Gutachtens hingewiesen hat, den Beklagten auf die damit verbundenen erheblichen Kosten von über 5.000 DM (die Erfahrungswerten entsprachen und deshalb absehbar waren) sowie auf die Möglichkeit, Prozeßkostenhilfe zu beantragen, hinweisen müssen. Einiges sprach nämlich dafür, daß der Beklagte die Gutachterkosten voraussichtlich aus seinen Einkünften nicht würde aufwenden können. Wären dem Beklagten die zu erwartenden Kosten vor Augen geführt worden, hätte er möglicherweise auf die Einholung dieses Gutachtens verzichtet und seine Vaterschaft sofort anerkannt, oder aber unverzüglich Prozeßkostenhilfe beantragt. Deshalb waren richterliche Hinweise dieser Art auch im Hinblick auf den Zweck der Prozeßkostenhilfe, nämlich mittellosen Personen den Zugang zu den staatlichen Gerichten zu öffnen, geboten (vgl. zum Ganzen OLG Karlsruhe, FamRZ 1995, 1163).

Nach den Ausführungen des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 3. Dezember 1997 konnte auch die für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO) aus damaliger Sicht nicht verneint werden. Der Beklagte hat sich nämlich nicht darauf beschränkt, seine Vaterschaft pauschal zu bestreiten, sondern die Gründe für seine Zweifel daran, im einzelnen dargelegt.

Nach allem hat die Beschwerde Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf Nr. 1952 des Kostenverzeichnisses zu § 11 GKG, 127 Abs. 4 ZPO.

Schreiber Kirsch Krämer