OLG Frankfurt vom 24.08.2000 (2 WF 215/00)

Stichworte: Mangelfall, Bedarf, Mehrbedarf
Normenkette: BGB 1601, 1603
Orientierungssatz: Zur Berechnung eines Mangelfalls und Berücksichtigung von Mehrbedarf

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 2. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter Schreiber und die Richter Krämer und Kirsch am 24. August 2000 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 9. Mai 2000 abgeändert.

Dem Kläger wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt X., Z., zu den Bedingungen eines in Kassel ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

G r ü n d e :

Die Beklagten sind die Kinder aus der Ehe des Klägers mit Frau F., die seit längerem geschieden ist. Der Kläger ist inzwischen wiederverheiratet. Aus dieser Ehe sind die Kinder R., geb. am 4. Dezember 1995, und S., geb. am 3. Juni 1997, hervorgegangen.

Im Verfahren 73 F 1043/93, in dem die Beklagten zusammen mit ihrer Mutter den Kläger auf Unterhalt in Anspruch genommen hatten, hat sich der Kläger durch Vergleich vom 4. November 1993 verpflichtet, für die Beklagten ab 1. Dezember 1993 je 320 DM monatlich an Unterhalt zu zahlen. Die Mutter der Beklagten erklärte zugleich, dass sie Ehegattenunterhalt mangels Leistungsfähigkeit des damaligen Beklagten nicht geltend mache.

Im vorliegenden Verfahren verlangt der Kläger die Herabsetzung des nach dem Vergleich geschuldeten Unterhalts auf monatlich 246,94 DM für jeden der Beklagten ab 1. Februar 2000, und hat hierfür die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Er beruft sich darauf, dass sich nach seiner erneuten Eheschließung und der Geburt zwei weiterer Kinder seine wirtschaftlichen Verhältnisse erheblich verschlechtert hätten, so dass eine Abänderung des Vergleichs gerechtfertigt sei.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, bei einer Neuberechnung des Unterhaltsanspruchs ergebe sich eine Abweichung zugunsten des Klägers von nur 24 DM je Kind. Ein so geringer Betrag stelle keine wesentliche Veränderung dar, der die Abänderung gemäß § 323 ZPO rechtfertigen könnte.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er macht geltend, er müsse von seinen Einkünften Verbindlichkeiten bei der CC-Bank in Höhe von etwa 16.000 DM, bei der Kasseler Sparkasse in Höhe von etwa 18.000 DM und bei seinem Arbeitgeber in Höhe von etwa 4.000 DM zurückführen. Darüber hinaus sei sein Girokonto bei der Stadtsparkasse Grebenstein mit etwa 13.000 DM überzogen. Außerdem müsse er 321 DM im Monat für ein weiteres Darlehen an die Fa. Neckermann zahlen.

Die Beschwerde des Klägers ist zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg. Die Klage weist die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg auf.

Der den Beklagten gemäß den §§ 1601 ff. BGB zustehende Unterhaltsanspruch hat sich durch eine nachträgliche Veränderung der Verhältnisse verringert, so dass eine Abänderung des Unterhaltstitels in dem beantragten Umfang gerechtfertigt erscheint.

Das zwischen den Parteien unstreitige Nettoeinkommen des Klägers von durchschnittlich 3.597 DM, das sich aus der Verdienstbescheinigung für Dezember 1999 ergibt, ist um geschätzt 300 DM an Fahrtkosten auf 3.297 DM zu bereinigen. Darüber hinaus sind die Gewerkschaftsbeiträge in Höhe von 34 DM monatlich sowie für den Kredit bei der Kasseler Sparkasse monatlich 300 DM abzuziehen, so dass monatlich 2.963 DM verbleiben. Das Darlehen bei der früheren Kreissparkasse Kassel, bei dem es sich mangels näheren Vortrags des Klägers um das heute noch zu bedienende Darlehen bei der Kasseler Sparkasse handeln muss, beruhte, wie sich aus den Verfahrensakten 541 F 1043/93 - AG Kassel - ergibt, auf dem Darlehensvertrag über 20.000 DM, bei dem zum August 1993 ein Darlehensrest von 17.440,73 DM bestand, das wegen der Trennung des Klägers von seiner damaligen Ehefrau notleidend geworden war und nach Vereinbarung mit 300 DM monatlich zurückzuführen war. Da unklar ist, welcher Zinssatz vereinbart worden ist, spricht alles dafür, dass die Darlehensverbindlichkeit auch bei regelmäßiger Zahlung des Betrages von monatlich 300 DM noch nicht getilgt wäre. Anders verhält sich dies mit dem Kredit bei der CC-Bank, der durch Vertrag vom 16. April 1991 aufgenommen worden ist und einschließlich Zinsen eine Gesamtsumme von 34.034,80 DM umfasste. Bei pünktlicher Zahlung der vereinbarten Raten über 72 Monate wäre dieser Kredit bereits im Jahre 1997 erledigt gewesen. Vom Kläger konnte im Rahmen seiner gesteigerten Erwerbspflicht gemäß § 1603 Abs. 2 BGB erwartet werden, dass er alle verfügbaren Mittel einsetzen würde, dieses Darlehen vereinbarungsgemäß zu bedienen, zumal er bis Dezember 1995 nur den Beklagten gegenüber unterhaltspflichtig war. Das Arbeitgeberdarlehen, das mit monatlich 140 DM bedient wird und der Anschaffung eines Pkws gedient haben soll, ist unterhaltsrechtlich unbeachtlich. Es ist zinslos. Die monatlich gezahlten Beträge betreffen damit allein Tilgung und dürften daher im wesentlichen dem Wertverlust des angeschafften Fahrzeuges entsprechen, der bereits in den Fahrtkosten mit eingerechnet ist.

