OLG Frankfurt vom 01.11.2000 (2 WF 122/00)

Stichworte: privilegierter Volljähriger Kindergeldanrechnung
Normenkette: BGB 1612b Abs. 5, 1603 Abs. 2 S. 2
Orientierungssatz: § 1612b Abs. 5 BGB ist dahin einschränkend auszulegen, daß im Falle des Volljährigenunterhalts eine Anrechnung des Kindergelds nur zugunsten des allein barunterhaltspflichtigen Elternteil erfolgt.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 2. Familiensenat in F. des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter Bielefeldt, Krämer und Kirsch am 1. November 2000 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des Amtsgerichts F. vom 22.April 1999 abgeändert.

Dem Kläger wird für den ersten Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwalt XX., F., Prozeßkostenhilfe bewilligt, soweit er Unterhalt für die Zeit vom 1.September 1998 bis zum 31.Dezember 1998 von monatlich 535 DM, für die Zeit vom 1.September 1999 bis zum 31. Dezember 1999 in Höhe von monatlich 120 DM und für die Zeit ab 1. Januar 2000 in Höhe von monatlich 100 DM geltend macht.

Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, jedoch ermäßigt sich die Beschwerdegebühr auf die Hälfte. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Kläger ist der Sohn des Beklagten aus dessen seit längerem geschiedener Ehe mit Frau X. Y.. Er lebt seit der Trennung seiner Eltern zusammen mit seiner Schwester R. Y., geboren am 24.November 1987, bei seiner Mutter.

Der Kläger besuchte bis Dezember 1998 die zweijährige Berufsfachschule der X.Y.-Schule in F.; er verließ sie ohne Abschluß. In der Zeit vom 3.Februar 1999 bis zum 26.April 1999 besuchte er das Abendgymnasium in F., erreichte aber ebenfalls wieder keinen Abschluß. Inzwischen hatte er sich entschlossen, die Schulausbildung zu beenden und den Beruf eines Kfz-Mechanikers zu erlernen. Im Mai 1999 absolvierte er ein Praktikum im Autohaus B. in F., wo er 315 DM netto monatlich erhielt. Ab 1.September 1999 hat er einen Ausbildungsplatz in der Kraftfahrzeugwerkstatt A. in F.. Dort erhielt er im ersten Lehrjahr 672,16 DM netto.

Der Beklagte war bis 31.März 1994 als Werksleiter bei der Firma D. tätig. Dort schied er gegen Zahlung einer Abfindung von 90.000 DM brutto aus. Seit dem 1.Mai 1994 ist er selbständig im Bereich Industrievertretungen tätig.

Die Mutter des Klägers war bis einschließlich September 1998 bei der X-klinik in F. beschäftigt und erzielte dort ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 2.827,08 DM. Ab September 1998 begann sie eine Fortbildung bei der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie, die auf die Dauer von zwei Jahren angelegt ist. Sie kündigte ihr Arbeitsverhältnis und nahm ab Oktober 1998 ein Halbtagsstelle bei der Firma XYZ- GmbH in F. an, wo sie monatlich 1.867,25 DM netto verdiente. Ab April 1999 war sie arbeitslos und erhielt Arbeitslosengeld zwischen 1.554 DM und 1.606 DM monatlich. Im Juni 1999 verdiente sie im Rahmen einer Aushilfstätigkeit in der X-klinik 3.495 DM netto, war im August 1999 wieder arbeitslos, verdiente im September 1999 bei der Firma V. in F. 2.491 DM netto und war im übrigen bis Jahresende arbeitslos. Seit Januar 2000 arbeitet sie als Sekretärin in einem Unternehmen in F. und bezieht monatlich 2.178 DM netto. Außerdem hat sie im Jahre 1999 aus selbständiger Tätigkeit 4.732 DM brutto erzielt.

Im vorliegenden Verfahren nimmt der Kläger den Beklagten auf Unterhalt ab August 1998 in Anspruch, und hat hierfür die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe beantragt. Er errechnet sich für die Zeit bis April 2000 einen rückständigen Unterhalt in Höhe von insgesamt 9.933 DM und für die Zeit danach laufenden Unterhalt in Höhe von monatlich 581 DM.

Durch den angefochtenen Beschluß hat das Amtsgericht die Prozeßkostenhilfe versagt, zunächst mit der Begründung, der Kläger habe zum Einkommen seiner Mutter nicht hinreichend vorgetragen, sodann mit der Nichtabhilfeverfügung damit, der Kläger könne schon deshalb keinen Unterhalt verlangen, weil er seine Ausbildung nicht zügig vorangetrieben habe.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.

Diese ist zulässig; in der Sache ist sie jedoch nur teilweise begründet.

Die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet nämlich nur in dem sich aus dem Tenor dieses Beschlusses ergebenden Umfang die für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe gem. § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.

