OLG Frankfurt vom 02.05.2000 (2 WF 105/00)

Stichworte: Kindesunterhaltsgesetz, Gerichtsstand, Vorrang
Normenkette: ZPO 642, 808, 767 Abs. 1, 797 Abs. 5, UVG 7
Orientierungssatz: Nach Auffassung des Senats hat jedoch dieser ausschließliche (§§ 808, 767 Abs. 1 ZPO)Gerichtsstand gegenüber dem durch das Kindesunterhaltsgesetz vom 6. April 1998 in § 642 ZPO eingeführten ausschließlichen Gerichtsstand des Wohnsitzes eines minderjährigen Kindes in allen Verfahren, die die Unterhaltspflicht betreffen, zurückzutreten.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 2. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter Schreiber und die Richter Krämer und Kirsch am 2. Mai 2000 beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß des Amtsgerichts Marburg vom 13. März 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

G r ü n d e :

Der Kläger ist der Vater des Beklagten; er war mit der Mutter des Beklagten zu keinem Zeitpunkt verheiratet.

Er errichtete am 11. Dezember 1990 vor dem Kreisjugendamt Marburg-Biedenkopf eine Urkunde, durch die er sich zur Zahlung von Kindesunterhalt für die Zeit vom 1. Oktober 1990 bis zum vollendeten 12. Lebensjahr des Beklagten in Höhe von 155 DM monatlich und in Höhe von 185 DM für die Zeit danach bis zum vollendeten 18. Lebensjahr verpflichtete. In der Folgezeit zahlte er diesen Unterhalt nur unregelmäßig. Er trat sowohl mit der Kindesmutter als auch dem Jugendamt Leipzig in Verhandlungen über eine Herabsetzung des Unterhaltes ein. Am 27. April 1999 errichtete er ebenfalls vor dem Jugendamt des Landkreises Marburg-Biedenkopf eine neue Unterhaltsurkunde, in der er sich für die Zeit vom 1. August 1993 an verpflichtete, einen Unterhaltsbetrag in Höhe von monatlich 109 DM zu leisten, den er inzwischen einschließlich der Rückstände gezahlt haben will sowie in Zukunft zu zahlen beabsichtigt.

Der Beklagte vollstreckt aus der Urkunde vom 11. Dezember 1990 in Höhe von insgesamt 458 DM für die Zeit vom 1. Juni 1999 bis zum 31. Januar 2000 und für die Zeit vom 1. Februar 2000 an laufend in Höhe von 185 DM monatlich. Der Beklagte hat sich die Vollstreckung wegen weiterer Rückstände für die Zeit vor dem 1. Juli 1999 vorbehalten.

Der Kläger wendet sich im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO gegen die Vollstreckung aus diesem Titel mit der Begründung, dieser sei durch die Urkunde vom 27. April 1999 aufgehoben, und er hat hierfür die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe beantragt.

Durch den angefochtenen Beschluß hat das Amtsgericht diesen Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, das Amtsgericht sei örtlich unzuständig, weil der Beklagte in Leipzig wohnhaft sei. Im übrigen habe die Vollstreckungsabwehrklage auch in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil die Jugendamtsurkunde vom 27. April 1999 auf greifbar gesetzwidrige Weise zustande gekommen und deshalb nichtig sei, da der Kläger Abänderungsklage gegen den Titel vom 20. November 1990 habe erheben müssen. Im übrigen sei die Klage gegen den Träger der Unterhaltsvorschußkasse zu richten, weil die Ansprüche nach § 7 UVG übergegangen seien.

Gegen diesen Beschluß wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, mit der er geltend macht, das Amtsgericht Marburg sei wegen des besonderen Gerichtsstandes der Vollstreckungsabwehrklage zuständig. Mit der Mutter des Beklagten sei im übrigen vereinbart, dass der Unterhalt rückwirkend auf 109 DM herabgesetzt werden sollte. Die neue Jugendamtsurkunde sei nur deshalb zustande gekommen, weil der Beklagte einen Vollstreckungstitel über den Betrag von 109 DM monatlich habe erhalten sollen, worauf seine Mutter bestanden habe.

