OLG Frankfurt vom 06.01.1999 (2 UF 95/98)

Stichworte: Unbilligkeit, Unterhalt bei Alkoholabhängigkeit, Herabsetzung KindRG, Fortsetzungsantrag
Normenkette: BGB 1572, 1579 Nr. 7 KindRG 15, 2 Abs. 4
Orientierungssatz: Dennoch ist der Unterhaltsanspruch in derartigen Fällen (Alkoholabhängigkeit) gemäß § 1579 Nr. 7 BGB herabzusetzen, weil die Inanspruchnahme des Antragstellers in voller Höhe grob unbillig wäre. Dem Antragsteller kann nicht zugemutet werden, die Folgen der Alkoholabhängigkeit der Antragsgegnerin zu tragen. Diese Erkrankung der Antragsgegnerin fällt jedenfalls überwiegend in ihren Verantwortungs- und Risikobereich.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 2. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember 1998 durch den Vorsitzenden Richter Schreiber und die Richter Bielefeldt und Kirsch für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 18. Februar 1998 verkündete Verbundurteil des Amtsgerichts Korbach im Ausspruch über den nachehelichen Unterhalt (Ziffer 4 des Urteilstenors) abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Der Antragsteller wird verurteilt, an die Antragsgegnerin vom 1. des Monats an, der der Rechtskraft der Ehescheidung folgt, Ehegattenunterhalt in Höhe von 4.700 DM monatlich Elementarunterhalt und 1.664,60 DM monatlich Altersvorsorgeunterhalt im Voraus zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Antragstellers und die Berufung der Antragsgegnerin werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

T a t b e s t a n d :

Die Parteien haben die Ehe am 06.09.1985 geschlossen. Aus der Ehe sind die Kinder K., geboren 16.05.1987, Julia, geboren 05.02.1989 und h.-Z., geboren 04.10.1991, hervorgegangen. Im Oktober 1994 haben sich die Parteien getrennt. Nachdem die Kinder in der Folgezeit zunächst beim Antragsteller gelebt hatten, war das Sorgerecht mit Beschluß vom 21.02.1996 auf die Antragsgegnerin übertragen worden. Seit dem 28.11.1997, gerichtlich geregelt mit Beschluß vom 28.01.1998, leben die Kinder wieder beim Antragsteller.

Im ersten Rechtszug hat die Antragsgegnerin nachehelichen Unterhalt in Höhe von 10.000 DM monatlich zuzüglich 2.104,88 DM Altersvorsorgeunterhalt verlangt, die elterliche Sorge haben beide Parteien jeweils für sich allein beansprucht.

Mit dem angefochtenen Urteil (Bl. 65 ff d.A.), auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht die Ehe der Parteien geschieden, die elterliche Sorge für die drei Kinder dem Antragsteller übertragen, den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Antragsteller verurteilt, nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 6.000 DM zuzüglich 1.664,60 DM monatlich für Altersvorsorge an die Antragsgegnerin zu zahlen.

Gegen dieses dem Antragsteller am 18.03.1998 und der Antragsgegnerin am 17.03.1998 zugestellte Urteil haben beide Parteien selbständig Berufung eingelegt, der Antragsteller am 23.03.1998 und die Antragsgegnerin am 17.04.1998. Der Antragsteller hat sein Rechtsmittel nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 25.05.1998 an diesem Tage begründet, die Antragsgegnerin das ihre nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 02.11.1998 an diesem Tage. Beide Parteien greifen mit ihrer Berufung die Höhe des nachehelichen Unterhalts an, die Antragsgegnerin wendet sich zusätzlich gegen die Sorgerechtsentscheidung.

Der Antragsteller beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und den Unterhaltsantrag abzuweisen, soweit er zur Zahlung von mehr als insgesamt 4.000 DM nachehelichen Unterhalts (einschließlich Altersvorsorge) verurteilt worden ist.

Die Antragsgegnerin beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die elterliche Sorge für die drei Kinder ihr zu übertragen sowie den Antragsteller zur Zahlung nachehelichen Unterhalts in Höhe von 10.000 DM Elementarunterhalt sowie 1.664,60 DM Altersvorsorgeunterhalt zu verurteilen.

Beide Parteien beantragen,

das gegnerische Rechtsmittel zurückzuweisen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Von den zulässigen Rechtsmitteln beider Parteien ist nur die Berufung des Antragstellers zu einem Teil begründet.

