OLG Frankfurt vom 19.07.2000 (1 UF 35/00)

Stichworte: Ehescheidung, Anhörung, persönliche, Erforderlichkeit
Normenkette: ZPO 613 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 1, 619 aF
Orientierungssatz: Ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, daß der Ehegatte bei seiner persönlichen Anhörung durch das Gericht in der Lage wäre, die Begründungen des anderen Ehegatten über die Zerrüttung der Ehe und die endgültige Abwendung von dem anderen Ehegatten in Frage zu stellen, so kann von einer Anhörung des Ehegatten abgesehen werden (vgl. BGH, FamRZ 1994, S. 434,436).

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschweiler, die Richterin am Oberlandesgericht Michalik und den Richter am Oberlandesgericht Carl aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 08. Juni 2000 für Recht erkannt:

Die Berufung des Antragsgegners gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bad Schwalbach vom 13. 12. 1999 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Berufungswert wird auf 17.304,-- DM festgesetzt.

T a t b e s t a n d

Die 1946 geborene Antragstellerin und der 1931 geborene Antragsgegner haben am 09. 11. 1995 die Ehe geschlossen, aus der Kinder nicht hervorgegangen sind. Mit notarieller Urkunde vom 03. 01. 1996 vereinbarten die Parteien den Güterstand der Gütertrennung, schlossen die Durchführung des Versorgungsausgleichs aus und verzichteten wechselseitig auf Ehegattenunterhalt ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Ehescheidung.

Mit ihrem am 05. 06. 1998 bei Gericht eingegangenen Antrag begehrt die Antragstellerin die Scheidung der Ehe. Sie trägt vor, sie lebe seit dem 31. 12. 1996 von dem Antragsteller getrennt. Die Trennung sei von ihr in dem festen Willen vollzogen worden, zum Antragsgegner nicht zurückzukehren. Die Antragstellerin hält die Ehe für endgültig zerrüttet. Zwischen den Eheleuten sei es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen, die wiederholt auch vor den Gästen des von ihr geführten Restaurants geführt worden seien.

Nachdem mehrere Versuche, den Scheidungsantrag dem Antragsgegner zuzustellen, erfolglos geblieben waren, wurde die Antragsschrift schließlich dem Prozeßbevollmächtigten des Antragsgegners am 06. 07. 1999 zugestellt.

Zu dem Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht am 25. 10. 1999 ist der Antragsgegner nicht erschienen und hat eine ärztliche Bescheinigung vom 20. 10. 1999 vorgelegt, wonach eine Belastbarkeit für Gerichtstermine nicht bestehe und eine Änderung des Zustandes in kürzerer Zeit nicht absehbar sei. Das Amtsgericht hat die Antragstellerin gemäß § 613 ZPO persönlich angehört, den Parteien Schriftsatznachlaß bis zum 29. 11. 1999 gewährt und in dem angesetzten Termin zur Verkündung einer Entscheidung am 13. 12. 1999 die Ehe der Parteien geschieden. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Antragstellerin habe mit ihrer Anhörung glaubhaft und nachvollziehbar deutlich gemacht, daß sie die eheliche Lebensgemeinschaft mit dem Antragsgegner unter keinen Umständen fortsetzen wolle. Diese ablehnende Haltung rechtfertige im Zusammenhang mit den Vorfällen zwischen den Parteien in der Vergangenheit die Prognose, daß eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten sei. Die Härteklausel des § 1568 BGB greife nicht ein. Von einer persönlichen Anhörung des Antragsgegners nach § 630 ZPO habe abgesehen werden können, da diese eine weitere Sachaufklärung nicht versprochen habe.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsgegner mit der Berufung. Er wiederholt sein Vorbringen aus dem ersten Rechtszug und trägt ergänzend vor, das angefochtene Urteil verletze das rechtliche Gehör, da das Amtsgericht auf die persönliche Anhörung des Antragsgegners nicht habe verzichten dürfen. Ein hierfür erforderliche Ausnahmefall habe nicht vorgelegen. Auch inhaltlich sei das Urteil unrichtig. So lebe der Antragsgegner nicht mit einer Frau J. zusammen. Diese habe ihn vielmehr aufgenommen und versorge und pflege ihn, nachdem er mehrere Schlaganfälle erlitten habe. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ergebe eine Gesamtschau der wirtschaftlichen, altersbedingten und gesundheitlichen Gründe eine schwere Härte, die der beabsichtigten Scheidung entgegenständen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Scheidungsantrag abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Ein Verstoß gegen die Sollvorschrift des § 613 ZPO stelle kein Gehörsverstoß dar, wenn der Ehegatte sich auf andere Weise Gehör verschaffen könne. Die zwischen den Parteien unstreitigen Auseinandersetzungen zeigten unabhängig davon, wer für diese verantwortlich gewesen sei, die Zerrüttung der Ehe, ohne daß der Antragsgegner hierzu auch persönlich gehört werden müßte. Dieser wolle nur deshalb an der Ehe festhalten, weil er die weitere finanzielle Versorgung durch die Antragstellerin wünsche.