Diese machen nach Auffassung des Senats geschätzt 300 DM monatlich aus.

Damit stehen für Unterhaltszwecke nur (2.963 DM abzüglich Mindestselbstbehalt von 1.500 DM=) 1.463 DM zur Verfügung.

Hiervon hat der Kläger den Unterhalt seiner vier Kinder und seiner jetzigen Ehefrau, die wegen der Kinderbetreuung nicht erwerbstätig ist, zu bestreiten. Aus seinem Einkommen von 2.963 DM kann der Kläger den Bedarf dieser fünf unterhaltsberechtigten Personen nicht bestreiten, so dass eine Mangelbedarfsberechnung vorzunehmen ist. Von dem Einkommen in Höhe von 2.963 DM sind zunächst die Bedarfssätze für die vier Kinder in Höhe von insgesamt 1.572 DM abzuziehen, so dass 1.391 DM verbleiben. Auf dieser Grundlage errechnet sich für die jetzige Ehefrau des Klägers ein eheangemessener Bedarf von 3/7, nämlich 596 DM. Allerdings darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich der Wohnbedarf des Klägers durch die Neugründung einer Familie erhöht hat. Während die Tabellenbeträge für den Kindesunterhalt bereits den Wohnbedarf der Kinder enthalten, ist der Quotenunterhalt der Ehefrau angemessen zu erhöhen. Der Senat hält insoweit 80 % der im Mindestbedarfssatz von 1.500 DM enthaltenen Warmmiete von 650 DM für gerechtfertigt, nämlich 520 DM. Der Bedarf der jetzigen Ehefrau des Klägers beläuft sich damit auf 1.116 DM. Die Summe der Bedarfssätze macht (1.116 DM + 1.572 DM =) 2.688 DM aus. Für Unterhaltszwecke stehen jedoch nur 1.463 DM zur Verfügung. Der Bedarf aller Unterhaltsberechtigten kann damit nur zu 54,42 % gedeckt werden. Damit entfallen auf die Beklagten jeweils Beträge von 235 DM monatlich, so dass - vorbehaltlich der Klärung der Darlehensverbindlichkeiten des Klägers im Verfahren - vollen Umfangs Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.

Inwieweit weitere Verbindlichkeiten, nämlich wegen der Überziehung des Girokontos und der Bestellungen bei Neckermann, unterhaltsrechtlich bedeutsam sind, kann dahinstehen. Insoweit ist allerdings darauf hinzuweisen, dass diese Verbindlichkeiten zwar sämtlich nach Vergleichsabschluss entstanden sind, jedoch noch nicht dargelegt ist, inwieweit sie unterhaltsrechtlich überhaupt vertretbar waren. Gerade im Hinblick auf seine gesteigerte Unterhaltspflicht hätte es für den Kläger nahe gelegen, die Aufnahme weiterer Kredite möglichst zu vermeiden. Die Einkommensverhältnisse des Beklagten waren keineswegs so desolat, dass dies unmöglich gewesen wäre. Im übrigen standen ihm für die während seiner früheren Ehe aufgenommenen Verbindlichkeiten, für die auch seine frühere Ehefrau einzustehen hatte, möglicherweise Ausgleichsansprüche gemäß § 426 BGB zu. Anhaltspunkte dafür, dass die Geltendmachung solcher Ansprüche nicht erfolgversprechend wäre, bestehen nach dem bisherigen Vorbringen des Klägers nicht.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf Nr. 1952 des Kostenverzeichnisses zu § 11 Abs. 1 GKG, § 127 Abs. 4 ZPO.

Schreiber Kirsch Krämer