OLG Frankfurt vom 10.05.1999 (28 U 6/95)

Stichworte: Ermittlungsgrundsatz Vaterschaftsfeststellungsverfahren
Normenkette: ZPO 640, 616 Abs. 1 StPO 244
Orientierungssatz: Die Abstammung des vor dem 01.07.1998 geborenen Kindes richtet sich gem. Art 224 1 Abs.1 EGBGB trotz der ab 01.07.1998 in Kraft getretenen Rechtsänderung nach den bisherigen Vorschriften, wobei allerdings die neue Vorschrift des 1600 d BGB n. F. inhaltlich mit der hier einschlägigen Vorschrift des 1600 o BGB a. F. identisch ist.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In dem Rechtsstreit

hat der 28. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Hartleib, den Richter am Oberlandesgericht Held und den Richter am Amtsgericht (abg.) Schweitzer auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10.05.1999 für Recht erkannt:

T a t b e s t a n d

Auf die Klage der Klägerin hat das Amtsgericht Weilburg durch am 09.03.1995 verkündetes und dem Beklagten am 21.03.1995 zugestelltes Urteil auf der Grundlage eines Abstammungsgutachtens (Blutgruppengutachten) des Sachverständigen Prof. Dr. W. vom 25.11.1994 den Beklagten als Vater der Klägerin festgestellt und ihn zugleich zur Zahlung des Regelunterhaltes verurteilt.
BR Hiergegen hat der Beklagte am 12.04.1995 Berufung eingelegt und diese am 11.05.1995 begründet.
BR Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen. Er habe mit der Mutter des klagenden Kindes, der Zeugin R., nie geschlechtlich verkehrt und habe den nur oberflächlichen Kontakt zu der Zeugin, die er am 19.04.1993 kennengelernt habe, bereits am 26.04.1993 abgebrochen, nachdem die Zeugin im Beisein der von ihm benannten Zeugin M. erzählt habe, sie sei von ihrem ehemaligen Freund, dem Zeugen H. schwanger und suche nun einen Vater für das erwartete Kind.

Darüber hinaus behauptet er nunmehr, seine drei Cousins, die Zeugen I. undB. I. und S. E., sowie seine beiden Brüder, die ZeugenM. und R. E. hätten in der Zeit von 1992 bis Juni/ Juli 1993 mit er Zeugin R. Geschlechtsverkehr gehabt.

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und behauptet, wie in erster Instanz, daß ihre Mutter, die Zeugin R., vom 07. zum 08.05.1993 mit dem Beklagten Geschlechtsverkehr gehabt habe und in der Empfängniszeit daneben nur mit ihrem Freund, dem Zeugen H., allerdings nur bis zur Trennung von ihm am 08.04.1993 geschlechtlich verkehrt habe.

Der Senat hat Beweis erhoben durch erneute und wiederholte Vernehmung der Zeugin R., Vernehmung der Zeugen Zeugen I. und B. I., S. E., und M. und R. E. und die Einholung zweier DNA-Abstammungsgutachten. Hinsichtlich des Beweisergebnisses wird auf die Sitzungsniederschriften vom 02.02.1998 und 24.08.1998 und die Gutachten des Prof. Dr. S. vom 27.05.1997 und vom 05.01.1999 verwiesen.

Im übrigen wird von der Darstellung des Tatbestands abgesehen ( 543 Ab. 1 ZPO).

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Berufung ist an sich statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat den Beklagten zu Recht als Vater des klagenden Kindes festgestellt und den Beklagten damit verbunden ( 643 ZPO) zur Zahlung des Regelunterhaltes ( 1615 f BGB a. F.) verurteilt.

Denn auch nach der Erhebung weiterer Beweise ist zur vollen Überzeugung des Senats davon auszugehen, daß der Beklagte der Mann ist, der das klagende Kind gezeugt hat, so daß er nach 1600 o Abs.1 BGB a. F. als Vater dieses Kindes festzustellen ist, ohne daß es eines Rückgriffs auf die Vaterschaftsvermutung nach 1600 o Abs. 2 BGB a. F. bedarf.

Die Abstammung des vor dem 01.07.1998 geborenen Kindes richtet sich gem. Art 224 1 Abs.1 EGBGB trotz der ab 01.07.1998 in Kraft getretenen Rechtsänderung nach den bisherigen Vorschriften, wobei allerdings die neue Vorschrift des 1600 d BGB n. F. inhaltlich mit der hier einschlägigen Vorschrift des 1600 o BGB a. F. identisch ist.

