OLG Frankfurt vom 07.01.1999 (2 UF 273/98)

Stichworte: Wiedereinsetzung Büroorganisation Fristenkontrolle Berufung isolierter PKH-Antrag
Normenkette: ZPO 233, 234 Abs. 1, 2
Orientierungssatz: Bestand bei Beantragung der isolierten Prozeßkostenhilfe erklärtermaßen bereits die Absicht, nach ihrer Bewilligung Berufung einzulegen, dann kann der Anwalt die Wahrung der Fristen unschwer dadurch sicherstellen, daß er im Zusammenhang mit der Stellung des Antrages auf Prozeßkostenhilfe zugleich in seinen Handakten selbst die Notwendigkeit der Fristwahrung auffällig vermerkt.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 2. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Schreiber und die Richter Bielefeldt und Kirsch am 7. Januar 1999 beschlossen:

Die Berufung der Beklagten wird verworfen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der im Wiedereinsetzungsverfahren entstandenen Kosten.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.600,00 DM festgesetzt.

G r ü n d e :

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben, die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich des Amtsgerichts Kassel vom 20.3.1997 wegen monatlichen Sonderbedarfs von 300,00 DM für die Zeit ab 1.1.1998 für unzulässig zu erklären. Das Urteil ist der Beklagten am 23.7.1998 zugestellt worden. Mit am 24.8.1998, einem Montag, eingegangenem Schriftsatz - überschrieben: Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe - beantragte die Beklagte die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren und formulierte weiter: "Nach Bewilligung der Prozeßkostenhilfe beantrage ich bereits jetzt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und lege zugleich Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht Kassel, 541 F 957/98 ein und werde beantragen, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen." Anschließend führte die Beklagte ihre Angriffe gegen das angefochtene Urteil aus.

Mit Beschluß vom 5.10.1998 bewilligte der Senat die beantragte Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren, der Beschluß wurde der Beklagten am 13.10.1998 (vgl. das Empfangsbekenntnis des Prozeßbevollmächtigten Bl. 98 d.A.) zugestellt. Am 3.11.1998 wies der Senat darauf hin, daß "bis heute" Berufungs- und Wiedereinsetzungsgesuch nicht eingegangen seien und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit am 16.11.1998 eingegangenem Schriftsatz beantragt die Beklagte nunmehr Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist sowie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legt zugleich Berufung ein. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs führt sie aus, daß eine seit langen Jahren angestellte, zuverlässige Bürokraft die Wiedereinsetzungs- und Berufungsfrist nicht notiert habe, obwohl insoweit im einzelnen näher dargestellte Anweisung bestünden. Zugleich legt eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin vor. Daneben wird von der Beklagten die Auffassung vertreten, daß bereits mit Schriftsatz vom 24.8.1998 nicht nur Prozeßkostenhilfe beantragt, sondern zugleich unbedingte Berufung eingelegt worden sei.

Die Berufung der Beklagten ist gem. § 519 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil sie verspätet eingelegt worden ist und Wiedereinsetzung nicht gewährt werden kann.

Die Monatsfrist für die Berufung gegen das angefochtene Urteil lief ab Zustellung (23.7.1998). Die am 16.11.1998 eingelegte Berufung ist damit verspätet. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gemäß §§ 233 ff. ZPO kann nicht gewährt werden, denn die dafür in § 234 Abs. 1, 2 ZPO bestimmte Frist von 2 Wochen ist ebenfalls nicht eingehalten. Mit der Bewilligung der Prozeßkostenhilfe durch den Senat und der Kenntnis der Beklagten davon durch Zustellung dieses Beschlusses am 13.10.1998 war das durch die Kostenarmut der Beklagten gegebene Hindernis beseitigt, die Frist für die Stellung des Antrages auf Wiedereinsetzung lief demgemäß am 27.10.1998 ab. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist jedoch erst am 16.11.1998, somit ebenfalls verspätet eingegangen.