In diesem Umfang steht dem Kläger gem. den §§ 1601 ff BGB gegen den Beklagten ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt zu. Der Senat geht hierbei davon aus, daß der Kläger bis Dezember 1998 gem. § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB einem Minderjährigen gleichsteht, weil die zweijährige Berufsfachschule der X.Y.-Schule auf der mittleren Reife aufbauend zum Fachabitur führt und damit als allgemeinbildende Schule anzusehen ist (vgl. Wendl/Staudigl/Scholz Rdn. 459 zu § 2). Deswegen errechnet sich der Unterhaltsbedarf des bei seiner Mutter lebenden Klägers nach der höchsten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle einschließlich des Volljährigenzuschlages unter Berücksichtigung des zusammengerechneten Einkommen beider Eltern.

Der Senat geht auch in diesem Verfahren davon aus, daß der Beklagte 1998 über monatlich durchschnittlich 3.393 DM verfügte, wovon die auf ein aus der früheren Ehe stammendes Darlehen zu zahlenden 983 DM monatlich abzusetzen sind, so daß bereinigt 2.410 DM monatlich verbleiben. Dieses Darlehn war erst im Februar 1999 getilgt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluß des Senats vom 11.August 2000 (2 UF 376/99 = 521 F 2556/98 AG F.) Bezug genommen. Die Mutter des Klägers verfügte in dieser Zeit über Einkünfte in Höhe von durchschnittlich etwa 2.250 DM aus abhängiger Tätigkeit. Dieses Einkommen ist um monatlich 190 DM an Studiengebühren und 300 DM monatlich für ein Darlehnsabtrag auf 1.760 DM monatlich zu bereinigen.

Warum die Mutter des Klägers für ihre Berufstätigkeit einen Pkw benötigt, ist nicht näher vorgetragen. Sie kann ihren Arbeitsplatz in der X.-Allee Allee von ihrer Wohnung aus ohne Mühe mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Hierfür sind 70 DM monatlich aufzuwenden, so daß Einkünfte von 1.690 DM monatlich verbleiben. Die weiterhin angeführten Kosten für Lehrmittel von 100 DM monatlich sind nicht näher aufgeschlüsselt und entziehen sich daher der Überprüfung. Die Summe der Einkünfte beider Parteien beläuft sich daher auf 4.100 DM. Dies ergibt nach der vom Senat für 1998 noch angewendeten Düsseldorfer Tabelle aus 1996 einen Volljährigen Unterhalt von 780 DM monatlich, an dem sich beide Elternteile im Verhältnis der 1.500 DM übersteigenden Einkünfte zu beteiligen haben. Dies sind bei der Mutter des Klägers 190 DM, beim Beklagten 910 DM. Der Beklagte hat damit 82,7 % des Bedarfs von 780 DM zu tragen, mithin 645 DM. Hiervon ist nach § 1612 b Abs. 5 BGB das hälftige Kindergeld von damals 110 DM in Abzug zu bringen, so daß 535 DM verbleiben.

Diesen Betrag kann der Kläger allerdings erst ab September 1998 verlangen, weil inzwischen unstreitig ist, daß der Beklagte für den Monat August noch 625 DM gezahlt hat und deshalb der Unterhaltsanspruch für diesen Monat erloschen ist.

Für die Zeit ab 1.Januar 1999 bis zum 31.August 1999 kann der Kläger jedoch keinen Unterhalt vom Beklagten verlangen. Zwar ist es aus unterhaltsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn der Kläger sich dafür entschlossen hat, eine Lehrstelle zu suchen, nachdem seine schulische Ausbildung, die auf das Abitur oder Fachabitur ausgerichtet war, offenkundig keinen Erfolg versprach. Für die Übergangszeit bis zum Antritt seiner Lehrstelle konnte von ihm allerdings erwartet werden, daß er sich eine Aushilfs- oder Teilzeitbeschäftigung suchte, die es ihm ermöglicht hätte, ggfs. in Verbindung mit dem Kindergeld, sofern bei Warten auf die Lehrstelle noch solches zu zahlen war - seinen Bedarf von 950 DM monatlich zu decken. Zu den Anstrengungen, die er während dieser Phase unternommen hat, hat er nichts vorgetragen. Es ist auch gerichtsbekannt, daß für junge Leute wie Schüler und Studenten auch im hiesigen Raum immer wieder Aushilfstätigkeiten angeboten werden, die, wenn auch einfachster Art und mäßig bezahlt immerhin ein monatliches Einkommen in der Größenordnung von 1.000 DM ergeben können. Es ist dem Beklagten aus unterhaltsrechtlicher Sicht nicht zumutbar, für diese Zeit der Untätigkeit dem Kläger Unterhalt leisten zu müssen.

Für die Zeit ab dem 1.September 1999 kann der Kläger noch geringfügigen ergänzenden Unterhalt fordern. Der Senat legt einen Bedarf von 950 DM zu Grunde. Hierauf ist vollen Umfangs und nicht nur zur Hälfte das Einkommen des Klägers als Auszubildender anzurechnen, nach Abzug der berufsbedingten Aufwendungen (vgl. hierzu III C Nr. 3 der Unterhaltsgrundsätze des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main - Stand 1.Juli 1999 -, abgedruckt in der Beilage zu Heft 34 der NJW 1999). Nach diesen Richtlinien ist die hälftige Anrechnung nur für minderjährige Kinder vorgesehen (III B Nr.3).