Unbegründet sind die Angriffe der Antragsgegnerin gegen die vom Amtsgericht getroffene Sorgerechtsentscheidung. Soweit unterblieben ist, unter Bezugnahme auf Art. 15 § 2 Abs. 4 KindRG ausdrücklich einen Fortsetzungsantrag zu stellen, wird dem angesichts des Umstandes, daß einerseits diese Vorschrift zunächst allgemein vielfach unentdeckt geblieben ist und andererseits sich aus dem Prozeßverhalten der Parteien eindeutig ergibt, daß sie die ursprünglich angestrebte Sorgerechtsregelung weiterverfolgen wollen, keine entscheidende Bedeutung zukommen können. Im übrigen kann sachlich im vorliegenden Fall nur in Betracht kommen, daß es bei der Übertragung der elterlichen Sorge auf den Antragsteller allein bleibt, weil diese Entscheidung aus gegenwärtiger Sicht dem Wohle der Kinder am besten entspricht (§ 1671 Abs. 2 Ziffer 2 BGB). Denn insoweit kann nach den bisherigen Sorgerechtsverfahren zwischen den Parteien, insbesondere dem Verfahren 7 F 314/97, in dem auch ein amtsärztliches Gutachten eingeholt worden ist, das eine Alkoholabhängigkeit der Antragsgegnerin festgestellt hat, und den diesbezüglichen Erörterungen in der mündlichen Verhandlung, wie sie ihren Niederschlag auch im Beschluß des Senats vom 10.12.1998 - 2 UF 227/98 - zum Umgangsrecht gefunden haben, kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß die Antragsgegnerin aufgrund einer Alkoholerkrankung nicht in der Lage ist, das Wohl der Kinder zu gewährleisten. Dafür, daß diese Erkrankung etwa dauerhaft überwunden wäre, fehlen die nötigen sachlichen Gesichtspunkte, wie u.a. der erfolgreiche Abschluß einer Langzeittherapie. Das bloße Verstreichen einiger Wochen oder Monate ohne bekannt gewordene neue Zwischenfälle genügt jedenfalls nicht. Es hat also folglich bei der bisherigen Sorgerechtsregelung zu bleiben, wobei der Senat gegenwärtig - auch auf der Grundlage der Neuregelung in §§ 1671, 1687 BGB - die Zuweisung des alleinigen Sorgerechts für notwendig hält.

Auch soweit es um den Anspruch der Antragsgegnerin auf Zahlung nachehelichen Unterhalts geht, teilt der Senat im wesentlichen die Auffassung des Amtsgerichts. Ein Anspruch der Antragsgegnerin läßt sich angesichts der Sorgerechtsregelung zwar nicht aus § 1570 BGB herleiten. Er ist jedoch nach § 1572 BGB gerechtfertigt, weil die Antragsgegnerin wegen ihrer Alkoholerkrankung - auch nach Auffassung des Antragstellers - keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann und eine solche Erkrankung nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Literatur unter § 1572 BGB fällt, ohne daß es darauf ankommt, ob sie ursprünglich schuldhaft herbeigeführt worden ist. Jedenfalls im Anschluß an die Pflege und Erziehung der gemeinschaftlichen Kinder kann eine Erwerbstätigkeit wegen Krankheit von der Antragsgegnerin nicht erwartet werden, so daß auch der Einsatzpunkt gegeben ist.

