OLG Frankfurt vom 17.02.2004 (2 UF 181/03)

Stichworte: Ersatzhaftung, Großeltern, Teilschuldner, Gleichrang, Darlegung, Einkommen Großeltern, Ersatzhaftung, Haftungsverteilung.
Normenkette: BGB 1607,1606,1603,1601
Orientierungssatz: 1) Die Ersatzhaftung nach § 1607 BGB trifft nicht nur die Eltern des ausgefallenen, baruterhaltspflichten Vaters des Kindes d.h. die Großeltern väterlicherseits, sondern gleichrangig, als Teilschuldner auch die Großeltern mütterlicherseits. 2) Zu einem schlüssigen Klagevortrag bei der Inanspruchnahme der Großeltern väterlicherseits gehört daher auch die Darlegung der Einkommensituation der Großeltern mütterlicherseits.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 2. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Schweitzer als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2003 für Recht erkannt:

Die Berufung des Klägers gegen das am 29. April 2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Kassel wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der am 21.10.1991 geborene Kläger nimmt den Beklagten, seinen Großvater väterlicherseits, auf Unterhalt in Anspruch, nachdem er außergerichtlich erfolglos versucht hat, gegenüber seinem Vater, dem Sohn des Beklagten, Unterhalt geltend zu machen und dieser ihm im November 2001 mitgeteilt hat, dass er Sozialhilfe beziehe und Unterhaltsansprüche, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, gegenüber dem Vater des Klägers aufgrund dessen wirtschaftlicher Situation nicht realisierbar sind.

Mit Urteil vom 3. April 2003 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Kassel die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass zwar die Voraussetzungen für eine Ersatzhaftung des Beklagten nach § 1607 Abs. 1 und 2 BGB vorlägen, dass jedoch neben dem Beklagten als Großvater väterlicherseits auch die Großeltern mütterlicherseits gleichrangig für den Unterhalt des Kläger, und zwar als Teilschuldner, haften würden, der Kläger jedoch mit seiner Klage gegenüber dem Beklagten die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Großeltern mütterlicherseits nicht dargelegt habe, so dass mangels ausreichenden Vortrags des Klägers ein Unterhaltsanspruch des Beklagten nicht bestimmbar sei.

Insoweit wird auch hinsichtlich des Sach- und Streitstandes in vollem Umfang auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, für die ihm gegen die Versäumung der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden ist.

Er greift das Urteil im wesentlichen mit der Ansicht an, nach § 1607 Abs. 1 BGB wäre nur der Beklagte als Großvater väterlicherseits, nicht aber auch die Großeltern mütterlicherseits, für den Unterhalt des Klägers eintrittspflichtig, da sich die Unterhaltspflicht des Vaters des Klägers nur in dessen Linie, d. h. in der väterlichen Linie fortsetze und daher ausschließlich der Großvater väterlicherseits dem Kläger zum Unterhalt verpflichtet sei, nachdem unstreitig geworden sei, dass die Großmutter väterlicherseits zu Unterhaltszahlungen an den Kläger nicht leistungsfähig sei.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Familiengerichts Kassel vom 29.04.2003 Aktenzeichen: 540 F 201/02 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen,

an den Kläger für die Zeit vom 01.10. bis 31.12.01 Unterhalt in Höhe von monatlich 465,00 DM,

für die Zeit vom 01.01.02 bis 30.06.03 Unterhalt in Höhe von monatlich 231,00 Euro,

ab Juli 2003 Unterhalt in Höhe von monatlich 249,00 Euro zu zahlen und ab Oktober 2003 in Höhe von monatlich 307,00 Euro.

Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und teilt die dort zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht.

II.

Die nach Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässige Berufung des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen. Denn das Familiengericht hat zu Recht die Klage des Klägers in dem angefochtenen Urteil abgewiesen.

Zwar hat der Kläger zu Recht den Beklagten als seinen Großvater auf Unterhalt in Anspruch genommen, nachdem sein, ihm eigentlich barunterhaltspflichtiger Vater nach § 1607 Abs. 1 BGB als nicht leistungsfähig anzusehen ist bzw. nach § 1607 Abs. 2 BGB die Rechtsverfolgung gegen ihn als erheblich erschwert anzusehen ist und auch, was wohl zwischen den Parteien unstreitig ist, auch seine ihn betreuende Mutter zur Leistung des Barunterhaltes nach § 1607 Abs. 1 BGB nicht in der Lage ist. Insoweit sei am Rande erwähnt, dass auch die den Kläger betreuende Mutter trotz der Bestimmung des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB, nach der sie in der Regel ihre Verpflichtung zum Unterhalt des Kindes durch Pflege und Erziehung des Kindes (Betreuungsunterhalt) erfüllt, auch im Verhältnis zu den Großeltern nach § 1606 Abs. 2 BGB vorrangig dem Kläger zum Unterhalt verpflichtet ist (vgl. Landgericht Kleve FamRZ 1988, 1085;AG Leverkusen FamRZ 2003, 627, 628; Staudinger/Engler (2000) § 1607 Rdz. 5).