Im Schriftsatz vom 24.8.1998 kann entgegen der Auffassung der Beklagten die wirksame Einlegung von Berufung nicht gesehen werden. Vielmehr handelt es sich um eine bedingte Berufungseinlegung, die unzulässig ist. Zwar hat die höchstrichterliche Rechtsprechung in weitgehender Wiese darauf Rücksicht genommen, daß die Verbindung von Rechtsmittelneinlegung und Prozeßkostenhilfegesuch möglich bleibt; immer ist aber auch darauf hingewiesen worden, daß bei dieser Vorgehensweise das Risiko besteht, daß die Unbedingtheit der Prozeßhandlung verkannt wird. Danach muß der Rechtsmittelführer alles vermeiden, was den Eindruck erweckt, er wolle die Prozeßhandlung von der Gewährung der Prozeßkostenhilfe abhängig machen (vgl. BGH FamRZ 86, 1087 = NJW RR 87, 376; Beschluß des Senats vom 8.12.1994 - 2 UF 99/94). Das Gegenteil ist aber im Schriftsatz vom 24.8.1998 geschehen: Der Schriftsatz ist bereits überschrieben: "Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe". Wenn dann weiter formuliert wird: "Nach Bewilligung der Prozeßkostenhilfe beantrage ich bereits jetzt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und lege zugleich Berufung ... ein" bedeutet das der Sache nach nichts anderes, daß für den Fall, daß Prozeßkostenhilfe gewährt wird, diese Anträge gestellt werden, sie setzen die ungewisse Tatsache der Bewilligung der Prozeßkostenhilfe voraus. Eine wirksame Berufungseinlegung zusammen mit dem Antrag auf Prozeßkostenhilfe wäre etwa dann gegeben, wenn aus dem Schriftsatz auf den Willen geschlossen werden könnte, daß lediglich die Absicht zum Ausdruck gebracht werden sollte, die Berufung im Fall der Ablehnung des Prozeßkostenhilfeantrags zurückzunehmen (vgl. BGH, VersR 93, 713). Ein solcher Wille kommt aber in den gewählten Formulierungen gerade nicht zum Ausdruck. Die vom Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (NJW 97, 2941; 93,1635), wonach Parteien der Zugang zu einer Instanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden darf, betreffen andere Sachverhalte und vermögen die hier getroffene Wertung nicht in Frage zu stellen.

Aber auch Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist selbst kann nicht bewilligt werden, denn die Beklagte war nicht ohne ihr Verschulden verhindert (§ 233 ZPO), die Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsgesuchs einzuhalten. Die Versäumung dieser Frist ist auf ein Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten zurückzuführen, das die Beklagte sich wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muß (§ 85 Abs. 2 ZPO). Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten beruft sich allerdings darauf, daß in seinem Büro Anweisung bestehe, bei Prozeßkostenhilfegesuchen zur Erlangung von Prozeßkostenhilfe für eine Berufung nicht nur die Fristen zur Berufungseinlegung, sondern auch die zur Anbringung eines Wiedereinsetzungsgesuchs zur Berufungseinlegung nach Eingang des Beschlusses über die Prozeßkostenhilfe mit zwei Wochen zu notieren. In diesen Fällen sei nicht nur die Notfrist zur Berufungseinlegung und nachfolgend die Frist zur Rechtsmittelbegründung zu notieren, sondern ein Vermerk in der Akte anzubringen mit Hinweis auf die Notwendigkeit der Stellung eines Wiedereinsetzungsgesuchs. Die Anweisung gehe weiter dahin, sobald in dieser Sache der Prozeßkostenhilfebeschluß vorliege, ab Eingang die Wiedereinsetzungsfrist als Rotfrist mit entsprechender Vorfrist zu notieren und die Akte mit Eingang dem zuständigen Sachbearbeiter nicht nur mit dem Eingang, sondern taggenau zu den notierten Fristen vorzulegen. Dies habe die ansonsten seit mehr als 20 Jahren zuverlässig arbeitende Büroangestellte aus nicht nachvollziehbaren Gründen versäumt.

