OLG Frankfurt vom 20.09.2022 (2 UF 83/22)

Stichworte: Versorgungsausgleich, schuldrechtlich; Gesetzliche Rente; Grundrente; Ausgleichsreife
Normenkette: VersAusglG 2; VersAusglG 19; FamFG 224 Abs. 4; SGB VI 76g Abs. 4; SGB VI 97a; SGB VI 120f
Orientierungssatz: Zuschläge an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung nach § 76g SGB VI (sog. Grundrente) unterliegen grundsätzlich als Anrechte im Sinne des § 2 VersAusglG dem Versorgungsausgleich (entgegen OLG Frankfurt – 6 UF 108/22).

51 F 473/20 VA
AG Melsungen

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

...

hat der 2. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Lies-Benachib, den Richter am Oberlandesgericht Gimbernat Jonas und die Richterin am Oberlandesgericht Buda-Roß beschlossen:

Auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Melsungen vom 28.04.2022 teilweise wie folgt abgeändert:

Ziffer 5 des Tenors wird wie folgt neu gefasst:

Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragstellerin und früheren Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (Vers.Nr. 52 090357 G 523) zugunsten des Antragsgegners und früheren Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 5,5845 Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto Nr. 16 191057 S 016 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, bezogen auf den 30.11.2002, übertragen.

Es wird eine neue Ziffer 6 angefügt, die wie folgt lautet:

Bezüglich des Anrechts der Antragstellerin und früheren Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (Vers.Nr. 52 090357 G 523) auf Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährig Versicherte (Ausgleichswert 0,0366 Entgeltpunkte) findet ein Wertausgleich bei der Scheidung nicht statt.

Die bisherige Ziffer 6 des Tenors wird zu Ziffer 7, die bisherige Ziffer 7 des Tenors wird zu Ziffer 8.

Im Übrigen bleibt es bei den Anordnungen des angefochtenen Beschlusses.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.931 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die am 27.01.1989 geschlossene Ehe der Antragstellerin und des Antragsgegners ist nach Zustellung des Scheidungsantrags am 02.12.2002 durch Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Korbach vom 12.08.2003 geschieden worden. Im Scheidungsverbund wurde auch der Versorgungsausgleich durchgeführt. Dabei sind die jeweiligen Anrechte der Ehegatten in der gesetzlichen Rentenversicherung im Wege des Splittings nach §§ 1587, 1587 b Abs. 1 BGB und die bei der Volkswagen AG bestehenden Anrechte des Antragsgegners im Wege des Supersplittings nach § 3 b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG ausgeglichen worden.

Am 02.06.2020 hat die Antragstellerin (und frühere Antragsgegnerin des Scheidungsverfahrens) beim Amtsgericht – Familiengericht – Melsungen die Abänderung der Versorgungsausgleichsentscheidung mit der Begründung beantragt, dass insbesondere bei den Anrechten der betrieblichen Altersversorgung des Antragsgegners (und früheren Antragstellers des Scheidungsverfahrens) von einer erheblichen Änderung auszugehen sei.

Seit 01.11.2020 bezieht der Antragsgegner Rentenleistungen der Volkswagen AG. Seit 01.08.2021 bezieht die Antragstellerin eine gesetzliche Rente der Deutschen Rentenversicherung Bund.

Das Amtsgericht hat von den Versorgungsträgern aktuelle Auskünfte eingeholt. Die weitere Beteiligte zu 1), die Deutsche Rentenversicherung Bund, hat dabei für die Antragstellerin in ihrer Auskunft vom 04.11.2021 ein bei ihr bestehendes, in der Leistungsphase befindliches Anrecht mit einem Ehezeitanteil in Höhe von 11,1690 Entgeltpunkten und einem Ausgleichswert in Höhe von 5,5845 Entgeltpunkten mitgeteilt sowie einen Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung mit einem Ehezeitanteil in Höhe von 0,0732 Entgeltpunkten und einem Ausgleichswert in Höhe von 0,0366 Entgeltpunkten. Diese Auskunft ersetzte eine Auskunft vom 07.08.2020, in der ein Ausgleichswert für das Anrecht in der allgemeinen Rentenversicherung in Höhe von 5,5817 Entgeltpunkten mitgeteilt worden war.