Das Maß des Unterhalts bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 BGB). Insoweit steht außer Frage, daß die Parteien über einen gehobenen Lebensstandard verfügt haben. Der Beklagte ist als Kaufmann in der seinem Vater gehörenden Unternehmensgruppe mit ca. 15 Kliniken, 2 Spielbanken und 2 Thermen tätig. Ferner betreibt er zwei eigene Kliniken, die er neu gegründet hat, nämlich seit 1991 eine Klinik in in Thüringen und seit 1992 die neurologische Klinik S. in Z.. Die 1964 geborene Klägerin ist gelernte Arzthelferin und hatte bis 1985 noch einige Zeit in diesem Beruf gearbeitet. Während des Zusammenlebens hatte sie die Rolle der Hausfrau und Mutter übernommen und erhielt - und dies gilt auch heute noch - aufgrund eines Anstellungsvertrages mit der neurologischen Klinik Westend ein monatliches Gehalt von 700 DM netto, womit sie zugleich bei der Barmer Ersatzkasse gesetzlich krankenversichert ist. Der Senat hat in seinem den Trennungsunterhalt der Parteien betreffenden Urteil vom 04.06.1997 - 2 UF 234/95 - unter Zugrundelegung des allgemeinen Lebenszuschnitts der Parteien und der konkreten Aufwendungen den Bedarf der Antragsgegnerin auf monatlich 6.000 bis 7.000 DM geschätzt und unter Berücksichtigung der 700 DM, die der Antragsgegnerin über die Klinik zufließen, 6.000 DM zugesprochen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen (Seite 5 - 8 des o.a. Urteils), auf die sich auch das Amtsgericht im angefochtenen Urteil (Seite 8 und 9) stützt, nimmt der Senat Bezug. Diese Überlegungen gelten auch für die vorliegend zu treffende Entscheidung fort. Wie in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert worden ist, hat sich an der Bedarfssituation der Antragsgegnerin nichts wesentliches geändert. Mögen sich einzelne Aufwendungspositionen auch verändert haben, so gilt dennoch die Gesamteinschätzung fort. So werden z.B. zwar die mit 1.300 DM monatlich in die Schätzung eingeflossenen PKW-Kosten wegen des Verlustes der Fahrerlaubnis in dieser Form nicht mehr berücksichtigt werden können, an ihre Stelle treten jedoch jedenfalls Kosten für Taxifahrten, wenn auch nicht Kosten für einen von der Antragsgegnerin ins Spiel gebrachten Chauffeur. Soweit diese Kosten geringer ausfallen, steht dem aber gegenüber, daß die Antragsgegnerin inzwischen für ihr Wohnen monatlich 600 DM zusätzlich aufwenden muß. Insgesamt bleibt es wegen der notwendigen Anwendung eines objektivierenden Maßstabes also bei einem ungedeckten Bedarf der Antragsgegnerin in Höhe von 6.000 DM monatlich. Diesen Bedarf muß der Antragsteller, dessen Leistungsfähigkeit - in diesem Umfang - nicht zweifelhaft ist, jedoch nicht in vollem Umfang decken. Da der Antragsgegnerin ein Unterhaltsanspruch nach § 1570 BGB nicht zusteht, wäre sie grundsätzlich verpflichtet, eine ihr angemessene (ausgebildete Arzthelferin und in der Wicker-Klinik als Verwaltungsangestellte geführt) Erwerbstätigkeit auszuüben. Dies kann sie aber wegen ihrer Alkoholerkrankung nicht. Wie das Amtsgericht bereits ausgeführt hat, führt dies nicht zu einer Versagung oder Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs nach § 1579 Nr. 3 BGB. Denn nach den vielfachen Erfahrungen des Senats aus ähnlichen Verfahren sind die Ursachen einer solchen Alkoholabhängigkeit hinreichend sicher weder aufklärbar, noch kann die Frage mit ausreichender Bestimmtheit beantwortet werden, zu welchem Zeitpunkt bereits eine Therapie hätte erfolgreich durchgeführt werden können. Dennoch ist der Unterhaltsanspruch in derartigen Fällen gemäß § 1579 Nr. 7 BGB herabzusetzen, weil die Inanspruchnahme des Antragstellers in voller Höhe grob unbillig wäre. Dem Antragsteller kann nicht zugemutet werden, die Folgen der Alkoholabhängigkeit der Antragsgegnerin zu tragen. Diese Erkrankung der Antragsgegnerin fällt jedenfalls überwiegend in ihren Verantwortungs- und Risikobereich. Nach (seit BGH NJW 1983, 1548 f = FamRZ 1983, 569 f und BGH NJW 1983, 2243 f = FamRZ 1983, 996 f) gefestigter Rechtspraxis kann sich der in § 1579 Nr. 7 BGB vorausgesetzte "andere", ebenso schwerwiegende Grund für die grobe Unbilligkeit der Inanspruchnahme des Verpflichteten auch aus Umständen ergeben, die dem Berechtigten nicht als (einseitiges) Fehlverhalten zur Last gelegt werden können. Entscheidend ist, ob die aus der Unterhaltspflicht erwachsenden Belastungen für den Verpflichteten die Grenzen des Zumutbaren überschreiten, wobei eine solche Unzumutbarkeit sich auch aus objektiven Gegebenheiten und Entwicklungen der beiderseitigen Lebensverhältnisse ergeben kann. Denn der verschuldensunabhängige Unterhaltsanspruch - zumal in seiner Ausgestaltung nach § 1578 BGB - muß sich als Eingriff in die Handlungsfreiheit des Verpflichteten mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbaren lassen (so schon Senatsurteile vom 27.08.1986 - 2 UF 348/85 - in FamRZ 1987, 161 f; vom 01.10.1986 - 2 UF 76/86 - in FamRZ 1987, 157 f; 06.01.1988 - 2 UF 13/87 -; 12.07.1995 - 2 UF 57/94 -; vgl. auch Münchener Kommentar - Richter, Rdnr. 49 a zu § 1579 BGB). Wenn eine Abwägung dieser Gesichtspunkte regelmäßig dazu führt, daß der Verpflichtete jedenfalls den notwendigen oder den angemessenen Mindestbedarf des Berechtigten sicherstellen muß, würde dies dem Zuschnitt der ehelichen Lebensverhältnisse im vorliegenden Fall bei weitem nicht gerecht. Es wäre vorliegend aber grob unbillig, wenn der Antragsteller auch das ausgleichen müßte, was die Antragsgegnerin eigentlich selbst verdienen könnte und müßte. Daher hält es der Senat für angezeigt, das von der Antragsgegnerin aufgrund ihrer persönlichen Fähigkeiten auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt dauerhaft erzielbare Einkommen mit rund 2.000 DM netto monatlich zu schätzen und dieses auf den Gesamtbedarf von 6.700 DM (von dem die Antragsgegnerin bereits 700 DM von der Wicker-Klinik erhält) anzurechnen, so daß vom Antragsteller (neben den von seiner Firma gezahlten 700 DM) noch 4.700 DM monatlich zu zahlen sind. Dementsprechend war das angefochtene Urteil folglich abzuändern. Hinsichtlich der Höhe des Altersvorsorgeunterhaltes bleibt es bei dem ausgeurteilten Betrag von 1.664,60 DM. Insoweit bedarf es keiner Kürzung, zumal der ausgeurteilte Betrag auch nach der Änderung des Elementarunterhaltes in etwa dem sich aus der Bremer Tabelle ergebenden Wert entspricht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 93 a ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Schreiber Bielefeldt Kirsch