Das monatliche Einkommen des Klägers von 672 DM ist um Fahrtkosten von etwa 70 DM monatlich für eine Monatskarte im Ausbildungstarif auf 600 DM sowie um die geltend gemachten Kosten für Arbeitskleidung in Höhe von monatlich 20 DM auf letztlich 580 DM zu bereinigen. Diesen Bedarf hat der Beklagte allein abzudecken, weil die Mutter des Klägers nicht mehr zum Unterhalt herangezogen werden kann. Ihre monatlichen Nettoeinkünfte im Jahre 1999 von etwa 1.500 DM aus abhängiger Tätigkeit sowie geschätzte 200 DM monatlich aus selbständiger Tätigkeit sind um die Darlehensraten von 300 DM zu bereinigen. Auch ab 1. Januar 2000 verbleiben ihr bei einem Nettoeinkommen von monatlich 2.178 DM nach Abzug von angemessenen Fahrtkosten und den Darlehensraten nicht mehr als der angemessene Selbstbehalt von 1.800 DM, der ihr gegenüber dem volljährigen Kläger für die Zeit nach der allgemeinen Schulausbildung zusteht. Darüber hinaus wird allerdings im Prozeß selbst zu prüfen sein, ob sich der Beklagte aus unterhaltsrechtlicher Sicht die Einschränkung der Erwerbstätigkeit der Mutter des Klägers und das aufgenommene Studium entgegenhalten lassen muß. Ausgehend von einem Bedarf des Klägers von 950 DM verbleibt ein ungedeckter Bedarf von 370 DM monatlich. Hiervon ist das volle Kindergeld mit 250 DM für 1999 und 270 DM für 2000 in Abzug zu bringen. Zwar sieht nunmehr § 1612 b Abs. 5 BGB auch bei volljährigen Kindern die Anrechnung des hälftigen Kindergeldes erst nach Ermittlung des Bedarfs vor; deshalb kann im allgemeinen das Kindergeld nicht mehr als bedarfsdeckend in vollem Umfang abgezogen werden. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn ein Elternteil wie hier nicht zum Barunterhalt herangezogen werden kann. In diesem Falle erscheint es gerechtfertigt, zugunsten des verbleibenden barunterhaltspflichtigen Elternteils das volle Kindergeld zu berücksichtigen, denn der Unterhaltsberechtigte hat die Möglichkeit, gem. § 74 Einkommensteuergesetz die Auszahlung des Kindergeldes wegen Leistungsunfähigkeit des bezugsberechtigten Elternteils an sich zu verlangen.

Der sich hiernach errechnende Unterhaltsanspruch ist nicht verwirkt. Die Feststellung, der Kläger habe seine Ausbildung nicht so zielstrebig vorangetrieben, daß dem Beklagten nach § 1610 Abs. 2 BGB Unterhaltsleistungen nicht mehr zugemutet werden könnten, ist nicht gerechtfertigt. Der Kläger hat den Versuch unternommen, auf der Berufsfachschule das Fachabitur abzulegen. Dies mag letztlich nicht seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprochen haben, wie der Abbruch der Schulausbildung zeigt. Dem Kläger muß aber aus unterhaltsrechtlicher Sicht ermöglicht werden, durch den Schulbesuch selbst zu ermitteln, ob er den Anforderungen gewachsen ist. Dies darf zwar nicht unnötig verzögert werden, vielmehr kann erwartet werden, daß bei einem Scheitern alsbald die gebotenen Konsequenzen gezogen werden. Allerdings darf der Schüler auch eine einzelne Klasse durchaus wiederholen, ohne seinen Unterhaltsanspruch zu verlieren. Diese Orientierungsphase ist nach Auffassung des Senats jedenfalls nicht überzogen, wenn sie nicht mehr als zwei Jahre andauert (OLG Frankfurt, FamRZ 1994, 1611). Dem steht auch die im angefochtenen Beschluß erwähnte Entscheidung des Bundesgerichtshofes (veröffentlicht in FamRZ 1998, 671) nicht entgegen, die eine Ausbildungsunterbrechung von etwa drei Jahren nach jahrelangem erfolglosen Schulbesuch und den Beginn eines Studiums mit 27 Jahren betraf. Nachdem der Kläger feststellen mußte, daß er das Abitur nicht würde erreichen können, hat er sich zielstrebig um eine Lehrstelle bemüht und sie auch zum Beginn des nächsten Ausbildungsjahres gefunden. Er wird seine Lehre voraussichtlich mit 22 Jahren beenden. Wenn der Beklagte bis dahin noch geringfügigen ergänzenden Unterhalt zahlt, erscheint dies keineswegs unbillig.

Im Verfahren selbst wird zu prüfen sein, ob nicht im zweiten Lehrjahr, das soeben begonnen hat, eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, die den Bedarf des Klägers vollständig abdeckt, so daß möglicherweise ohnehin ab September 2000 die Unterhaltspflicht des Beklagten entfallen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, Nr. 1952 des Kostenverzeichnisses zu § 11 Abs. 2 GKG, 127 Abs. 4 ZPO.

Bielefeldt Kirsch Krämer