Mit Beschluss vom 28.04.2022 hat das Amtsgericht die Entscheidung über den Versorgungsausgleich vom 12.08.2003 mit Wirkung ab dem 01.07.2020 abgeändert. Dabei hat es hinsichtlich des bei der Deutschen Rentenversicherung Bund bestehenden Anrechts der Antragstellerin die interne Teilung durchgeführt mit einem Ausgleichswert in Höhe von 5,5817 Entgeltpunkten. Ein Ausgleich des Zuschlags von Entgeltpunkten für langjährige Versicherung erfolgte nicht.

Gegen den am 13.05.2022 zugestellten Beschluss hat die weitere Beteiligte zu 1), die Deutsche Rentenversicherung Bund, am 08.06.2022 Beschwerde eingelegt und beantragt, den Versorgungsausgleich entsprechend den gesetzlichen Regelungen durchzuführen. Dabei hat sie zunächst einen Ausgleich auch des ehezeitlichen Anrechts der Antragstellerin bezüglich der Grundrentenzeiten begehrt und mit Schriftsatz vom 04.07.2022 zudem um Korrektur des Ausgleichswertes des Anrechtes der Antragstellerin in der allgemeinen Rentenversicherung gebeten. Der Antragsgegner hat sich der Beschwerde angeschlossen.

Der Senat hat darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, auf die Beschwerde das Anrecht der Antragstellerin in der allgemeinen Rentenversicherung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund mit einem Ausgleichswert von 5,5845 Entgeltpunkten auszugleichen und im Übrigen auszusprechen, dass ein Ausgleich der Grundrenten-Entgeltpunkte bei der Scheidung nicht stattfindet, da sich dieser nicht zugunsten des Antragsgegners auswirken würde.

Binnen der gesetzten Stellungnahmefrist hat die Antragstellerin erklärt, keine Einwendungen zu erheben. Die übrigen Beteiligten haben sich nicht mehr geäußert.

II.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung Bund führt zur Abänderung und Neufassung der erstinstanzlichen Entscheidung in der aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Weise.

1. Bei seiner Abänderungsentscheidung nach §§ 51, 52 VersAusglG, 226 FamFG hat das Amtsgericht versehentlich den Ausgleichswert für das Anrecht der Antragstellerin in der allgemeinen Rentenversicherung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund deren Auskunft vom 07.08.2020 entnommen und nicht berücksichtigt, dass diese Auskunft durch die Auskunft vom 04.11.2021 ersetzt worden war. Daher ist die angefochtene Entscheidung insoweit abzuändern und nach § 10 Abs. 1 VersAusglG eine interne Teilung in Höhe des korrekten Ausgleichswerts von 5,5845 Entgeltpunkten vorzunehmen. Der Ausgleich muss dabei separat von den übrigen Entgeltpunkten erfolgen (vgl. § 120f SGB VI).

2. Hinsichtlich des in der Auskunft vom 04.11.2021 ebenfalls mitgeteilten Anrechts der Antragstellerin auf Grundrentenzuschläge ist, da die Entscheidung des Amtsgerichts sich zu diesem Anrecht nicht verhält, davon auszugehen, dass dieses schlicht übersehen wurde.

a) Für ein solches Anrecht ist grundsätzlich ebenfalls eine interne Teilung nach § 10 Abs. 1 VersAusglG durchzuführen (vgl. Bachmann/Borth FamRZ 2020, 1609 (1610 f); Ruland NZS 2021, 241 (248); Wick FuR 2021, 78; BR-Drs. 85/20 S. 36; 7. Senat des OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 25.05.2022 – 7 UF 4/22 – und vom 13.06.2022 – 7 UF 183/21 –, juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 30. Mai 2022 – 2 UF 66/22 –, juris; OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. Mai 2022 – 11 UF 283/22 –, juris; Fritzsche, NZFam 2022, 752; a. A. der 6. Senat des OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.07.2022 – 6 UF 108/22 –, juris).

Der Senat folgt nicht der Auffassung, wonach Entgeltpunkte für langjährige Versicherung keine im Rahmen des Versorgungsausgleichs auszugleichenden Anrechte darstellen (so der 6. Senat des OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.07.2022 – 6 UF 108/22-, juris). Dies widerspricht bereits der vom Gesetzgeber in § 120f Abs. 2 Nr. 3. SGB VI implizit getroffenen Klarstellung (Fritzsche, NZFam 2022, 752). Gemäß § 120f Abs. 1 SGB VI gelten „als erworbene Anrechte gleicher Art im Sinne des § 10 Abs. 2 des Versorgungsausgleichsgesetzes die in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anrechte“. § 120f Abs. 2 SGB VI stellt hier Regeln für die Gleichartigkeit für spezielle Anrechte auf. Dabei werden die Anrechte aus Zuschlägen für langjährige Versicherte eigens aufgeführt und festgehalten, dass sie lediglich nicht „gleichartig“ im Sinne des § 10 Abs. 2 VersAusglG sind. Die Vorschrift wäre nicht erforderlich, wenn der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, dass es sich bei den Zuschlägen gem. §§ 76g, 307e SGB VI nicht um Anrechte handelt, die überhaupt dem Versorgungsausgleich unterliegen.