Die Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Der beabsichtigten Rechtsverfolgung vor dem Amtsgericht Marburg fehlt die für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe gemäß § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hierbei kann dahinstehen, ob die Vollstreckungsabwehrklage sachlich gerechtfertigt ist, insbesondere ob der Vollstreckungstitel vom 11. Dezember 1990 wirksam durch nachträgliche Vereinbarung teilweise aufgehoben worden ist und deshalb aus ihm nicht mehr vollstreckt werden kann. Auch kann offen bleiben, inwieweit wegen der Rückstände bis zum 31. Mai 1999 noch eine Vollstreckung möglich ist, weil der titulierte Anspruch teilweise wegen Untätigkeit des Beklagten über Jahre hinweg wegen Verwirkung nicht mehr vollstreckbar ist.

Denn jedenfalls ist das Amtsgericht Marburg gemäß § 642 ZPO örtlich unzuständig und daher weder zur Entscheidung in der Hauptsache noch über die Prozeßkostenhilfe berufen.

Zum einen greift die Zuständigkeitsregelung des § 767 Abs. 1 ZPO, wonach die Vollstreckungsabwehrklage bei dem Prozeßgericht des ersten Rechtszuges zu erheben ist (wobei es sich nach § 802 ZPO um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt), schon deshalb nicht ein, weil der Titel, gegen den sich die Klage richtet, nicht in einem Urteil oder in einem gerichtlichen Vergleich besteht und schon deshalb in der Vergangenheit ein Prozeßgericht des ersten Rechtszuges mit der Angelegenheit nicht befaßt gewesen sein kann. Zwar wäre für diesen Fall § 797 Abs. 5 ZPO anwendbar, wonach die Vollstreckungsabwehrklage gegen sonstige Vollstreckungstitel bei dem Gericht zu erheben ist, bei dem der Schuldner im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat; auch dieser ist nach § 802 ZPO ein ausschließlicher Gerichtsstand.

Nach Auffassung des Senats hat jedoch dieser ausschließliche Gerichtsstand gegenüber dem durch das Kindesunterhaltsgesetz vom 6. April 1998 in § 642 ZPO eingeführten ausschließlichen Gerichtsstand des Wohnsitzes eines minderjährigen Kindes in allen Verfahren, die die Unterhaltspflicht betreffen, zurückzutreten. Die Bestimmungen der § 767, 797 Abs. 5 ZPO gelten für Vollstreckungsabwehrverfahren, gleich auf welchem Rechtsgrund sie beruhen, während der Gesetzgeber im Interesse der Kinder durch die Neuregelung in § 642 ZPO im Wege einer spezialgesetzlichen Normierung einen besonderen Gerichtsstand betreffend alle Unterhaltsverfahren minderjähriger Kinder einführen wollte. Wie sich aus der amtlichen Begründung zu § 642 ZPO (BT-Drucksache 13/7338) ergibt, sollte diese Regelung nicht nur für die eigentliche Leistungsklage gelten, sondern auch für andere Verfahrensarten, sofern sie nur den Kindesunterhalt betreffen. Hierbei handelt es sich um denselben rechtlichen Begriff wie in § 621 Abs. 1 ZPO, der die Zuständigkeit der Familiengerichte regelt. Zu den den Kindesunterhalt betreffenden Verfahren gehören nicht nur Abänderungsklagen nach § 323 ZPO (die im übrigen ausdrücklich in der amtlichen Begründung erwähnt sind), sondern auch Vollstreckungsabwehrklagen (vgl. hierzu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 57. Aufl., Rdn. 5 zu § 642 ZPO), weil eine besondere Behandlung der Vollstreckungsabwehrklagen gegenüber anderen den Kindesunterhalt betreffenden Verfahren der im Kindesunterhaltsgesetz zum Ausdruck gekommenen Absicht zuwiderlaufen würde, dem minderjährigen Kind seine Rechtsverfolgung oder -verteidigung durch Zuweisung der Zuständigkeit an ein wohnsitznahes Gericht zu erleichtern.

Der Senat hätte ebenso wie das Amtsgericht bei dieser Sachlage die Möglichkeit gehabt, das Verfahren, das sich noch im Prozeßkostenhilfestadium befindet, in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO an das örtlich und sachlich zuständige Amtsgericht Leipzig zu verweisen. Der Kläger hat allerdings einen solchen Antrag trotz ausführlich begründeten Hinweises durch das Amtsgericht (Verfügung vom 15. Februar 2000) nicht gestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 127 Abs. 4 ZPO.

Schreiber Kirsch Krämer