OLG Frankfurt vom 09.12.1998 (2 UF 128/98)

Stichworte: Sorgerecht gemeinsame elterliche Sorge Kindeswohl Neufassung Fortsetzungsantrag Angelegenheiten des täglichen Lebens
Normenkette: BGB 1671, 1687 n. F., KindRG Art. 15 Par. 2 Abs. 4
Orientierungssatz: Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, das Abweichen von der gemeinsamen Sorge von dem Vorliegen besonderer Voraussetzungen abhängig zu machen, sondern erhebt allein wie schon im bisher geltenden Recht das Kindeswohl zum Maßstab der gerichtlichen Entscheidung.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 2. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter Schreiber und die Richter Krämer und Bloch am 9. Dezember 1998 beschlossen:

Die Beschwerden der Parteien gegen die Sorgerechtsregelung im Verbundurteil des Amtsgerichts Marburg vom 2. April 1998 (Abs. 2 des Urteilstenors) werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß R. B. in der Obhut der Antragstellerin verbleibt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben (Gegenstandswert: 1.500 DM).

G r ü n d e :

Die Parteien haben am 21. September 1990 die Ehe geschlossen, aus der das Kind R. B., geboren am 12. März 1991 hervorgegangen ist. Seit der Trennung, die spätestens im Sommer 1996 stattgefunden hat, lebt R. bei der Antragstellerin. Im Hinblick auf die Ehescheidung haben die Parteien am 6. Februar 1997 vor dem Notar Hans Hermann, Marburg (Nr. 39 der Urkundenrolle für 1997) eine Vereinbarung unter anderem auch über die elterliche Sorge getroffen. Hiernach sollte dem Familiengericht vorgeschlagen werden, das Sorgerecht beiden Parteien zu belassen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht haben beide Parteien jedoch die Übertragung des alleinigen Sorgerechts jeweils auf sich beantragt. Die Vertretung des Jugendamtes hat sich für das gemeinsame Sorgerecht der Parteien ausgesprochen.

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht die Ehe geschieden und die elterliche Sorge für R. beiden Parteien belassen.

Hiergegen wenden sich beide Parteien mit ihren rechtzeitig eingelegten Beschwerden, mit der sie jeweils die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf sich anstreben. Während der Antragsgegner seine Beschwerde rechtzeitig begründet hat, fehlt es an einer Beschwerdebegründung der Antragstellerin. Die Antragstellerin ist inzwischen Mutter eines weiteren Kindes und hat kürzlich den Vater dieses Kindes geheiratet, der marrokkanischer Staatsangehöriger ist und in Marburg ein Promotionsstudium absolviert. Auch der Antragsgegner selbst ist eine neue Beziehung eingegangen; seine neue Partnerin hat ein Kind mit in die Lebensgemeinschaft eingebracht.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zwar mangels Begründung gemäß §§ 621 e Abs. 3 Satz 2, 519 ZPO unzulässig. Allerdings ist wegen der zulässigen Beschwerde des Antragsgegners unabhängig hiervon zu prüfen, welche Sorgerechtsregelung für das Kindeswohl zweckmäßig ist. Der gemäß Art. 15 § 2 Abs. 4 KindRG erforderliche Fortsetzungsantrag ist in der am 21. Juli 1998 bei Gericht eingegangenen Beschwerdebegründungsschrift zu sehen.

Nach Auffassung des Senats ist das Sorgerecht beiden Parteien gemeinsam zu belassen, allerdings mit der Maßgabe, daß das Kind in die Obhut der Antragstellerin gegeben wird.