Maßgeblich für die Bewertung als auszugleichendes Anrecht im Sinne des Versorgungsausgleichs ist auch nach § 120f SGB VI, ob es sich um Anrechte handelt, die in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben worden sind. Die Konzeption der Grundrente mag als gesetzgeberischer Fehlgriff angesehen werden, weil letztlich eine sozialpolitisch für notwendig gehaltene Leistung nicht als Sozialleistung, sondern als Rentenleistung ausgestaltet worden ist (vgl. Siede, NZFam 2022, S. 803, Ruland, NZS 2021, 241 (242)). Das kann – wie auch der 6. Familiensenat des OLG Frankfurt zutreffend feststellt – aber nicht den Blick darauf verstellen, dass der Gesetzgeber mit der Grundrente eine Rentenleistung geschaffen hat.

Es liegt nach Auffassung des erkennenden Senats ein auszugleichendes Anrecht vor, das im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG durch Arbeit geschaffen wurde. Entgeltpunkte wegen langjähriger Versicherung werden als Zuschlag zu bereits erworbenen Entgeltpunkten gewährt, § 76g Abs. 4 SGB VI (Wick, FuR 2021, S. 78, Bachmann/Borth, FamRZ 2020, 1609 (1610)). Voraussetzung für den Erhalt ist, dass der Berechtigte 33 Jahre Grundrentenzeiten erreicht hat (§ 76g Abs. 1 SGB VI), mithin Zeiten der Pflichtversicherung. Wie bei den bereits im Jahr 1992 eingeführten Mindestentgeltpunkten bei geringem Arbeitsentgelt im Sinne des § 262 SGB VI wird also letztlich eine Erwerbstätigkeit honoriert, die zwar lang andauerte, aber wegen zu geringen durchschnittlichen Einkünften keine auskömmliche Rente erwarten lässt (Art. 1 RRG 1992 v. 18.12.1989, BGBl. I 2261; Körner, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 118. EL März 2022, Rn. 1 zu § 262 SGB VI, vgl. dazu Wick, FuR 2021, S. 79). Bei Mindestentgeltpunkten besteht dem Grunde nach kein Zweifel daran, dass sie im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG durch Arbeit geschaffen wurden und daher dem Versorgungsausgleich unterliegen (Maaß, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, Rn. 57 zu § 2 VersAusglG). Da der Anknüpfungspunkt für die Zuschläge für langjährig Versicherte im Sinne des § 76g SGBVI ebenfalls die Erwerbstätigkeit ist, kann hier nichts Anderes gelten.

Das durch die Einkommensanrechnung gem. § 97a SGB VI eröffnete Risiko, aus dem erworbenen Zuschlag letztlich keine Rente beziehen zu können, kann nach der hier vertretenen Auffassung nicht als Argument dafür dienen, den Zuschlag für langjährige Versicherung als nicht auf eine Rente gerichtet anzusehen (kritisch dazu Strube, NZFam 2022, S. 719, OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.07.2022 – 6 UF 108/22-, juris). Grundsätzlich kommt es dabei nämlich nicht auf die Verfestigung eines Anrechts an, sondern darauf, dass es existiert und – möglicherweise nach Hinzutreten einer weiteren Bedingung – zur Auszahlung gelangt (Müller-Tegethoff, in: BeckOK, Stand 1.1.2022, Rn. 18 zu § 2 VersAusglG; Maaß, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, Rn. 21 zu § 2 VersAusglG). Eine solche Bedingung kann in dem Nichterreichen von Einkünften gesehen werden, die gem. § 97a SGB VI durch Anrechnung zum (temporären) Wegfall der Rente aus den Zuschlägen für langjährige Versicherung führen können. Folgte man stattdessen der Argumentation, wonach es darauf ankommen kann, ob das Anrecht zur Auszahlung kommt, wären auch ruhende Anrechte nicht im Versorgungsausgleich zu teilen. Auch wenn Rentenzahlungen wegen Nebenverdiensten vorübergehend gekürzt werden, wäre nach diesem Gedankengang das Anrecht nicht zu teilen (gem. § 34 SGB VI, s. Ruland, Versorgungsausgleich, 2015, Rn. 173). Auch für ruhende oder solche Anrechte muss jedoch nach einhelliger Auffassung ein Versorgungsausgleich durchgeführt werden, weil das Stammrecht nicht durch die gegebenenfalls nur temporär wegfallende Auszahlung tangiert wird (Bachmann/Borth, FamRZ 2020, 1609 (1612)). Der Umstand, dass sich je nach Höhe der gemäß § 97a SGB VI anrechenbaren Einkünfte alljährlich Veränderungen im Auszahlungsbetrag aus den Zuschlägen wegen langjähriger Versicherung ergeben können, führt aus dem gleichen Grund nicht dazu, dass die Voraussetzung des § 2 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG nicht erfüllt sind. Auch hier bleibt das Stammrecht bestehen und kann wieder aufleben, wenn die Nebeneinkünfte sich verringern.

