OLG Frankfurt vom 22.12.2000 (1 WF 195/00)

Stichworte: Zwangsmaßnahmen, Zuständigkeit, neues Verfahren
Normenkette: FGG 33, 7, ZPO 621 Abs. 2
Orientierungssatz: Ein Antrag auf Festsetzung eines Zwngsmittels nach § 33 FGG leitet gegenüber dem Sorgerechts- und Herausgabeverfahren ein neues Verfahren ein, für das die örtliche Zuständigkeit neu zu prüfen ist.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

betreffend das Kind

Beteiligte:

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Wiesbaden vom 18. August 2000 am 22. Dezember 2000 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Mutter hat dem Vater außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Der Beschwerdewert wird auf 2.000,-- DM festgesetzt.

Der Prozeßkostenhilfeantrag der Mutter für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Eltern des am 01. Februar 1989 geborenen Kindes B. sind getrenntlebende Eheleute. Das Amtsgericht Wiesbaden hat mit Beschluß vom 14. März 2000 - 53 F 53/99-27 - die elterliche Sorge für das Kind dem Vater übertragen und der Mutter aufgegeben, das Kind an den Vater herauszugeben. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat der Senat mit Beschluß vom 30. Juni 2000 - 1 UF 94/00 - zurückgewiesen.

Am 03. Juli 2000 hat die Mutter beim Amtsgericht Gießen einen Scheidungsantrag eingereicht, der dem Vater am 27. 07. 2000 zugestellt wurde. Das Ehescheidungsverfahren ist noch anhängig.

Mit Schriftsatz vom 16. August 2000 hat der Vater beim Amtsgericht Wiesbaden beantragt, den Gerichtsvollzieher zu ersuchen und zu ermächtigen die Herausgabe des Kindes notfalls gegen den Willen des Kindes und der Kindesmutter unter Anwendung von Gewalt zu vollstrecken und erforderlichenfalls die Unterstützung der polizeilichen Verzugsorgane nachzusuchen.

Mit Beschluß vom 18. 08. 2000 hat das Amtsgericht Wiesbaden ohne die Mutter zu dem Antrag zu hören diesem Antrag mit der Maßgabe stattgegeben, daß sich eine Gewaltanwendung nicht gegen das herauszugebende Kind richten darf.

Gegen diesen Beschluß hat die Mutter Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, den Antrag des Vaters zurückzuweisen.

Die Beschwerde ist nach § 19 FGG zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Allerdings rügt die Beschwerdeführerin zu Recht, daß das Amtsgericht Wiesbaden für die Entscheidung örtlich nicht zuständig war. Ein Antrag auf Festsetzung von Zwangsmitteln nach § 33 FGG leitet gegenüber dem Sorgerechts- und Herausgabeverfahren ein neues Verfahren ein, bei dem die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts neu zu prüfen ist. Da bei Antragseingang beim Amtsgericht Gießen bereits ein Scheidungsverfahren anhängig war, war das Amtsgericht Gießen von Anfang an ausschließlich zuständig (§ 621 Abs. 2 ZPO). Der Mangel der örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Wiesbaden führt zwar nicht zur Unwirksamkeit der Entscheidung. Er kann jedoch im Beschwerdeverfahren gerügt werden (§ 7 FGG). In einem solchen Fall kann das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache zum Zweck der Abgabe an das zuständige erstinstanzliche Gericht zurückverweisen. Eine Notwendigkeit so zu verfahren besteht allerdings nicht, wenn sowohl das entscheidende Gericht als auch das örtlich zuständige Gericht zum Bezirk des Beschwerdegerichts gehören. In diesem Fall kann das Beschwerdegericht, das auch im Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des zuständigen Gerichts zur Sachentscheidung berufen gewesen wäre, aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit in der Sache selbst entscheiden (BayObLG, FamRZ 1961, S. 381; Keidel-Zimmermann, FGG, 14. Aufl., § 7 Rdnr. 36). In diesen Fällen ist eine Zurückverweisung nur dann erforderlich, wenn noch Vollzugsmaßnahmen erster Instanz im Anschluß an die Entscheidung des Beschwerdegerichts erforderlich sind (Bassenge/Herbst, FGG, 8. Aufl., § 7 Anm. 2). Dies ist hier nicht der Fall. Mit dem Beschwerdeverfahren kommt die Entscheidung über die vom Amtsgericht angeordnete Zwangsmaßnahme zum Abschluß. Weitere Anträge auf andere Zwangsmaßnahmen könnten beim zuständigen Amtsgericht Gießen eingereicht werden und dort ein neues Verfahren einleiten.