Der Senat hat das persönliche Erscheinen beider Parteien zu dem auf den 08. 06. 2000 anberaumten Senatstermin zur Anhörung gemäß § 613 ZPO angeordnet und in der Terminsladung zugleich darauf hingewiesen, daß im Falle eines Ausbleibens des Antragsgegners über die Berufung auch ohne dessen persönliche Anhörung entschieden werden könne. Zum Termin am 08. 06. 2000 ist der Antragsgegner nicht erschienen. Er hat eine ärztliche Bescheinigung vom 06. 06. 2000 vorgelegt, derzufolge er sich seit dem 05. 06. 2000 bis auf weiteres in stationärer Krankenhausbehaltung in Moers/Rheinland befinde und weder reisefähig noch in der Lage sei, den anberaumten Gerichtstermin wahrzunehmen.

Der Senat hat die Antragstellerin im Termin am 08. 06. 2000 gemäß § 613 ZPO angehört. Der Prozeßbevollmächtigte des Antragsgegner hat beantragt, den Senatstermin zu vertagen, den Antragsgegner im Wege der Rechtshilfe durch das Amtsgerichts Moers zur Frage des Scheiterns der Ehe anhören zu lassen und ihm Gelegenheit zu geben, zu der Aussage der Antragstellerin im Senatstermin Stellung zu nehmen. Der Antragsgegner hat innerhalb der ihm gesetzten Frist eine Stellungnahme zu den Akten gereicht.

Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg.

Aufgrund der Anhörung der Antragstellerin und des teilweise übereinstimmenden Vorbringens beider Parteien steht zur Überzeugung des Senats fest, daß die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, daß sie diese wiederherstellen. Die Antragstellerin hat erklärt, daß sie seit dem 31. 12. 1996 vom Antragsgegner getrennt lebe. Dagegen hat dieser vorgetragen, es sei erst im Anschluß an seine Geburtstagsfeier am 14. 04. 1998 zum endgültigen Bruch zwischen ihnen gekommen. Dies bedeutet, daß auch nach dem Vorbringen des Antragsgegners die Parteien in jedem Fall seit mehr als zwei Jahren getrennt leben.

Aufgrund der persönlichen Anhörung der Antragstellerin steht zur Überzeugung des Senats auch fest, daß die Ehe der Parteien gescheitert ist. Die Antragstellerin hat erklärt, sie habe sich inzwischen ihr Leben für sich allein eingerichtet und eine klare Lebensperspektive ohne den Antragsgegner für sich entwickelt. Sie könne sich nach all dem, was zwischen den Eheleuten vorgefallen sei, überhaupt nicht vorstellen, daß sie wieder zum Antragsgegner zurückkommen könnte. Dieser sei ihr inzwischen einfach gleichgültig. Sie habe keinerlei Interesse mehr an dem Antragsgegner. Sie wünsche ihm allerdings auch nichts Schlechtes, wenngleich sie wegen des wirtschaftlichen Gebahrens des Antragsgegners noch Nachteile durch den gemeinsamen Namen habe. Diese Erklärungen der Antragstellerin erscheinen dem Senat nachvollziehbar und in vollem Umfang glaubwürdig. Die Antragstellerin hat auch unmißverständlich deutlich gemacht, daß sie selbst dann die Lebensgemeinschaft mit dem Antragsgegner nicht wieder aufnehmen werde, wenn dieser zurückkommen und sie um die Chance für einen Neuanfang bitten würde. Auch wenn er tatsächlich ernsthaft erkrankt sein sollte, sei sie nicht bereit, ihn wieder aufzunehmen, zu pflegen und zu versorgen.