Auch eine wertende Betrachtung führt nicht zu dem Ergebnis, dass die Entgeltpunkte für langjährige Versicherung gem. § 76g SGB VI nicht als dem Versorgungsausgleich unterliegende Anrechte im Sinne des § 2 Abs. 2 VersAusglG anzusehen sind. Soweit der 6. Familiensenat des OLG Frankfurt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.07.2022 – 6 UF 108/22-, juris) darauf abstellt, dass der Zuschlag nicht von den aus der Ehe und der Lebenspartnerschaft resultierenden Unterhalts- und Versorgungsausgleichsansprüchen abhängig ist, vermag der erkennende Senat dem nicht zu folgen. Die eheliche Lebensgestaltung ist für den Versorgungsausgleich in der Regel unbeachtlich; für das verfassungsrechtliche Gebot der Halbteilung (s. Schüßler, BeckOK BGB, Stand 1.5.2022, Rn. 28 zu § 1 VersAusgLG) kommt es nicht darauf an, ob Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt werden. Unabhängig davon, ob die Eheleute eine gesellschaftlich anerkannte und der Gemeinschaft dienende Tätigkeit ausgefüllt haben, müssen die rentenrechtlichen Früchte ihres Erwerbslebens im Versorgungsausgleich geteilt werden. Die Zuschläge wegen langjähriger Versicherung werden beispielsweise auch gezahlt, wenn ein Ehepartner allein deswegen während der für den Erwerb von Zuschlägen erforderlichen Zeit (33 Jahre) in Teilschicht als Geringverdiener berufstätig war, weil der andere Ehegatte über Einkünfte verfügen konnte, die den Lebensunterhalt der kinderlosen Ehegatten sicherstellte. Die vom 6. Familiensenat des OLG Frankfurt zitierte Motivation des Gesetzgebers trifft daher bei weitem nicht für alle Begünstigten der sogenannten Grundrente zu (kritisch dazu auch Ruland, NZS 2021, 241 (242)). Deswegen kann auf die gesetzgeberischen Beweggründe bei der Frage, ob ein im Sinne des § 2 VersAusglG zu teilendes Anrecht vorliegt, nicht abgestellt werden.

Eine solche wertende Betrachtung im Rahmen des § 2 VersAusglG könnte im Übrigen nur grundsätzlich, also für alle denkbaren Fallkonstellationen angenommen werden, denn § 2 VersAusglG schreibt vor, für welche Anrechte ein Versorgungsausgleich dem Grunde nach in Betracht kommt und stellt dabei auf die Art des Anrechts ab (Maaß, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, Rn. 1 zu § 2 VersAusglG). Eine für alle Fallkonstellationen zutreffende Bewertung kommt aber nicht in Betracht, weil die individuellen Verhältnisse der Ehepartner nach Rentenbezug einen pauschalen Ausschluss der Grundrente aus dem Versorgungsausgleich nicht rechtfertigen. Die Teilung von Entgeltpunkten für langjährige Versicherte im Versorgungsausgleich wird nach Auffassung des erkennenden Senats etwa in dem Fall zweifellos stattfinden müssen, in dem zwei einkommensschwache Ehepartner über Jahrzehnte geringste Einkommen erwirtschaftet haben und daher beidseits in den Genuss der sog. Grundrente kommen können. Auch wenn nur ein Ehegatte Entgeltpunkte für langjährig Versicherte erwerben konnte und der andere während der Ehe keiner Erwerbstätigkeit nachging, wird eine wertende Betrachtung dem ausgleichsberechtigten Ehegatten nach dem Halbteilungsgrundsatz die aus den übertragenen Zuschlägen resultierende Grundrente nicht absprechen können.

