OLG Frankfurt vom 19.03.1999 (2 UF 51/99)

Stichworte: ärztliche, psychiatrische, psychologische, Begutachtung, Umgangsrecht, Ersetzung, Einwilligung
Normenkette: BGB 1666 Abs. 3 FGG 68b, 70e
Orientierungssatz: Nach weitaus überwiegender Auffassung, der sich Senat anschließt, kommt deshalb die Begutachtung einer Person nur mit ihrer Einwilligung oder derjenigen ihres gesetzlichen Vertreters - hier der Antragsgegnerin - in Betracht (vgl. Musielak-Huber, ZPO, Rdn. 4 zu § 403 ZPO).

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

betreffend den Umgang mit

hat der 2. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter Schreiber und die Richter Krämer und Kirsch am 19. März 1999 beschlossen:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluß des Amtsgerichts Eschwege vom 22. Januar 1999 aufgehoben.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; im übrigen werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens gegeneinander aufgehoben (Beschwerdewert: 1.500 DM).

G r ü n d e :

Die Parteien waren miteinander verheiratet. Aus ihrer Ehe sind die Kinder X. und Y. hervorgegangen, die seit der Trennung der Parteien bei der Antragsgegnerin leben. Die Ehe der Parteien wurde mit Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 23. April 1996 - 540 F 2457/94 - geschieden. Im Scheidungsurteil wurde die elterliche Sorge für die Kinder der Antragsgegnerin übertragen. Eine Besuchsrechtsregelung wurde zwischen den Parteien außergerichtlich dahin getroffen, daß der Antragsteller die Kinder jeweils jedes zweite Wochenende von Freitagmittag bis Sonntagabend zu sich nehmen konnte.
BR Die Antragsgegnerin ist zwischenzeitlich wieder verheiratet. Der Antragsteller lebt mit der früheren Ehefrau des jetzigen Ehemannes der Antragsgegnerin zusammen. Seine Lebensgefährtin hat aus der Ehe mit dem jetzigen Ehemann der Antragsgegnerin ein 8-jähriges Kind, das in dem gemeinsam mit dem Antragsteller geführten Haushalt lebt. Besuche dieses Kindes bei seinem Vater finden regelmäßig und problemlos statt.

Der Antragsteller hatte seine Kinder letztmalig im Januar 1997 zu Besuch. Seitdem widersetzt sich die Antragsgegnerin weiteren Besuchskontakten.

Der Antragsteller hat deshalb eine Umgangsregelung dahin beantragt, daß er die Kinder an jedem zweiten Wochenende von Freitag, 14.00 Uhr, bis Sonntag, 20.00 Uhr, sowie in der Hälfte der Schulferien und im jährlichen Wechsel auch an den hohen Feiertagen zu sich nehmen kann.

Die Antragsgegnerin tritt diesem Antrag mit der Begründung entgegen, daß die Kinder stark verängstigt seien und Besuche beim Antragsteller verweigerten.

Das Amtsgericht hat es unter Berücksichtigung des Jugendamtsberichtes vom 21. August 1997 sowie nach Vernehmung der Zeugin S., der Psychotherapeutin der Kinder, für erforderlich erachtet, ein familienpsychologisches Gutachten einzuholen und dies am 20. August 1998 beschlossen. Die Antragsgegnerin verweigert ihre Einwilligung in die Begutachtung der Kinder und begründet dies auch damit, daß sie angesichts ihrer beengten wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten eines Gutachtens nicht tragen wolle.

Daraufhin hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluß die seitens der Antragsgegnerin verweigerte Zustimmung zur Begutachtung der Kinder ersetzt und dies damit begründet, daß insoweit ein Sorgerechtsmißbrauch vorliege, der ein Eingreifen des Gerichtes gemäß § 1666 BGB erforderlich mache.

