OLG Frankfurt vom 08.12.1999 (2 UF 444/98)

Normenkette: BGB 1569 ff., 242
Orientierungssatz: Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, daß dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 58. Aufl., Rdnr. 87 m.w.N.). Diese Grundsätze sind auch im Rahmen des Unterhaltsrechts anwendbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 2. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter Schreiber und die Richter Bielefeldt und Krämer aufgrund mündlicher Verhandlung vom 6. Oktober 1999 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 25. November 1998 abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Zwangsvollstreckung aus dem vor dem Amtsgericht Kassel am 7. November 1985 im Verfahren 761 F 2940/84 geschlossenen Vergleich wird für die Zeit bis 30. November 1996 für unzulässig erklärt.

Für die Zeit danach wird dieser Vergleich dahin abgeändert, daß vom 1. Dezember 1996 an die Verpflichtung zur Zahlung von Ehegattenunterhalt entfällt.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

T a t b e s t a n d :

Die Parteien haben am 31. Mai 1974 die Ehe geschlossen, die durch Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 7. November 1985 (761 F 2940/84) geschieden wurde. Im Termin zur mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren schlossen die Parteien einen Vergleich dahin, daß der Kläger an die Beklagte monatlichen Unterhalt in Höhe von 650 DM zahlen sollte. Seinerzeit verfügte der Kläger über ein monatliches Nettoeinkommen von 2.250 DM, während die Beklagte halbtags tätig war und 700 DM netto verdiente. Der Kläger leistete den vereinbarten Unterhalt bis 1987 und stellte dann seine Unterhaltszahlungen ein. Er hatte nämlich zwischenzeitlich seinen Arbeitsplatz verloren. In der Zeit vom 15. April 1987 bis zum 20. Dezember 1988 absolvierte er eine Umschulung zum Maschinenschlosser und erhielt Leistungen seitens des Arbeitsamtes von nicht mehr als 1.300 DM monatlich. In der Zeit vom 19. Dezember 1988 bis zum 31. März 1989 bildete er sich beruflich zum Dreher/Fräser fort, gleichfalls mit Unterstützung des Arbeitsamtes. Zum 3. April 1989 gelang es ihm, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, den er auch heute noch innehat.

Nach Einstellung der Zahlungen durch den Kläger hat die Beklagte ihren Lebensunterhalt durch eigene Vollzeitbeschäftigung bestritten. In den ersten Monaten des Jahres 1997 erzielte sie ein Einkommen von 2.100 DM netto.

Seit dem 1. Mai 1997 erhält sie von der LVA Hessen eine Altersrente in Höhe von 1.449 DM. Daneben bezieht sie nach ihrem ersten Ehemann eine Witwenrente, die an sich rechnerisch zwischen 820 und 839 DM ausmachen würde, die jedoch von der LVA Hessen um die titulierten Unterhaltsansprüche in Höhe von monatlich 650 DM gekürzt wurde. Gegen diesen Kürzungsbescheid hat die Beklagte fristgerecht Widerspruch eingelegt. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, weil der Ausgang dieses Unterhaltsrechtsstreits abgewartet werden soll.

Der Kläger ist seit 1990 wieder verheiratet, seine Ehefrau ist nicht berufstätig.

Der Kläger strebt im Wege der Vollstreckungsabwehrklage an, die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich für unzulässig zu erklären. Er hat dies damit begründet, daß er im Rahmen seiner zweiten Ehe durch Erwerb eines Eigenheimes erhebliche Verbindlichkeiten eingegangen sei und deshalb der Beklagten keinen Unterhalt mehr leisten könne. Im übrigen seien Unterhaltsansprüche der Beklagten verwirkt, weil sie bis zu ihrer Nachforderung durch Schreiben vom 5. Dezember 1997 volle zehn Jahre habe verstreichen lassen, ohne ihn auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch zu nehmen.

Der Kläger hat beantragt,

die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich vom 7. November 1985 für unzulässig zu erklären,

hilfsweise,

den Vergleich dahin abzuändern, daß er der Beklagten ab Rechtshängigkeit der Klage keinen Unterhalt mehr schulde,

weiter hilfsweise,

den Unterhaltsanspruch auf die Zeit bis Februar 2003 zu begrenzen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Amtsgericht hat durch das angefochtene Urteil der Klage für die Zeit bis 30. November 1997 stattgegeben, sie im übrigen abgewiesen.

Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit ihren rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufungen.

Die Beklagte macht geltend, sie habe den Rentenbescheid mit der Kürzung erst am 11. September 1997 erhalten, jedoch seien die Kürzungen rückwirkend auf den 1. April 1996 erfolgt, so daß sie gar keine Gelegenheit mehr gehabt habe, den Kläger vorher auf laufenden Unterhalt in Anspruch zu nehmen.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage für die Zeit ab 1. April 1996 abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und der Klage auch für die Zeit ab 1. Dezember 1997 stattzugeben,

hilfsweise,

den Vergleich nach den erstinstanzlich gestellten Anträgen abzuändern.