Gleichwohl hat das Amtsgericht die Unterhaltsklage des Klägers gegenüber seinem Großvater väterlicherseits zu Recht mangels ausreichender Darlegung der Einkommens- und Vermögenssituation der Großeltern mütterlicherseits abgewiesen, da der hier auf Unterhalt in Anspruch genommene Großvater väterlicherseits gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB nur neben den Großeltern mütterlicherseits in Form einer Teilschuld anteilig haftet, so dass sich der Umfang des Anspruches gegen ihn nur ermitteln lässt, wenn sich auch der Anspruch gegen die Großeltern mütterlicherseits aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse bestimmen lässt, da der Umfang der Ansprüche aufgrund der Teilschuld voneinander abhängig ist. Wie auch bei der Inanspruchnahme eines Elternteils durch ein volljähriges Kind hat auch hier der Kläger die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der anderen gleichrangig als Teilunterhaltsschuldner Verpflichteten darzulegen. Insoweit steht ihm auch ein Auskunftsanspruch nach § 1605 BGB gegenüber den anderen Großeltern zu. Da er dieser Darlegungslast nicht genügt hat, hat das Familiengericht zu Recht seine Unterhaltsklage als unbegründet abgewiesen.

Anders wäre nur zu entscheiden, wenn die Ansicht des Berufungsklägers zuträfe, dass § 1607 Abs. 1 BGB dahin zu verstehen ist, dass nicht beide Großeltern sowohl in der väterlichen Linie wie auch in der mütterlichen Linie dem Enkelkind zum Unterhalt verpflichtet sind, wenn dessen Eltern mangels Leistungsfähigkeit in der Unterhaltskette ausscheiden, sondern dass nur die Verwandten in der Linie des barunterhaltspflichtigen Vaters für den Barunterhalt haften.

Dem ist jedoch nicht zu folgen. Denn aus Struktur und Systematik des Unterhaltsrechtes in §§ 1606, 1607 BGB folgt, dass die beiderseitigen Großeltern und dann selbstverständlich gleichrangig nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB für den Unterhalt ihres Enkelkindes haften und die Eltern der betreuenden Mutter keinesfalls davon ausgeschlossen sind (Johannsen/Henrich/Graba Eherecht 4. Aufl., § 1607 Rdz. 3, DIV-Gutachten vom 01.03.1998 in DAVorm 1989, 361, 362, AG Leverkusen FamRZ 2003, 627, 628). Einzuräumen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift des § 1607 Abs. 1 BGB mit der Verwendung des Singular eine Auslegung nahe legt, dass lediglich der in der Linie des ausgefallenen Unterhaltsverpflichteten nachrückende Verwandte eintrittspflichtig wird. Dem widerspricht jedoch eindeutig die Rangregelung des § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB, nach der mehrere gleichnahe Verwandten anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen für den Unterhalt haften. Insoweit treten nämlich die nach § 1607 Abs. 1 BGB herangezogenen Unterhaltspflichtigen Verwandten nicht für den vorrangig ausgefallenen Unterhaltsverpflichteten ein, sondern stellen lediglich ein Glied in der allgemeinen unterhaltsrechtlichen Haftungskette dar, die sich ausschließlich aus der Sicht des Unterhaltsberechtigten bestimmt und in der die nicht leistungsfähigen, vorrangig Unterhaltsverpflichteten völlig entfallen. Eindeutig ergibt sich dies auch aus dem Umstand, dass, wie bereits ausgeführt, die Großeltern väterlicherseits nicht bereits eintrittspflichtig werden, wenn ihr barunterhaltspflichtiger Sohn nicht leistungsfähig ist, sondern nur verpflichtet werden, wenn auch die Mutter des Kindes, die gegenüber auch den Großeltern väterlicherseits vorrangig haftet, den Barunterhalt mangels Leistungsfähigkeit nicht erbringen kann. Wenn aber der Unterhaltsvorrang der primär nur betreuungsunterhaltspflichtigen Mutter, soweit sie leistungsfähig ist, einen Rückgriff auf die Großeltern väterlicherseits ausschließt, dann ist nicht nachvollziehbar, warum die Unterhaltshaftung sich dann nur in der väterlichen Linie fortsetzen soll, die Großeltern mütterlicherseits jedoch von der Ausfallhaftung nach § 1607 Abs. 1 BGB verschont bleiben sollen.

Damit ist von einer anteiligen Haftung nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB auch der Großeltern mütterlicherseits des Klägers auszugehen, so dass deren Umfang die Unterhaltspflicht des Großvaters väterlicherseits bestimmt und mithin diese von den Einkommens- und Wirtschaftsverhältnisse der Großeltern mütterlicherseits abhängt, so dass die Klage mangels diesbezüglichen Vortrags des insoweit darlegungsbelasteten Klägers als unbegründet abzuweisen war.

Mit Zurückweisung der Berufung waren dem Berufungskläger gemäß § 97 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Ziffer 10 ZPO.

III.

Auf Antrag des Berufungsklägers war nach § 543 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO die Revision zuzulassen, da die hier entscheidende Rechtsfrage nach Auffassung des Senates grundsätzliche Bedeutung hat, in der Praxis unterschiedlich beantwortet wird und bisher weder obergerichtlich noch höchstrichterlich entschieden worden ist.

Schweitzer