Die Gewißheit des Senats von der Abstammung des klagenden Kindes vom Beklagten als seinem Vater ergibt sich unter anderem daraus, daß nach zwei voneinander unabhängigen Sachverständigengutachten auf Grund zwei verschiedener Methoden, und zwar dem Blutgruppengutachten des Prof. Dr. W. vom 25.11.1994 in erster Instanz (mit 29 untersuchten Blutgruppensystemen) und dem weiteren im Berufungsverfahren eingeholten DNA-Abstammungsgutachten des Prof. Dr. S. vom27.05.1997 (unter Verwendung von 3 "single-locus"-Sonden) der Beklagte nicht als Vater ausschließen war, was einer biostatistischen Vaterschaftswahrscheinlichkeit nach dem Essen-Möller-Verfahren bei der ersten Methode von 99,9 % und von 99,98 % bei der DNA-Analyse entspricht. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. S. ergibt dies bei Gesamtbetrachtung beider Gutachten eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,99998 % . Die bedeutet, daß rein statistisch von 5 Millionen zufällig aus der Bevölkerung ausgewählten Männern nur einer als Vater des klagenden Kindes in Betracht kommt.

An der Richtigkeit der Gutachten zu zweifeln, besteht schon wegen der ausgewiesenen Sachkunde der Sachverständigen kein Anlaß. Zumal sich beide Gutachten trotz unterschiedlicher Methoden und unabhängig von einander entnommenen Untersuchungsmaterials (Blutproben) wechselseitig bestätigen. Letzeres widerlegt auch den ursprünglich erhobenen Einwand des Beklagten, bei der Untersuchung durch Prof. Dr. W. sei seine Blutprobe mit der des Zeugen H. vertauscht worden, da der Sachverständige Prof. Dr. S. seinem Gutachten eine erneut vom Beklagten entnommene Blutprobe zu Grunde gelegt hat, die nach dem Gutachten mit der identisch war, die der Sachverständige Prof. Dr. W. untersucht hatte.
BR Der Senat stützt seine Überzeugung von der Vaterschaft des Beklagten jedoch nicht allein auf die Feststellungen der Sachverständigen zur außergewöhnlich hohen Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten, die mit dem verbalen Prädikat "Vaterschaft praktisch erwiesen" zu beschreiben ist. Mitentscheidend ist vielmehr, daß dieses Ergebnis auch mit den Angaben der Zeugin R., der Mutter der Klägerin übereinstimmt. Diese hat ausgesagt, in der Empfängniszeit vom 05.04.1993 bis 04.08.1993 nur mit dem Beklagten und dem Zeugen H. Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Der Zeuge H., der danach als Vater der Klägerin in Betracht zu ziehen war, ist nach dem Gutachten des Prof. Dr. W. eindeutig (mit klassischen Ausschlüssen in drei Blutgruppensystemen) als Vater jedoch auszuschließen. Für die Glaubwürdigkeit der Aussage der Mutter spricht im übrigen - worauf auch das Amtsgericht hingewiesen hat - die Darlegung, der Beklagte habe bei dem Geschlechtsverkehr Verhütungsmittel benutzt, so daß sich von vornherein Zweifel an dessen Vaterschaft ergaben.

Allein die ernst zu nehmende Möglichkeit einer Vaterschaft eines nahen Blutsverwandten des Beklagten, hätte den sicheren Schluß von den Feststellungen der Sachverständigen auf die Vaterschaft des Beklagten in Zweifel zu ziehen vermocht. Letztlich ist jedoch auch diese Möglichkeit vorliegend mit Sicherheit auszuschließen.

