OLG Frankfurt vom 29.06.2000 (1 WF 243/99)

Stichworte: Erwerbspflicht, Kindesbetreuung, Gesamtabwägung.
Normenkette: BGB 1361, 1572.
Orientierungssatz: Zur Frage einer teilweisen Erwerbspflicht bei Betreuung eines Kindes zwischen 8 und 16 Jahren.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Dillenburg vom 06. 09. 1999 am 29.06.2000 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

G r ü n d e :

Die Parteien waren Eheleute. Anläßlich ihrer Scheidung schlossen sie am 07. 01. 1998 vor dem Amtsgericht Dillenburg (2 F 405/97) einen Vergleich, wonach sich der jetzige Beklagte zur Zahlung von Kindesunterhalt für die beiden am 24. 10. 1989 und 24. 09. 1985 geborenen Kinder sowie von nachehelichem Unterhalt in Höhe von 191,-- DM monatlich verpflichtete. Nachdem der Beklagte inzwischen höhere Einkünfte erzielt, haben die Klägerin und die beiden Kinder Erhöhung des vereinbarten Unterhalts erstrebt. Der Kindesunterhalt ist inzwischen im Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahren durch Errichtung vollstreckbarer Urkunden über 313,28 DM und 393,87 DM monatlich, jeweils nach Berücksichtigung von 125,-- DM hälftigem Kindergeld, erledigt. Für die weiter verfolgte Klage auf Erhöhung des nachehelichen Unterhalts auf monatlich 463,44 DM hat das Amtsgericht dem Beklagten die von diesem beantragte Prozeßkostenhilfe zur Rechtsverteidigung mangels hinreichender Erfolgsaussicht verweigert.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen, wonach die Klägerin inzwischen zu einer bedarfsdeckenden Halbtagstätigkeit imstande sei, weiter verfolgt. Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluß vom 27. 09. 1999 mit weiterer Begründung nicht abgeholfen.

Die Klägerin hat inzwischen eine Halbtagstätigkeit angetreten; sie macht im Hinblick hierauf ab Juli 2000 keine weiteren Unterhaltsansprüche mehr geltend und hat ihre Abänderungsklage für erledigt erklärt.

Die gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der Senat teilt die rechtliche Wertung des Amtsgerichts, wonach unter den hier gegebenen Umständen der Klägerin während des hier streitbefangenen Zeitraums (April 1999 bis Juni 2000) eine Erwerbstätigkeit noch nicht zuzumuten war.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Frage, inwieweit ein Elternteil, der ein Kind von über 8 bis unter 16 Jahren betreut, eine (teilschichtige) Erwerbstätigkeit zuzumuten ist, nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei schließt auch die Betreuung von zwei Kindern eine (gegebenenfalls stundenweise) Erwerbstätigkeit nicht völlig aus, jedoch ist in einem solchem Fall dem betreuenden Elternteil eine eigene Erwerbstätigkeit zumindest nur in geringerem Maße zuzumuten, als wenn nur ein Kind zu betreuen ist (BGH FamRZ 1982, 148 = NJW 1982, 326). Maßgebend für die Beurteilung sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten, eine etwa früher ausgeübte Erwerbstätigkeit, wobei die Fortführung einer ausgeübten Tätigkeit grundsätzlich anders zu bewerten ist, als die Aufnahme einer neuen Tätigkeit, die Möglichkeit einer anderweitigen Betreuung durch nahe Angehörige sowie die pädagogische Situation der Kinder im Bezug auf den jeweiligen Betreuungsaufwand. Hinsichtlich des Betreuungsaufwandes hat die Klägerin nachvollziehbar dargelegt und im Beschwerdeverfahren vertieft, dass ihr vor allem wegen der unterschiedlichen Schulzeiten und des Umstandes, dass ihre Eltern, die in unvorhergesehenen Ausfällen einspringen könnten, sich in einer beträchtlichen räumlichen Entfernung zu ihrer Wohnung befinden, eine Berufstätigkeit nicht möglich war. Ein ihr in diesem Zusammenhang vom Beklagten angesonnener Umzug in das Haus ihrer Eltern erscheint nach den Gesamtgegebenenheiten nicht möglich, da dies wohl mit einem Schulwechsel der Kinder verbunden gewesen wäre und auch nicht sicher ist, inwieweit die Eltern, die insoweit keine Einstandspflicht haben, hierzu bereit wären. Ein Wohnsitzwechsel wäre schon im Hinblick auf das nahe bevorstehenden Ende der Unterhaltspflicht des Beklagten, die inzwischen auch eingetreten ist, wegen des absehbar verhältnismäßig kurzen Zeitraums unangemessen. Auch der Hinweis auf die Heranziehung der älteren Tochter zur Betreuung des jüngeren Sohnes erscheint nicht unbedenklich, als dies leicht zu einer Überforderung des Kindes führen könnte. Insoweit neigt der Senat dazu, dem sorgeberechtigten betreuenden Elternteil einen gewissen pädagogischen Beurteilungsspielraum zuzubilligen, in welchem Umfang neben der Kindesbetreuung eine aushäusige Erwerbstätigkeit verantwortet werden kann. Diesen Spielraum hat die Klägerin für den hier gegebenen Zeitraum auch nach Auffassung des Senats nicht überschritten. Hinzu kommt, dass die Klägerin, wie die weitere Entwicklung zeigt, sich ihrer Obliegenheit zur Selbstverantwortung bewusst war, und deshalb inzwischen auch eine bedarfsdeckende Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, wodurch der Beklagte für die Zukunft entlastet wird.

Die vom Beklagten zur Stützung seiner Rechtsauffassung angezogene Entscheidung des OLG Celle (NJW RR 92, 776) betrifft einen anderen Fall. Es handelt sich hierbei nicht um die Betreuung mehrerer Kinder, sondern eines Kindes im Alter von knapp unter 10 Jahren, wobei ein mitwirkungsbereiter Großelternteil im selben Hause wohnte.

Die Kostenentscheidung betreffend die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO.

Dr. Eschweiler Michalik Juncker