Er macht geltend, während der Zeit bis 1997 habe ein Anspruch auf Unterhalt nicht bestanden, so daß für den Unterhalt wegen Alters ein Einsatzpunkt nicht gegeben sei. Im übrigen hätte das Amtsgericht berücksichtigen müssen, daß bei der Unterhaltsbemessung eine gemischte Anrechnungs-/Differenzmethode anzuwenden gewesen wäre.

Entscheidungsgründe

Die Berufungen der Parteien sind zulässig, jedoch hat allein die Berufung des Klägers in der Sache Erfolg, wenn auch teilweise nur auf den ersten Hilfsantrag hin.

Gemäß § 767 ZPO kann aus dem Vergleich lediglich für die Zeit bis zum 30. November 1996 nicht mehr vollstreckt werden. Auf die hilfsweise erhobene Abänderungsklage hin ist der Vergleich wegen veränderter Verhältnisse für die Zeit ab 1. Dezember 1996 dahin abzuändern, daß die Verpflichtung zur Unterhaltszahlung entfällt.

Bis einschließlich 30. November 1996 greift gegenüber dem Titel jedenfalls der Einwand der Verwirkung (§ 242 BGB) durch. Ein Recht ist nämlich verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, daß dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 58. Aufl., Rdnr. 87 m.w.N.). Diese Grundsätze sind auch im Rahmen des Unterhaltsrechts anwendbar. Allerdings kann nur der Anspruch auf rückständigen Unterhalt der Verwirkung unterliegen, nicht aber das Stammrecht, also das gesetzliche Schuldverhältnis, aus dem Monat für Monat der Anspruch auf Unterhaltsrente hervorgeht (BGHZ 84, 282). Das für die Verwirkung notwendige Zeitmoment ist hier deshalb erfüllt, weil der Kläger, der seine Zahlungen aus dem Vergleich im Jahr 1987 bereits eingestellt hatte, erstmals im Dezember 1997 wieder zur Zahlung von Ehegattenunterhalt aufgefordert worden ist, also etwa 10 Jahre später. Insofern trägt die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung vom 29. Januar 1999 zwar vor, daß sie den Kläger, seitdem dieser wieder berufstätig sei, also seit 1989, des öfteren telefonisch darauf hingewiesen habe, daß sie gegenwärtig zwar ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten könne, sich jedoch ihre Ansprüche aus dem Vergleich für den Fall vorbehalte, daß sie in Not käme oder ihr durch die Nichtgeltendmachung Nachteile, etwa wegen der Kürzung der Witwenrente nach ihrem früheren Ehegatten entstehen könnten. Diese Behauptung ist aber so allgemein gehalten, daß sie als Gegenstand der beantragten Beweisaufnahme durch Vernehmung der Tochter der Beklagten nicht in Betracht kommt. Denn diese Ausführungen lassen konkrete Angaben dazu vermissen, wann und unter welchen Umständen, insbesondere auch aus welchem Anlaß solche Telefongespräche stattgefunden haben; deshalb ist es dem Kläger nicht möglich, seinerseits im einzelnen hierzu Stellung zu nehmen.

Auch das Umstandsmoment ist hier gegeben, nämlich das durch das Verhalten der Beklagten gerechtfertigte Vertrauen des Klägers dahin, daß jedenfalls rückständiger Unterhalt nicht mehr geltend gemacht und vollstreckt werden würde. Dies würde auch nach dem Inhalt der behaupteten Telefongespräche gelten, weil diese eigentlich nur vorsorglich für den Fall der Bedürftigkeit die Rechte vorbehalten sollten. Zu keinem Zeitpunkt hat die Beklagte den Kläger darauf hingewiesen, daß sie voraussichtlich bedürftig werden würde. Der Hinweis auf die Kürzung der Witwenrente kann nach ihrem eigenen Vorbringen ohnehin erst im zeitlichen Zusammenhang mit dem Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 5. Dezember 1997 an den Kläger erfolgt sein, weil sie selbst vorher von der Kürzungsmöglichkeit offenkundig keine Kenntnis hatte.

Der Senat geht davon aus, daß Unterhaltsansprüche in der Regel zeitnah geltend zu machen sind, vor allem schon deshalb, weil ansonsten Unterhaltsrückstände zu einer den Unterhaltsverpflichtenden überfordernden Schuldenlast anwachsen können und seine Leistungsfähigkeit für den laufenden Unterhalt beeinträchtigen können. Diese Gründe sind so gewichtig, daß das Zeitmoment für die Verwirkung des Unterhalts auch erfüllt ist, soweit die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die mehr als ein Jahr nach erneuter Geltendmachung zurückliegen (vgl. zum Ganzen Senat in FamRZ 1999, 1163 - vom BGH durch Beschluß vom 16. Juni 1999 bestätigt - Der Amtsvormund 1999, 711). Dieses Zeitmoment kann aber für die ersten zwölf Monate vor erneuter Zahlungsaufforderung nicht erfüllt sein, weil der Unterhaltsanspruch für den laufenden Unterhalt jeden Monat neu entsteht.