Damit vermag der Anwalt sich jedoch nicht ausreichend zu entlasten. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung darf sich ein Rechtsanwalt zwar grundsätzlich von der routinemäßigen Fristberechnung und Fristkontrolle durch Übertragung dieser Tätigkeit auf zuverlässige, die Fristen sorgfältig überwachende Bürokräfte entlasten. Die vom Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zu dem hier vorliegenden Fall eines isolierten Prozeßkostenhilfegesuchs für eine fristgebundene Berufung eingerichtete Organisation reicht nach Auffassung des Senats aber zu seiner Entlastung nicht aus. Mit ihr hat der Prozeßbevollmächtigte nicht alles ihm Zumutbare getan, um die Wahrung der Fristen bei einem isolierten Prozeßkostenhilfegesuch zu sichern. Denn bei Beantragung der isolierten Prozeßkostenhilfe bestand erklärtermaßen bereits die Absicht, nach ihrer Bewilligung Berufung einzulegen. In diesem Fall kann der Anwalt die Wahrung der Fristen unschwer dadurch sicherstellen, daß er im Zusammenhang mit der Stellung des Antrages auf Prozeßkostenhilfe zugleich in seinen Handakten selbst die Notwendigkeit der Fristwahrung auffällig vermerkt. Nur so kann nach Auffassung des Senats der Gefahr ausreichend vorgebeugt werden, daß - wie dies hier offenbar geschehen ist - ein die Wiedereinsetzungsfrist in Gang setzender Prozeßkostenhilfebeschluß in seiner Bedeutung übersehen wird. Die vom Prozeßbevollmächtigten der Beklagten für Fälle dieser Art gegebenen Anweisungen stellen zwar durchaus eine Vorsichtsmaßnahme dar, die aber nach Auffassung des Senats deshalb nicht genügen kann, weil die für die Fristwahrung entscheidende Maßnahme mit dem von dem Posteingang beschäftigten Angestellten erwartet wird; er soll Schriftstücke daraufhin überprüfen, ob sie Berufungssachen betreffen und Prozeßkostenhilfeentscheidungen enthalten, obwohl seine eigentliche Aufgabe das Sortieren und Verteilen der eingehenden Post ist. Eine weitere Kontrolle findet nicht statt, ist jedenfalls nicht dargetan, da jeder Hinweis in oder auf der Handakte fehlt (vgl. schon Beschluß des Senats vom 22.2.1994 -2 UF 335/93).

Davon abgesehen hält der Senat den Prozeßbevollmächtigten, der den Empfang eines Prozeßkostenhilfebeschlusses bestätigt, auch für verpflichtet, seine Handakten selber mit einem Fristvermerk zu versehen, wenn das bis dahin aufgrund der von ihm grundsätzlich vorgesehenen Organisation nicht durch Angestellte, für den Anwalt aus den Handakten erkennbar, geschehen ist (vgl. dazu BGH VersR 91, 124; 85, 147; 80, 764 mit weiteren Hinweisen).

Es kommt deshalb nach Auffassung des Senats nicht mehr darauf an, ob nicht außerdem dadurch die eigene Verpflichtung des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zur Fristkontrolle eingesetzt hat, weil einem Sozius der Kanzlei die Akten bei Ablauf der ab Zustellung des Prozeßkostenhilfe bewilligenden Beschlusses am 13.10.1998 bis 27.10.1998 laufenden Wiedereinsetzungsfrist vorgelegen haben. Aus den Gerichtsakten ergibt sich nämlich insoweit, daß für die Beklagte unter dem Datum des 23.10.1998 ein Schriftsatz an das erstinstanzliche Gericht mit dem Antrag auf rückwirkende Bewilligung von Prozeßkostenhilfe gerichtet worden ist und insoweit ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, "daß seitens des OLG Prozeßkostenhilfe für die Berufung bewilligt wurde. Prozeßkostenhilfebewilligungsbeschluß füge ich bei". Die Akten sind damit dem Prozeßbevollmächtigten zwar nicht im Rahmen einer fristgebundenen Maßnahme vorgelegt worden, wohl hatte er selbst aber den Prozeßkostenhilfebeschluß des Senats in seiner Argumentation für die Erlangung von Prozeßkostenhilfe für die erste Instanz einbezogen und sogar dem Schriftsatz beigefügt. Unter diesen Umständen mußte dem Prozeßbevollmächtigte nach Auffassung des Senats das Bestehen einer Wiedereinsetzungsfrist auffallen und er dem Rechnung tragen (vgl. BGH VersR 71, 1125; 64, 269).

Nach allem konnte Wiedereinsetzung nicht gewährt werden, so daß die Berufung mit der Kostenfolge aus §§ 97, 238 Abs. 4 ZPO als unzulässig zu verwerfen war.

Schreiber Kirsch Bielefeldt