OLG Frankfurt vom 07.09.2000 (2 WF 231/00)

Stichworte: Abänderungsklage, Bindungswirkung, Unterhaltsrichlinien
Normenkette: ZPO 323, 114
Orientierungssatz: Bei der Abänderung eines Titels kommt den von der Praxis entwickelten Unterhaltsrichtlinien, Tabellen, Verteilungsschlüsseln oder sonstigen Berechnungsmethoden keine Bindungswirkung zu.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 2. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter Schreiber und die Richter Krämer und von Lipinski am 7. September 2000 beschlossen:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des Amtsgerichts Kassel vom 31. Mai 2000 abgeändert.

Der Klägerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. XYZ. in Kassel Prozeßkostenhilfe auch insoweit bewilligt, als sie über die im Beschluß des Amtsgerichts Kassel vom 28.01.2000 erfolgte Bewilligung hinaus ab April 2000 weitere 69 DM monatlich nachehelichen Unterhalt fordert.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Durch Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 14.11.1991 - 72 F 126/90 - wurde der Klägerin ein monatlicher Unterhaltsanspruch in Höhe von 1.000 DM gegen den Beklagten zuerkannt. Dabei ging das Amtsgericht von einem bereinigten Nettoeinkommen des Beklagten in Höhe von 2.775 DM aus. Dies war nach den Ausführungen in dem vorgenannten Urteil 'gerade ausreichend, um den angemessenen Bedarf beider Parteien, der mit 1.400 DM zu veranschlagen ist, zu decken'. Abzüglich eines fiktiven Eigenverdienstes von 400 DM ermittelte das Amtsgericht den vorgenannten Unterhaltsbetrag von 1.000 DM.

Die Klägerin strebt nunmehr eine Abänderung des vorgenannten Unterhaltstitels an. Ihre Vorstellung war ursprünglich auf eine Heraufsetzung ihres Unterhaltsanspruchs auf 2.500 DM ausgerichtet. Nachdem ihr durch das Amtsgericht - bestätigt durch den Beschluß des Senats vom 10.04.2000 - 2 WF 79/00 - aber nur Prozeßkostenhilfe für einen Erhöhungsbetrag von 245 DM ab 01.04.1999 bis einschließlich Februar 2000 und von 379 DM ab März 2000 bewilligt worden war, hat sie mit Schriftsatz vom 09.05.2000 ihren Anspruch dem Umfang der Bewilligung angeglichen, allerdings unter Ziffer 3 ihres Klageantrags ab April 2000 eine Erhöhung auf 448 DM gefordert. Zur Begründung hat sie ausgeführt, daß ihr bis einschließlich März 2000 Arbeitslosengeld in Höhe von 635 DM im Monat gezahlt worden sei. Ab April 2000 erhalte sie nur noch Arbeitslosenhilfe in Höhe von 566 DM monatlich. Da sich ihr Anspruch auf 3/7 vom Einkommen des Beklagten, also 2.014 DM, erstrecke, ergebe sich nach Abzug von 566 DM ein Erhöhungsbetrag von 448 DM. Auch insoweit hat sie Prozeßkostenhilfe beantragt. Ihr Antrag wurde durch Beschluß des Amtsgerichts vom 31.05.2000 zurückgewiesen. Auf die Begründung dieser Entscheidung wird zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die erneute Beschwerde der Klägerin, die an ihrem zu Ziffer 3 angekündigten Klageantrag festhalten möchte.

Die Beschwerde ist gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Das Amtsgericht hat im angefochtenen Beschluß ausgeführt, daß in dem abzuändernden Urteil davon ausgegangen werde, daß der Klägerin nur der angemessene Mindestbedarf zustehe, der seinerzeit 1.400 DM betragen habe. Ihr Anspruch könne deshalb heute nicht über 1.800 DM hinausgehen, den Betrag, der jetzt als angemessener Mindestbedarf gelte. Damit hat das Amtsgericht offensichtlich eine Überlegung aufgegriffen, die der Senat in seinem Beschluß vom 10.04.2000 angestellt, aber nicht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat. Tatsächlich ist es nicht eindeutig, ob nach dem Urteil vom 14.11.1991 definitiv davon ausgegangen werden kann, daß der Klägerin stets nur der angemessene Mindestbedarf zustehen soll. Die rechtliche Bindung des Abänderungsrichters an die Grundlagen des Ersturteils erfaßt nur solche unverändert gebliebenen tatsächlichen Verhältnisse, die der Richter im früheren Verfahren festgestellt und denen er Bedeutung für die Unterhaltsberechnung beigelegt hat. Dazu kann der konkret ermittelte Lebensbedarf oder die Anrechnung bzw. Nichtanrechnung von bestimmten Einkommensanteilen gehören. Dagegen kommt den von der Praxis entwickelten Unterhaltsrichtlinien, Tabellen, Verteilungsschlüsseln oder sonstigen Berechnungsmethoden keine ähnliche Bindungswirkung zu, weil sie keine beizubehaltenden Urteilselemente, sondern nur Hilfsmittel zur Ausfüllung der unbestimmten Rechtsbegriffe 'angemessener Unterhalt' oder 'Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen' sind (BGH FamRZ 94, 1101). Darum könnte es sich vorliegend handeln, denn das Amtsgericht hatte möglicherweise eine im Jahre 1991 gebräuchliche, aber jetzt nicht mehr verwendete Berechnungsmethode gewählt, ohne eine endgültige Begrenzung auf den (jeweils geltenden) angemessenen Mindestbedarf vornehmen zu wollen. Letztlich ist dies eine Frage, die nicht abschließend im PKH-Verfahren, sondern im Erkenntnisverfahren geprüft werden muß, weil dafür auch tatsächliche Fragen von Bedeutung sind. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob die der Klägerin gewährte Arbeitslosenhilfe überhaupt abzugsfähig ist, denn sie wird nur subsidiär geleistet.

Da es nach alledem nicht ausgeschlossen ist, daß die Klage in dem von der Klägerin vorgestellten Umfang Erfolg haben wird, war ihr in Abänderung des angefochtenen Beschlusses Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf Kostenverzeichnis Nr. 1952 zu § 11 Abs. 2 GKG, § 127 Abs. 4 ZPO.

Schreiber Krämer von Lipinski