Bei der Sorgerechtsregelung hat der Senat nunmehr die am 1. Juli 1998 in Kraft getretene Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge zu berücksichtigen. Nach § 1671 BGB n. F. kommt die Sorgerechtsübertragung auf einen Elternteil nur noch auf Antrag oder im Rahmen einer Schutzmaßnahme nach § 1666 BGB n. F. in Betracht. Zunächst bedeutet dies zwar nur die Abschaffung des Zwangsverbundes zwischen Ehescheidung und Sorgerechtsentscheidung. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, das Abweichen von der gemeinsamen Sorge von dem Vorliegen besonderer Voraussetzungen abhängig zu machen, sondern erhebt allein wie schon im bisher geltenden Recht das Kindeswohl zum Maßstab der gerichtlichen Entscheidung. Allerdings muß auch im Rahmen der Sorgerechtsentscheidung, die bei Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf einen Elternteil immer auch in die Rechtsposition des anderen eingreift, der allgemein die Rechtsordnung beherrschende Grundsatz berücksichtigt werden, daß Rechte einzelner nur insoweit beschränkt werden dürfen als eine Güterabwägung dies zugunsten anderer, hier des Kindes, gebietet. In Anwendung dieses allgemein zu beachtenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eines staatlichen Eingriffs hat das Gericht daher immer zu prüfen, ob im Einzelfall unter Würdigung aller Umstände auch weniger einschneidende Maßnahmen für die Erreichung des angestrebten Zieles ausreichen. Diesen generellen Erwägungen, die auch Verfassungsrang haben, hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung Rechnung tragen wollen. Der Senat leitet daraus her, daß es im allgemeinen genügen wird, das Kind in die Obhut eines Elternteils zu geben, das Sorgerecht aber beiden Eltern zu belassen. § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB n. F. bietet die Gewähr dafür, daß derm Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen oder aufgrund gerichtlicher Entscheidung aufhält, die alleinige Befugnis zu Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens zukommt. Hierbei handelt es sich um Angelegenheiten, die häufig vorkommen und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben sowie die tatsächliche Betreuung betreffen. Die Abgrenzung mag im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Zu den Angelegenheiten, die der gemeinsamen Entscheidung vorbehalten bleiben, dürften im Regelfall jedenfalls Schulwahl, Ausbildungsverträge, Übersiedlung ins Ausland, Zustimmung zu einer lebensgefährlichen Operation und ähnlich schwerwiegende Entscheidungen mit weitreichenden und nur schwer umkehrbaren Folgen gehören (vgl. die Zusammenstellung bei Schwab FamRZ 1998, 457, 469). Im allgemeinen erscheint es, auch im Interesse des Kindes, geboten, beide Elternteile an diesen Entscheidungsvorgängen zu beteiligen, weil dem Kind auf diese Weise vermittelt wird, daß der andere Elternteil nicht nur im Rahmen der Umgangsregelung am Leben des Kindes teilnimmt, sondern in wichtigen Fragen mitverantwortlich ist. Die Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil allein kann deshalb im Ergebnis nur noch in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Insofern genügen Streitigkeiten zwischen den Eltern, aus denen das Kind herausgehalten wird, nicht. Dies gilt vor allem für solche, die durch die Trennungssituation der Eltern gekennzeichnet sind. Insofern erwartet der Gesetzgeber von den Eltern, Streitigkeiten nicht auf dem Rücken der Kinder auszutragen.

Wendet man diese Grundsätze im vorliegenden Verfahren an, so bestehen im Hinblick auf das Kindeswohl keine durchgreifenden Bedenken, beiden Eltern das gemeinsame Sorgerecht zu überlassen, auch wenn zwischen ihnen inzwischen nicht mehr die Einigkeit herrscht, die seinerzeit zum Abschluß der notariellen Vereinbarung vom 7. Februar 1997 geführt hat. Auch mag es im Zusammenhang mit den diesjährigen Oster- und Sommerferien zu Auseinandersetzungen über den Aufenthalt des Kindes gekommen sein, in die der Senat durch einstweilige Anordnung eingreifen mußte. Wie die Anhörung des Kindes vor dem Amtsgericht ergeben hat, hat R. zu beiden Parteien starke Bindungen, die dadurch noch unterstützt werden können, daß R. das Gefühl gewinnt, daß beide Eltern, auch ihr Vater, bei dem sie nicht lebt, bei der Gestaltung ihres Lebens und ihrer Entwicklung mitzureden hat. Insbesondere kann es nicht einseitig der Antragstellerin überlassen bleiben, ob sie in Deutschland leben bleibt oder ihren dauerhaften Wohnsitz mit dem Kind im Ausland nehmen wird. Vielmehr würde ein solcher Schritt eine einvernehmliche Regelung voraussetzen, die den ausgeprägten Bindungen zwischen Vater und Tochter Rechnung trägt, deren Aufrechterhaltung für die Entwicklung des Kindes notwendig ist. Der Antragstellerin verbleibt immerhin die ihr vom Gesetz eingeräumte Befugnis, abgesehen von den bereits genannten schwerwiegenden Entscheidungen das Kind in ihrem Sinne zu erziehen. Hierfür ist die weiterreichende Übertragung des gesamten Sorgerechts nicht erforderlich.

Nach allem waren die Beschwerden mit der Kostenfolge des § 93a ZPO zurückzuweisen.

Schreiber Bloch Krämer