Zwar haben die vom Beklagten benannten Zeugen S. E., I. I. und B. I., Cousins der Beklagten, sowie die beiden Brüder des Beklagten, die Zeugen M. und R. E., ausgesagt, mit der Mutter des klagenden Kindes, der Zeugin R., in der fraglichen Zeit und möglicherweise auch in der gesetzlichen Empfängniszeit vom 05.04.1993 bis 04.08.1993 ( 1600 o Abs. 2 S.3 BGB a. F., 1592 BGB a. F.) geschlechtlich verkehrt zu haben, doch ist, ohne daß es einer Auseinandersetzung mit der äußerst fraglichen Glaubwürdigkeit dieser Zeugen bedarf, festzustellen, daß keiner dieser Zeugen als Vater des klagenden Kindes möglich erscheint. Denn nach dem weiteren vom Senat eingeholten DNA-Abstammungsgutachten des Prof. Dr. S. vom 05.01.1999 ( durchgeführt mit 5"single-locus"-Sonden) sind die vorgenannten Zeugen sämtlich mit Sicherheit als Vater der Klägerin auszuschließen, und zwar die Cousins des Beklagten, die Zeugen B. I., S. E. und I. I. mit einer Ausschlußkonstellation bei 4 Sonden, der Bruder des Beklagten, M. E., mit einer Ausschlußkonstellation bei 3 Sonden und der Bruder des Beklagten R. E. mit einem nachgewiesen Ausschluß bei einer Sonde, wobei dieser Ausschluß durch die Einbeziehung von 3 klassischen Blutgruppensystemen, von denen 2 zum Ausschluß führten, erhärtet worden ist.
BR Vor diesem Hintergrund vermag allein die nur abstrakte und überaus unwahrscheinliche Möglichkeit, daß ein anderer Mann als der Beklagte und zwar ein Mann mit derselben Blutmerkmals- und Genkombination in dem von den beiden Sachverständigen untersuchten Bereich wie der Beklagte die Klägerin gezeugt hat, keine Zweifel an der Vaterschaft des Beklagten zu begründen. Zwar haben die vorgenannten Zeugen die Mutter der Klägerin als promiskuitiv darzustellen versucht, doch erscheinen ihre Aussagen auch in diesem Zusammenhang nicht überzeugend. Vielmehr ergeben sich bereits aus den Umständen ihrer Benennung, nämlich erst Jahre nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils und nachdem der Sachverständige Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 27.05.1997 auf die nicht auszuschließende Möglichkeit einer Vaterschaft eines nahen Blutsverwandten des Beklagten hingewiesen hat, durchgreifende Bedenken an ihrer Glaubwürdigkeit, vor allem auch noch im Zusammenhang mit dem Ergebnis des Gutachtens und der Aussagen der Mutter der Klägerin. Wenn die Zeugen die Mutter der Klägerin als eine Frau beschrieben haben, mit der sehr leicht sexueller Kontakt herzustellen war, so hatte dies aus der Sicht der Zeugen lediglich die Funktion, die Tatsache nachvollziehbar erscheinen zu lassen, daß diese fünf Zeugen in der fraglichen Zeit Geschlechtsverkehr mit ihr hatten, was aber keineswegs für die Richtigkeit dieser Darstellung spricht.

Danach steht zur Gewißheit des Senates fest, daß der Beklagte die Klägerin gezeugt hat ( 1600 o Abs.1 BGB a.F.).

Wenn der Beklagte sich hilfsweise die Aussage der Zeugin R. dahingehend zu eigen macht, daß bei dem Geschlechtsverkehr mit der Zeugin Verhütungsmittel verwandt wurden, so vermag dieser Umstand die durch das vorgenannte Beweisergebnis begründeten Überzeugung von der Vaterschaft des Beklagten nicht zu erschüttern, sondern läßt nur den Schluß zu, daß die verwandten Verhütungsmittel, aus welchen Gründen auch immer, versagt haben müssen. Dieser Einwand wäre bei der bekannten Unsicherheit von Verhütungsmitteln nicht einmal ausreichend, um "schwerwiegende Zweifel" an der nur auf die Vermutung nach 1600 o Abs.2 BGB a. F. gestützten Vaterschaft, auf die es vorliegend bei der positiv festgestellten Vaterschaft des Beklagten nicht ankommt, zu begründen (BGH FamRZ 1974, 644, 645).

Bei dieser gesicherten Beweislage konnte auch entsprechend 244 Abs. 3 StPO auf die Vernehmung der vom Beklagten benannten Zeugin M. verzichtet werden, in deren Wissen der Beklagte seine Behauptung stellt, die Mutter der Klägerin habe erzählt, sie sei von ihrem Freund, dem Zeugen H., schwanger und suche einen Vater für das erwartete Kind. Denn dieses Beweismittel bezieht sich nicht unmittelbar auf die zu beweisende Haupttatsache der Vaterschaft oder Nichtvaterschaft des Beklagten, sondern lediglich auf die Hilfstatsache, daß die Zeugin R. zum damaligen Zeitpunkt gegebenenfalls von der Vaterschaft des Zeugen H. zu dem erwarteten Kind überzeugt war. Nachdem nun die Vaterschaft des Zeugen H. eindeutig auszuschließen ist, ist dieses Beweismittel als ungeeignet i. S. 244 Abs. 3 S.2 StPO anzusehen. Auch würde die zu beweisende Hilftatsache, nämlich die behauptete Äußerung der Zeugin, gem. 244 Abs.3 S.3 StPO als wahr unterstellt, die auf Grund der gesicherten Beweislage gewonnene Überzeugung des Senats von der Vaterschaft des Beklagten nicht in Frage stellen können, so daß trotz des im vorliegenden Verfahren geltenden Ermittlungsgrundsatzes ( 640, 616 Abs.1 ZPO) auf die Vernehmung der Zeugin verzichtet werden kann (vgl. BGH FamRZ 1993, 691,692).
BR Gleiches gilt für eine Vernehmung der Ehefrau des Beklagten, der dieser von der vorgenannten Äußerung der Zeugin R. berichtet haben will.

Damit ist die Berufung des Beklagten mit der Kostenfolge aus 97 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Dr. Hartleib Held Schweitzer