Dies bedeutet hier, daß die Verwirkung sich nur auf die Zeit bis zum 30. November 1996 beziehen kann, da Anfang Dezember 1997 wieder Unterhaltsansprüche seitens der Beklagten geltend gemacht worden sind.

Für den Zeitraum danach greift allerdings der auf Abänderung des Vergleichs gerichtete erste Hilfsantrag des Klägers durch.

Für die Zeit bis zum 30. April 1997, also bis zum Beginn der Altersrente der Beklagten hatten sich die seinerzeit dem Vergleich zugrunde gelegten Umstände deswegen maßgeblich verändert, weil die Beklagte nicht wie seinerzeit nur halbtags beschäftigt, sondern schon seit längerem, möglicherweise schon seit 1987/1988 vollschichtig arbeitete. Aus diesem Grunde entfällt ihr Unterhaltsanspruch für diesen Zeitraum vollständig, weil sie ihren eigenen eheangemessenen Bedarf durch ihr monatliches Nettoeinkommen von 2.100 DM bestreiten konnte, wie sie selbst in der Berufungsbegründung ausführt. Der Beklagte hat bei Steuerklasse III in den Jahren 1997 und 1998 durchgängig 3.450 DM netto verdient. Dies entspricht einem Bruttoeinkommen von etwa 5.100 DM, wie sich auch aus den vorgelegten Lohnkonten ergibt. Allerdings ist im Verhältnis des Klägers zu der Beklagten eine Versteuerung lediglich nach der Steuerklasse I/IV zu berücksichtigen, weil die Vorteile durch die Einordnung in Steuerklasse III der hier grundsätzlich nachrangigen zweiten Ehefrau des Klägers zugute kommen sollen. In Anwendung der Steuerklasse I errechnet sich ein Nettoeinkommen von etwa 2.860 DM. Dieses Einkommen ist noch um die unstreitigen Bereinigungspositionen (Gewerkschaftsbeitrag 32 DM, Kapitallebensversicherung 257 DM und Gebäudeversicherung 18 DM) auf 2.553 DM monatlich zu vermindern. Für Unterhaltszwecke stehen damit 2.553 DM monatlich zur Verfügung. Hiervon sind wegen des Erwerbstätigenbonus nur 6/7 zu berücksichtigen, mithin 2.188 DM.

Allerdings kann vom Einkommen der Beklagten bei der Bedarfsermittlung nur das durch eine Halbtagstätigkeit erzielte Gehalt in die Ermittlung der Quote einfließen, weil die Beklagte während der Ehe und auch noch bei Abschluß des Vergleichs teilzeitbeschäftigt war, im übrigen ist die Anrechnungsmethode anzuwenden. Einem Nettoeinkommen von 2.100 DM entsprach 1997 ein Bruttoeinkommen (Steuerklasse I) von etwa 3.460 DM. Ein Bruttoeinkommen in Höhe der Hälfte hiervon, also von 1.730 DM führte zu einem Nettoeinkommen von etwa 1.300 DM, 6/7 hiervon belaufen sich auf 1.114 DM. Damit ergab sich eine Einkommensdifferenz von (2.188 DM - 1.114 DM =) 1.074 DM. Auf die Hälfte hiervon, also auf 537 DM sind 6/7 des Unterschiedsbetrag zwischen Teilzeit- und Vollzeittätigkeit mithin 686 DM anzurechnen, so daß der eheangemessene Bedarf als gedeckt anzusehen ist, solange die Beklagte im Erwerbsleben stand.

Für die Zeit nach dem 1. Mai 1997 steht der Beklagten deshalb auch kein Unterhaltsanspruch wegen Alters nach § 1571 BGB zu, obwohl sie seitdem eine Altersrente bezieht und eine Erwerbstätigkeit von ihr nicht mehr erwartet werden kann. Denn bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit wegen Alters lag keiner der in § 1571 BGB genannten Einsatzzeitpunkte vor, weil der frühere Unterhaltsanspruch nach § 1573 BGB, der durch den Vergleich festgelegt worden war, längst durch die Ausdehnung der Erwerbstätigkeit entfallen war. Dadurch, daß dieser Zustand sich über Jahre erstreckte, muß ihr eheangemessener Unterhalt auch als nachhaltig gesichert im Sinne von § 1573 Abs. 4 BGB betrachtet werden; Umstände, die eine andere Wertung erlaubten, sind jedenfalls nicht erkennbar gemacht worden.

Nach allem war der Berufung des Klägers stattzugeben, da Haupt- und Hilfsantrag im Ergebnis dasselbe Ziel verfolgten.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 2, 97 ZPO. Der Umstand, daß die Berufung teilweise nur im Hilfsantrag erfolgreich war, ist kostenrechtlich ohne Belang. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Schreiber Bielefeldt Krämer