OLG Frankfurt vom 02.03.1999 (1 WF 36/99)

Stichworte: russisches Scheidungsrecht, Beweilslast, fremdes Recht
Normenkette: ZPO 293
Orientierungssatz: Fremdes Recht hat das Gericht von Amts wegen zu ermitteln. Die dahingehende "Befugnis" im Sinn des 293 ZPO ist nicht als eine Ermächtigung, sondern als eine dahingehende Amtspflicht zu verstehen (vgl. Baumbach/Hartmann, ZPO, 57. Aufl., § 293 Rn. 2; BGH NJW 1998,1395,1396).

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Weilburg vom 1.12.1998 am 02. März 1999 beschlossen:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Bescheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Weilburg zurückverwiesen.

G r ü n d e :

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Amtsgericht der Antragstellerin die nachgesuchte Prozeßkostenhilfe für das von ihr eingeleitete Scheidungsverfahren verweigert, da sie den Antrag nicht unter Darlegung des anzuwendenden russischen Rechts begründet habe.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin, der das Amtsgericht (mit Beschluß vom 9.2.1999) nicht abgeholfen hat, hat auch in der Sache vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung. Das Amtsgericht darf die Erfolgsaussicht nicht aus den angegebenen Gründen verneinen.

Nachdem der Antragsgegner inzwischen nach Rußland zurückgekehrt ist, ist das angerufene Amtsgericht Weilburg, in dessen Bezirk sich der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Parteien befunden hat, nur (noch) zuständig, wenn der - in der Antragsschrift nicht angegebene - derzeitige gewöhnliche Aufenthalt der Antragstellerin mit dem gemeinsamen minderjährigen Kind sich im Bezirk des angerufenen Gerichts befindet. Davon ist jedoch nach verschiedenen Anhaltspunkten auszugehen. So ist der zur Begründung ihrer Kostenarmut vorgelegte Sozialhilfebescheid ihr an ein angegebenes Postfach in Limburg und damit im Bezirk des Amtsgerichts Weilburg zugesandt worden. Im übrigen wird die Antragstellerin gehalten sein, ihre ladungsfähige Anschrift dem Gericht alsbald mitzuteilen, nachdem die Gründe, diese geheimzuhalten, jedenfalls mit der Rückkehr des Antragsgegners nach Rußland entfallen sein dürften.

Rechtsfehlerhaft hat das Amtsgericht die Erfolgsaussicht des Scheidungsbegehrens der Antragstellerin deshalb verneint, weil sie das anzuwendende russische Recht nicht mitgeteilt habe. Fremdes Recht hat das Gericht von Amts wegen zu ermitteln. Die dahingehende "Befugnis" im Sinn des 293 ZPO ist nicht als eine Ermächtigung, sondern als eine dahingehende Amtspflicht zu verstehen (vgl. Baumbach/Hartmann, ZPO, 57. Aufl., § 293 Rn. 2; BGH NJW 1998,1395,1396). Es hat aber alle ihm zugänglichen Erkenntnisquellen auszuschöpfen. Für ausländisches Familienrecht kommt dafür in erster Linie die Sammlung von Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, in Betracht. Nach dem russischen Familiengesetzbuch, erlassen auf der Grundlage des einheitlichen sowjetischen Rahmengesetzes vom 27.6.1968, kann die Ehe durch gerichtliche Entscheidung geschieden werden, "wenn das Gericht feststellt, daß ein weiteres Zusammenleben der Ehegatten und die Aufrechterhaltung der Familie unmöglich geworden ist" (Artikel 33 Abs. 3 russisches FGB, abgedruckt bei Bergmann-Ferid, a.a.O., Länderteil UdSSR, Seite 78). Allerdings soll nach einem Hinweis (vor ehemaliger UdSSR, Seite 3) dieses bis dahin noch fortgeltende Gesetz aus der Sowjetzeit ersetzt worden sein durch ein neues FGB vom 29.12.1995, in Kraft seit 1.3.1996. Dieses Gesetz ist in dem Sammelwerk (der entsprechende Teil für Russland befindet sich auf dem Stand von 1993) noch nicht abgedruckt.

Sollte sich im weiteren Verfahren insoweit der aktuelle Inhalt des geltenden russischen Scheidungsrechts nicht feststellen lassen, wobei die Erkenntnismöglichkeit durch Anfrage bei der ausländischen Vertretung noch nicht ausgeschöpft ist, kann dies nicht zur Abweisung des Scheidungsantrags als unschlüssig führen, da es insoweit eine subjektive Beweislast der antragstellenden Partei nicht gibt (vgl. BGH FamRZ 1982, 263, 265). Vielmehr wird das Gericht dann die Rechtslücke im Wege der Rechtsanwendung unter Anwendung allgemeiner Regeln zu schließen haben. Sofern, was naheliegend ist, das aktuelle russische Gesetz der bisherigen Rechtslage in diesem Punkt entspricht, dürfte der Vortrag der Antragstellerin, wonach der dem Alkohol verfallene Antragsgegner seine Familie drangsaliert habe und inzwischen mit damit deutlich bekundeten Willen, sich von der Familie abzuwenden, nach Rußland zurückgekehrt sei, für ein darauf gestütztes Scheidungsbegehren schlüssig sein.

Letztlich kommt auch, sofern das in erster Linie anzuwendende russische Recht nicht zu ermitteln ist oder nach seinem derzeitigen Inhalt die Ehe nicht geschieden werden kann, die Anwendung deutschen Rechts in Betracht. Die Antragstellerin ist, wie sich aus der vorgelegten Kopie des Anerkenntnisbescheides des Landkreises Limburg vom 3.8.1998 ergibt, anerkannte Spätaussiedlerin nach 4 des Bundesvertriebenengesetzes. Sie ist damit Deutsche ( § 4 Abs. 3 Bundesvertriebenengesetz). Auf den von ihr gestellten Scheidungsantrag ist danach deutsches Recht anzuwenden, wenn nach dem in erster Linie anwendbaren russischen Recht (letztes gemeinsames Heimatrecht beider Parteien) eine Scheidung nicht möglich ist (Artikel 17 Abs. 1 Satz 2 EGBGB). Wenn es zutrifft, daß der Antragsgegner, wie behauptet, die Antragstellerin derart körperlich mißhandelt hat, daß sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte, können auch die Voraussetzung einer Härtefallscheidung vor Ablauf des Trennungsjahres gemäß § 1565 Abs. 2 BGB vorliegen.

Die weiteren Ermittlung in diesem Zusammenhang überläßt der Senat aus Zmeckmäßigkeitsgründen dem Amtsgericht ( 575 ZPO).

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht: Das Verfahren der erfolgreichen Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden gemäß 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.

Dr. Eschweiler Carl Juncker