Gegen diesen ihr mit einfacher Post zugegangenen Beschluß wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer am 11. Februar 1999 eingelegten und zugleich begründeten Beschwerde. Sie macht geltend, für den Eingriff durch den amtsgerichtlichen Beschluß in ihr Sorgerecht gebe es keine gesetzliche Grundlage.

Der Antragsteller tritt dem entgegen und verteidigt den angefochtenen Beschluß.

Die Beschwerde ist als berufungsähnliches Rechtsmittel gemäß §§ 621 e, 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässig. Sie führt zur ersatzlosen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
BR Das Amtsgericht geht zutreffend davon aus, daß die hier zur Anwendung kommende Verfahrensordnung, nämlich das FGG, dem Gericht keine Möglichkeit gewährt, eine ärztliche, psychiatrische oder psychologische Begutachtung zu erzwingen. Vielmehr hat der Gesetzgeber bewußt davon abgesehen, eine solche Vorschrift in die Prozeßordnung aufzunehmen. Dies wird daran deutlich, daß er im FGG solche Befugnisse auf die für Betreuungssachen oder Unterbringungssachen, um die es hier nicht geht, geltenden §§ 68 b und 70 e FGG beschränkt hat. Die gleichen Grundsätze gelten auch im Rahmen der ZPO, auf deren Beweisverfahren § 15 FGG ergänzend Bezug nimmt. Deutlich wird dies an der unlängst erst in die ZPO eingefügte, auf den Abstammungsprozeß beschränkte Eingriffsmöglichkeit nach § 372 a ZPO. Nach weitaus überwiegender Auffassung, der sich Senat anschließt, kommt deshalb die Begutachtung einer Person nur mit ihrer Einwilligung oder derjenigen ihres gesetzlichen Vertreters - hier der Antragsgegnerin - in Betracht (vgl. Musielak-Huber, ZPO, Rdn. 4 zu § 403 ZPO).

Diese (verfahrensmäßige) Rechtslage kann nun aber nicht dazu führen, in jedem Fall der vom Gericht für nicht sachgerecht erachteten Weigerung des Sorgeberechtigten dessen Zustimmung gemäß § 1666 BGB zu ersetzen. Nach § 1666 Abs. 3 BGB kann das Gericht zwar Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge ersetzen, jedoch nur dann, wenn dies zur Abwendung einer Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes erforderlich ist, etwa weil das Sorgerecht mißbräuchlich ausgeübt wird. Hierfür bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte, weil die Maßnahme des Amtsgerichts lediglich den Zweck hat, die von ihm für notwendig erachtete Begutachtung durch einen Sachverständigen zu ermöglichen. Dies wäre nur dann zur Abwendung einer Gefahr für die Kinder nötig, wenn schon jetzt absehbar wäre, daß sie bei einer längeren Aussetzung der Besuche beim Antragsteller ernsthaft in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung beeinträchtigt würden. Hierüber muß sich das Gericht zunächst einmal mit den sonstigen zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ein eigenes Bild machen. Erst wenn das Gericht auf diese Weise zu der Überzeugung gelangt ist, daß im konkreten Fall das Kind unter der Unterbindung von Kontakten zum anderen Elternteil leidet, gleichwohl aber eine ihm indoktrinierte Ablehnung des anderen Elternteils - entgegen seiner "wirklichen" Gefühlslage - verbalisiert, und dieser Konflikt nur durch ein Sachverständigengutachten aufgelöst oder aufgeklärt werden kann, darf der auf § 1666 BGB gestützten Ersetzung der Zustimmung des Sorgeberechtigten nähergetreten werden.

Im übrigen wird es - um gleichwohl zu einem sachgerechten Ergebnis zu gelangen - für zulässig gehalten, wenn das Gericht die betroffenen Kinder in Anwesenheit und unter Mitwirkung eines Sachverständigen anhört. Auch darauf weist der Senat vorsorglich hin.

Nach allem war die getroffene Maßnahme mit der in den §§ 13 a FGG, 131 Abs. 3 KostO vorgesehenen Kostenfolge aufzuheben.

Schreiber Kirsch Krämer