Die Sache mußte auch nicht wegen Verstoßes gegen das rechtliche Gehör zurückverwiesen werden, weil dieses im Beschwerdeverfahren nachgeholt worden ist.

In der Sache selbst erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Da der Mutter durch rechtskräftige Entscheidung die Herausgabe des Kindes aufgegeben ist, konnte das Gericht die zwangsweise Durchsetzung anordnen (§ 33 FGG). Im Verfahren zur Festsetzung von Zwangsmitteln ist allerdings grundsätzlich zu prüfen, ob die anzuordnende Maßnahme dem Kindeswohl entspricht. Desweiteren ist zu prüfen, ob Gründe bestehen, die die Einleitung eines Verfahrens auf Änderung der materiell rechtlichen Regelung rechtfertigen, die mit dem Zwangsmittel durchgesetzt werden soll (OLG Hamburg, FamRZ 1996, S. 1093).

Unter Anlegung dieser Maßstäbe erweist sich die angefochtene Entscheidung als zutreffend. Das zuständige Amtsgericht Gießen hat mit Beschluß vom 21. 09. 2000 über einen Antrag der Mutter auf Änderung der Sorgerechtsregelung nach § 1696 BGB ablehnend entschieden. Gegen diesen, ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 05. Oktober 2000 zugestellten Beschluß, hat die Kindesmutter kein Rechtsmittel eingelegt. Damit aber hat die erforderliche Prüfung der Frage, ob die Sorgerechtsregelung und die Herausgabeentscheidung Bestand haben können, durch das zuständige Amtsgericht in zeitlichem Zusammenhang mit dem Zwangsmittelverfahren stattgefunden. Nachdem diese Überprüfung durch das zuständige Amtsgericht das Ergebnis hatte, daß die Sorgerechtsregelung und damit auch die Herausgabeanordnung Bestand haben, muß sich die Entscheidung über das Zwangsmittel an der bestehenden Rechtslage nach Maßgabe des Beschlusses des Amtsgerichts Wiesbaden vom 14. 03. 2000 orientieren. Die Durchsetzung der Herausgabeanordnung unter Zulassung von Gewaltanwendung gegen die Mutter widerspricht nicht dem Kindeswohl. Vielmehr ist es angezeigt, daß der derzeitige Zustand der Unsicherheit für das Kind so rasch wie möglich beendet wird. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, daß durch den angefochtenen Beschluß ausdrücklich eine Gewaltanwendung gegenüber dem Kind nicht zugelassen ist.

Die Zulassung einer Gewaltanwendung gegenüber der Mutter verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, welcher bei der Auswahl des Zwangsmittels unter den Möglichkeiten, die § 33 FGG gibt, zu beachten ist. Eine Zwangsgeldfestsetzung, der zunächst eine Zwangsgeldandrohung vorausgehen müßte, ist angesichts der Tatsache, daß die Mutter Sozialhilfe bezieht und eine Vollstreckung des Zwangsgelds voraussichtlich erfolglos wäre, nicht angezeigt. Die Festsetzung von Zwangshaft gegenüber der Mutter wäre kein milderes Mittel gegenüber der Ermächtigung zur Gewaltanwendung.

Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für das Kind gemäß § 50 FGG war nicht angezeigt. Die materielle Rechtslage hinsichtlich der Personensorge und der Herausgabepflicht der Mutter konnte durch die Entscheidung nicht beeinflußt werden. Das Zwangsmittel richtet sich allein gegen die Mutter und nicht gegen das Kind.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 131 Abs. 3 KostO, 13 a Abs. 1 S. 2 FGG.

Die Wertfestsetzung folgt aus § 30 KostO und berücksichtigt, daß dem Vollstreckungsverfahren ein geringerer Wert beizumessen ist als dem Verfahren zur Regelung der elterlichen Sorge.

Prozeßkostenhilfe konnte der Beschwerdeführerin auf ihren erst wenige Tage vor der Entscheidung eingereichten Prozeßkostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussicht nicht bewilligt werden.

Dr. Eschweiler Juncker Noll