OLG Frankfurt vom 11.01.2012 (1 UFH 43/11)

Stichworte: Unterhaltsverfahren internationales Verfahrensrecht Zuständigkeit
Normenkette: AUG 28; EuUntVO 3a; EuUntVO 3b;
Orientierungssatz: Wenn sich für ein nach dem 17. Juni 2011 eingeleitetes Unterhaltsverfahren die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus Art. 3 Buchstabe a) oder Buchstabe b) der Europäischen Unterhaltsverordnung (EuUnthVO; EG-Verordnung 4/2009) herleitet und einer der am Verfahren Beteiligten - sei es der Unterhaltsberechtigte oder der Antragsgegner - seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, greift für isolierte Unterhaltsverfahren die Zuständigkeitskonzentration des § 28 Abs. 1 AUG (2011) ein, so dass in Hessen für diese Unterhaltsverfahren ausschließlich das Amtsgericht - Familiengericht - Frankfurt am Main örtlich zuständig ist.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

1. Kind A
BR 2. Kind B
BR beide wohnhaft in D und beide gesetzlich vertreten durch M, wohnhaft ebenda

Antragstellerinnen,

Verfahrensbevollmächtigte zu 1, 2: ...

gegen

KiVa V, wohnhaft in XY, Frankreich

Antragsgegner,

Verfahrensbevollmächtigter: ...

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf Vorlage des Amtsgerichts - Familiengericht - Darmstadt am 11.01.2012 beschlossen:

Das Amtsgericht - Familiengericht - Frankfurt am Main ist zuständig.

Gründe:

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor, denn sowohl vom Amtsgericht Darmstadt als auch vom Amtsgericht Frankfurt am Main wurde mit Außenwirkung die Zuständigkeit für das Unterhaltsverfahren verneint und das jeweils andere Gericht für örtlich zuständig erachtet.

Das Amtsgericht Darmstadt hat das Verfahren im Hinblick auf die in § 28 des Gesetzes zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten (Auslandsunterhaltsgesetz - AUG) vom 23.05.2011 (BGBl. I S. 898) geregelte Zuständigkeitskonzentration zu Recht an das Amtsgericht Frankfurt am Main abgegeben,

Mit dem AUG (2011) wurden einerseits Durchführungsbestimmungen zur Europäischen Unterhaltsverordnung (EG-Verordnung 4/2009) geschaffen, darüber hinaus wurde aber das gesamte internationale Unterhaltsverfahrensrecht neu geregelt (vgl. Veith, Das neue Auslandsunterhaltsrecht, S. 7). Das AUG (2011) gilt in allen Verfahrensarten, die der Durchsetzung von Unterhalt dienen (Heger/Selg, UnterhaltsVO und AUG, FamRZ 2011, 1101, 1103).

Neben anderen in § 1 AUG genannten Anwendungsfällen kommt das AUG (2011) insbesondere immer dann zur Anwendung, wenn sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus der Europäischen Unterhaltsverordnung (EuUnthVO; EG-Verordnung Nr. 4/2009) herleitet. Dies ist hier der Fall. Denn in ab dem 18.06.2011 eingeleiteten Verfahren (§ 76 Abs. 3 EuUnthVO) bestimmt sich für die Europäischen Länder die internationale Zuständigkeit in Unterhaltsverfahren nach den unmittelbar geltenden Bestimmungen der EuUnthVO (Wendl/Dose, Unterhaltsrecht, 5. Aufl. 2011, § 9 Rdn. 602) und nicht mehr nach der EG-Verordnung 44/2001 (EuGVVO).

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt hier aus Art. 3 Buchstabe b) EuUnthVO. Für isolierte Unterhaltsverfahren, in denen sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus Art. 3 Buchstabe a) oder - wie hier - Buchstabe b) EuUntVO herleitet, bestimmt § 28 AUG (2011) eine Zuständigkeitskonzentration, soweit einer der am Verfahren Beteiligten - sei es der Unterhaltsberechtigte oder der Antragsgegner - seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat (vgl. Andrae, Das neue Unterhaltsgesetz, NJW 2011, 2545, 2546). Nach dieser Bestimmung hat in solchen isolierten Unterhaltsverfahren ausschließlich das Gericht zu entscheiden, das für den Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk der im Inland lebende Beteiligte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig ist. Von der durch § 28 Abs. 2 AUG (2011) für die Länder eröffneten Möglichkeit, ein anderes Amtsgericht als Konzentrationsgericht zu bestimmen, wurde in Hessen bislang kein Gebrauch gemacht.

In Verfahren, die den Unterhalt eines minderjährigen Kindes zum Gegenstand haben, führt diese Konzentrationszuständigkeit zwar dazu, dass den im Inland lebenden Kindern die Vergünstigung, das Verfahren an dem für ihren gewöhnlichen Aufenthalt zuständigen Gericht führen zu können, verloren geht. Dies hat der Gesetzgeber mit Schaffung des AUG (2011) aber offenbar in Kauf genommen und die Vorteile, die er sich für den Unterhaltsberechtigten aus einer Zuständigkeitskonzentration verspricht, höher gewertet als die Vorteile, die für das Kind aus der Verfahrenszuständigkeit des für seinen gewöhnlichen Aufenthalt zuständigen Gerichts erwachsen würden.

Die Regelung des § 28 AUG (2011) kollidiert auch nicht mit § 232 Abs. 2 FamFG, wonach die ausschließliche Zuständigkeit aus § 232 Abs. 1 Nr. 2 FamFG jeder anderen ausschließlichen Zuständigkeit vorgeht. Denn in Fällen mit Auslandsberührung begründet § 232 Abs. 1 Nr. 2 FamFG keine ausschließliche Zuständigkeit (Dötsch in Münchner Kommentar ZPO, Band 3 FamFG, § 232 FamFG Rdn. 9). Dies entspricht der Vorgängerregelung des § 642 Abs. 1 Satz 2 ZPO, mit der in Fällen mit Auslandsberührung gerade keine Ausschließlichkeit der Zuständigkeitsregelung begründet werden sollte (vgl. hierzu etwa Zöller-Phili, Kommentar zur ZPO, 27. Aufl., § 642 Rdn. 4 ff.). Diese nunmehr in § 232 Abs.1 Nr. 2 letzter Halbsatz FamFG enthaltene Regelung verfolgt den gleichen Zweck und gilt nicht nur für die Fälle, in denen es um die Wahlzuständigkeit am Sitz des Elternteils geht. Die Regelung des § 232 Abs. 1 Nr. 2 FamFG ist immer dann nicht anwendbar, wenn das Kind oder "ein" Elternteil - dies kann auch der Antragsgegnern sein - seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat (Dötsch a.a.O., § 232 FamFG Rdn. 9; Maier in Johannsen/henrich, Familienrecht, 5. Aufl. 2010, § 232 FamFG Rdn. 9). Hat nur der in Anspruch genommene Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, ist zwar durch § 232 Abs. 3 Ziff. 3 FamFG die Zuständigkeit des Gerichts am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers eröffnet, hierbei handelt es sich jedoch - anders als bei § 232 Abs. 1 FamFG - nicht um eine ausschließliche Zuständigkeit.

Die ausschließliche Zuständigkeit aus § 28 AUG (2011) kollidiert daher nicht mit einer ausschließlichen Zuständigkeit aus § 232 Abs. 1 Nr. 2 FamFG, weshalb § 232 Abs. 2 FamFG nicht einschlägig und die ausschließliche Zuständigkeit aus § 28 AUG (2011) maßgeblich ist.

Michalik Cromm Grün