Eine wertende Betrachtung ist damit im Einzelfall nicht ausgeschlossen. Sie ist allerdings der auf den Individualfall zugeschnittenen Anwendung der, §§ 18, 19 VersAusglG oder § 27 VersAusglG vorbehalten.

b) Nach Auffassung des Senats ist das Anrecht der Antragstellerin auf Entgeltpunkte für langjährig Versicherte nicht ausgleichsreif, weil der Ausgleich für den Antragsgegner als Berechtigten unwirtschaftlich im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG wäre. Daher ist nach § 19 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG auszusprechen, dass insoweit ein Wertausgleich bei der Scheidung nicht stattfindet (so auch OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 25.5.2022 – 7 UF 4/22 – und vom 13.06.2022 – 7 UF 183/21 –, juris).

Eine Unwirtschaftlichkeit des Ausgleichs nach § 19 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG wird insbesondere dann angenommen, wenn sich der Ausgleich voraussichtlich nicht zugunsten der ausgleichsberechtigten Person auswirken wird (vgl. BT-Drucksache 10/10144, S. 62), weil diese beispielsweise aus dem übertragenen oder begründeten Anrecht keine Rentenzahlungen zu erwarten hätte.

aa) Ein solcher Fall wurde in der Vergangenheit angenommen, wenn ein Beamter auf Lebenszeit durch den Versorgungsausgleich Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erhielt, aber trotz der dadurch erworbenen Wartezeitmonate (§ 52 Abs. 1 SGB VI) die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllt hat, die nach § 50 Abs. 1 SGB VI Voraussetzung für einen Anspruch auf Regelaltersrente ist. Denn nach der bis zum 10.08.2010 geltenden Rechtslage war es einem ausgleichsberechtigten Beamten nicht möglich, sein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung durch freiwillige Beitragszahlungen zum Zwecke der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit aufzustocken (vgl. Norpoth/Sasse, in: Erman BGB, Kommentar, § 19 VersAusglG, Fehlende Ausgleichsreife, Rn. 17; Recknagel, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 19 VersAusglG Rn. 22). Demnach war seinerzeit der Ausgleich des gesetzlichen Rentenanrechts des anderen Ehegatten für den ausgleichsberechtigten Beamten unwirtschaftlich (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.12.1989 – 2 UF 159/87 –, juris Rn. 12).

bb) Eine ähnliche Situation ist beim Ausgleich von Grundrenten-Entgeltpunkten gegeben, wenn der Ausgleichsberechtigte letztlich keine Rentenzahlungen aus diesem im Versorgungsausgleich übertragenen Anrecht erhalten würde. Die sogenannte Grundrente ist als Zuschlag an Entgeltpunkten konzipiert, wobei der aus dem Zuschlag resultierende Zahlbetrag einer besonderen Einkommensanrechnung unterliegt. Nach § 97a Abs. 1 SGB VI wird auf den Rentenanteil aus dem Zuschlag an Grundrenten-Entgeltpunkten das Einkommen des Berechtigten (und seines Ehegatten) angerechnet. Übersteigt das anrechenbare Einkommen monatlich das 36,56fache des aktuellen Rentenwerts (entspricht bei dem aktuellen, seit 01.07.2022 geltenden Rentenwert in Höhe von 36,02 € derzeit 1.316,89 €), werden 60 % angerechnet (§ 97a Abs. 4 Satz 2 SGB VI). Anrechenbares Einkommen, das monatlich das 46,78fache des aktuellen Rentenwerts übersteigt (entspricht derzeit 1.658,02 €), wird in voller Höhe angerechnet (§ 97a Abs. 4 Satz 3 SGB VI). Ist zu erwarten, dass aufgrund der Einkommensanrechnung keine Rentenzahlungen aus den übertragenen Grundrenten-Entgeltpunkten erfolgen werden, würde sich ein Ausgleich voraussichtlich nicht zugunsten des Ausgleichsberechtigten auswirken und somit für ihn unwirtschaftlich im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG sein (OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 25.5.2022 – 7 UF 4/22 – und vom 13.06.2022 – 7 UF 183/21 – juris).