Bei dieser Sachlage konnte der Senat von einer persönlichen Anhörung des Antragsgegners absehen. Zwar soll nach § 613 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 1 ZPO das Gericht das persönliche Erscheinen der Ehegatten anordnen und sie anhören. Abweichend vom früher geltenden Recht (§ 619 ZPO a.F.) ist die Anhörung der Ehegatten nicht mehr in das Ermessen des Gerichts gestellt. In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es hierzu, damit werde der Bedeutung der Anhörung für eine möglichst genaue und vollständige Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie dem besonderen Charakter des Verfahrens vor dem Familiengericht Rechnung getragen; die danach in aller Regel stattfindende persönliche Anhörung der Ehegatten werde zugleich der geeignete Zeitpunkt sein, um in Ehescheidungssachen einen noch nicht anwaltlich vertretenen Antragsgegner auf die schwerwiegenden Folgen der Scheidung sowie auf die Möglichkeit eines Verbundes der Scheidungssache mit Folgeverfahren hinzuweisen (BT-Drucksache 7/650, S. 197). Dennoch bedeutet dies nicht, daß in jedem Fall beide Ehegatten vor Erlaß eines Scheidungsurteils persönlich angehört werden müßten. Ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, daß der Ehegatte bei seiner persönlichen Anhörung durch das Gericht in der Lage wäre, die Begründungen des anderen Ehegatten über die Zerrüttung der Ehe und die endgültige Abwendung von dem anderen Ehegatten in Frage zu stellen, so kann von einer Anhörung des Ehegatten abgesehen werden (vgl. BGH, FamRZ 1994, S. 434,436). Von einer solchen Sachlage ist nach den eindeutigen, nachvollziehbaren und durchweg glaubwürdigen Erklärungen der Antragstellerin auszugehen. Auch wenn der Antragsgegner bereit sein sollte, die eheliche Lebensgemeinschaft mit der Antragstellerin fortzusetzen und nach seiner Einschätzung hierfür eine Realisierungschance besteht, kann aufgrund der dem Senat unwiderruflich erscheinenden Abkehr der Ehefrau von der ehelichen Lebensgemeinschaft auch eine Anhörung des Antragsgegners zu keiner anderen, ihm günstigeren Entscheidung führen. Der innerhalb der nachgelassenen Frist eingegangene Schriftsatz des Antragsgegners führt zu keiner anderen Beurteilung: Es macht insbesondere noch einmal deutlich, daß der Antragsgegner anders als die Antragstellerin an der Ehe festhalten möchte, nicht zuletzt weil er sich auf eine Versorgung durch die Antragstellerin angewiesen fühlt. Nach der Überzeugung des Senats ist das Vorbringen nicht geeignet, etwas an der Einstellung der Antragstellerin, die sie bei ihrer Anhörung gezeigt hat, zu ändern.

Der Antragsgegner kann sich auch nicht darauf berufen, daß die Scheidung für ihn aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, daß die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange der Antragstellerin ausnahmsweise geboten erschiene. Weder der angeschlagene Gesundheitszustand des nunmehr von Frau J. betreuten und versorgten Antragsgegners

noch die von ihm angeführte wirtschaftliche Notlage rechtfertigen die Annahme einer schweren Härte im Sinne des § 1568 BGB. Insoweit wird in vollem Umfang auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen, die der Antragsgegner auch mit seinem Berufungsvorbringen nicht zu erschüttern vermochte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Festsetzung des Berufungswerts beruht auf § 12 Abs. 2 S. 2 GKG.

Dr. Eschweiler Michalik Carl