c) So liegt der Fall hier. Der im Jahr 1957 geborene Antragsgegner hat ausweislich der Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 23.07.2020 ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 37,6080 Entgeltpunkte erlangt. Er wird aufgrund der Abänderungsentscheidung über den Versorgungsausgleich 11,2777 Entgeltpunkte abgeben müssen und erhält 5,5845 Entgeltpunkte hinzu. Damit hat er ein Anrecht in Höhe von 31,9143 Entgeltpunkten (ohne nach Auskunftserteilung gegebenenfalls noch erfolgter Erhöhung), dies entspricht einer monatlichen Rente in Höhe von aktuell 1.149,55 €. Dazu erhält er die Betriebsrente der VW AG, die sich nach Durchführung des Versorgungsausgleichs mindestens auf monatlich 342 € beläuft, denn nach der Auskunft der VW AG vom 10.03.2021 beträgt die jährliche Rente 8.229,54 €, monatlich also rund 686 €. Damit verfügt er über monatliche Bruttoeinkünfte in Höhe von mindestens 1.491 €. Aufgrund der oben genannten Anrechnungsvorschriften ist damit sicher, dass er aus einem übertragenen Grundrentenzuschlag in Höhe von 0,0366 Entgeltpunkten (entspricht aktuell 1,32 €) keine Rentenzahlung erhalten wird.

d) Demzufolge ist auszusprechen, dass hinsichtlich des Grundrentenzuschlages ein Wertausgleich bei Scheidung nicht stattfindet (§ 19 Abs. 1 S. 1 VersAusglG). Da ein nach § 19 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG nicht ausgleichsreifes Anrecht gerade nicht dem Wertausgleich bei der Scheidung unterliegt, ist die Vorschrift vorrangig vor § 18 VersAusglG anzuwenden (vgl. Recknagel, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 19 VersAusglG Rn. 2). Dementsprechend verbietet es sich, vorliegend nach § 18 Abs. 2 VersAusglG von einem Ausgleich des Grundrentenanrechts der Antragstellerin abzusehen. Vielmehr wäre die Frage der Geringfügigkeit des Anrechts erst im Falle einer Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs nach der Scheidung zu prüfen (§ 20 Abs. 1 Satz 3 VersAusglG).

e) Es ist zu benennen, dass für das Grundrentenanrecht der schuldrechtliche Versorgungsausgleich vorbehalten bleibt (§ 224 Abs. 4 FamFG). Allerdings wird auch dieser keine Auszahlungen an den Antragsgegner ergeben, worauf der Senat vorsorglich hinweist. Denn in Anbetracht der aufgrund der Durchführung des Versorgungsausgleichs verbesserten Rentensituation der Antragstellerin werden auch bei ihr die nach § 97 a SGB VI vorzunehmenden Anrechnungen dazu führen, dass keine Auszahlung einer Grundrente erfolgt. Sie hat ausweislich des Rentenbescheides vom 16.06.2021 der Deutschen Rentenversicherung Bund Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung (ohne die aufgrund der Versorgungsausgleichsentscheidung aus dem Jahr 2003 übertragenen Anwartschaften) in Höhe von 37,9884 Entgeltpunkten erlangt. Aufgrund des Versorgungsausgleichs gibt sie 5,5845 Entgeltpunkte ab und erhält 11,2777 Entgeltpunkte hinzu, verfügt also letztlich über 43,68 Entgeltpunkte, was derzeit einer Rente von brutto 1.573,41 € entspricht. Hinzu kommt noch die Rente der Versorgungsausgleichskasse. Aufgrund der genannten Anrechnungsvorschriften wird sich daher der Grundrentenzuschlag nicht auswirken, so dass die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 S. 1 VersAusglG (Bezug einer Rente aus einem noch nicht ausgeglichenen Anrecht) nicht vorliegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG.

Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 40, 50 Abs. 1 S. 1 FamGKG. Antragstellerin und Antragsgegner haben ihre Nettoeinkünfte zum Zeitpunkt der Antragstellung auf insgesamt 4.885,95 € angegeben, so dass sich für zwei beschwerdegegenständliche Anrechte (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.07.2022 – 7 UF 74/22 –, Rn. 10, juris; OLG Celle, Beschluss vom 24.05.2022 – 10 WF 65/22 –, Rn. 4, juris) ein Verfahrenswert von 2.931,57 € (4.885,95 € x 3/10 x 2) ergibt.

Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FamFG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.

Rechtsbehelfsbelehrung: …

Dr. Lies-Benachib Gimbernat Jonas Buda-Roß