OLG Frankfurt vom 03.08.2000 (1 UF 349/99)

Stichworte: Unterhalt, nachehelicher, Abfindung, Aufrechnungsverbot Verwirkungseinwand.
Normenkette: ZPO 850b Abs. 1 Nr. 2 BGB 394
Orientierungssatz: Das Aufrechnungsverbot des § 394 findet auch auf Einmalzahlungen (Abfindungen) für künftige Unterhaltsverpflichtungen Anwendung. Zulassung der Revision.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschweiler, den Richter am Oberlandesgericht Juncker und die Richterin am Oberlandesgericht Michalik aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. 06. 2000 für Recht erkannt:

Die Berufung des Antragsgegners gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht Langen vom 26. 11. 1999 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Antragsgegner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 155.000,-- DM abwenden, wenn nicht die Antragstellerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Hinsichtlich der Entscheidung zum nachehelichen Unterhalt der Antragstellerin wird die Revision zugelassen.

G r ü n d e :

Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Urteil die Ehe der Parteien geschieden, das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder L. und R. auf die Mutter übertragen und den Antragsgegner dazu verurteilt, an die Antragstellerin als einmaligen Betrag 150.000,-- DM als nachehelichen Unterhalt zu zahlen.

Zur Begründung für die Sorgerechtsentscheidung wird in dem Urteil ausgeführt, es entspreche dem Kindeswohl, wenn die Antragstellerin die elterliche Sorge allein ausübe. Die Anhörung der Parteien habe ergeben, daß eine Einigung der Eltern über Belange der Kinder aussichtslos erscheine. Die Kinder seien durch dieses Verhalten ihrer Eltern bereits in der Vergangenheit in Loyalitätskonflikte gebracht worden, dies sei auch für die Zukunft ständig zu erwarten. Das vom Gericht eingeholte psychologische Sachverständigengutachten habe diese vom Gericht in der persönlichen Anhörung gewonnene Einschätzung des Verhaltens der Eltern bestätigt.

Den Anspruch der Antragstellerin auf Zahlung eines einmaligen Abgeltungsbetrages für den nachehelichen Unterhalt in Höhe von 150.000,-- DM hat das Familiengericht aufgrund des zwischen den Parteien am 01. 02. 1990 geschlossenen Ehevertrags für begründet erachtet. Zur Begründung wird in dem Urteil ausgeführt, der Anspruch ergebe sich unmittelbar aus dieser Urkunde. Auf eine Prüfung der Bedürftigkeit der Antragstellerin oder der Leistungsfähigkeit des Antragsgegners komme es danach nicht an.

Gegen dieses Urteil hat der Antragsgegner Berufung eingelegt, mit der er zum einen die Ausübung des Sorgerechts für die gemeinschaftlichen minderjährigen Kinder durch die Eltern gemeinsam anstrebt, zum anderen die Abweisung der Klage auf Zahlung eines Abfindungsbetrags für den nachehelichen Unterhalt begehrt.

Zur Begründung hinsichtlich des Sorgeantrags führt der Antragsgegner aus, er respektiere den Wunsch der Kinder weiterhin im Haushalt der Mutter zu leben. Spannungen zwischen den Eltern seien dadurch aufgetreten, daß die Antragstellerin Entscheidungen ohne seine Zustimmung und ohne Rücksprache mit ihm getroffen habe. Daß in der Kommunikation der Eltern unterschiedliche Auffassungen aufträten, sei keine Anlaß, der Mutter allein die elterliche Sorge zu belassen.

Hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung eines Abfindungsbetrages begründet der Antragsgegner seine Berufung zunächst damit, Voraussetzung für einen Abfindungsanspruch der Antragstellerin sie sowohl ihre eigene Bedürftigkeit als auch seine, des Antragsgegners, Leistungsfähigkeit gewesen. Beide Voraussetzungen lägen nicht vor. Vor allen Dingen sei es nicht zu der von beiden Parteien für die Zahlung einer Abfindung vorausgesetzten Veräußerung gemeinsamen Grundeigentums gekommen. Nur aus dem Erlös einer solchen Veräußerung des Anwesens der Parteien wäre eine Herausauszahlung des Abfindungsbetrages überhaupt möglich gewesen.

Der Antragsgegner ist weiter der Auffassung, ein etwaiger Unterhaltsanspruch der Antragstellerin sei jedenfalls verwirkt. Entgegen der Bestimmung im Ehevertrag vom Februar 1990 habe sie über das ihr übertragene Grundstück ohne seine Zustimmung verfügt. Sie habe das Grundstück unter dubiosen Umständen für 860.000,-- DM veräußert, obwohl eine ortsgerichtliche Schätzung einen Grundstückswert von 1.286.550,-- DM festgestellt habe. Wegen dieser vertragswidrigen Handlungsweise sei ihm die Antragstellerin entsprechend der in der notariellen Vereinbarung für diesen Fall getroffenen Vereinbarung zum Schadensersatz verpflichtet. Mit einem Teilbetrag in Höhe von 150.000,-- DM erklärt der Antragsgegner insoweit die Aufrechnung. Er hat außerdem durch Teilklage vor dem Landgericht Darmstadt den von ihm behaupteten Schadensersatzanspruch in Höhe eines Teilbetrages von 150.000,-- DM rechtshängig gemacht.

Weiter stützt der Antragsgegner seinen Verwirkungseinwand auch auf eine von der Antragstellerin erstattete Strafanzeige wegen Diebstahls eines PKW. Die Antragstellerin habe wider besseres Wissen behauptet, der PKW sei ihr Eigentum gewesen und habe deswegen die spätere Veräußerung des PKW durch den Antragsgegner zur Anzeige gebracht. Tatsächlich habe er aber den Wagen aus seinen Mitteln bezahlt gehabt.

Der Antragsgegner beantragt insoweit, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Antragstellerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Hinsichtlich des Sorgerechts führt sie aus, daß es zwischen ihnen in der Vergangenheit und auch gegenwärtig ständig zu Streitigkeiten käme, weil der Antragsgegner es darauf anlege, sie zu provozieren und sich in jede Kleinigkeit - auch in Alltagsfragen - ständig einmische.

Soweit ihr eine Abfindung für den nachehelichen Unterhalt zuerkannt worden sei, entspreche dies der notariellen Vereinbarung vom Februar 1990. Danach sollte es auf die Frage ihrer Bedürftigkeit ebensowenig ankommen, wie auf die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners. Beides sei im übrigen gegeben.

Die Antragstellerin beantragt hierzu, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verwirkungseinwand des Antragsgegners führt sie aus, sie sei der drohenden Zwangsversteigerung des Hauses zuvorgekommen, die infolge ihrer Überschuldung gedroht habe. Sie habe ihre Preisvorstellungen durch den kurzfristigen notwendig werdenden Verkauf nicht realisieren können, sondern zu einem Preis von 860.000,-- DM verkaufen müssen. Dies könne ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Soweit der Antragsgegner die von ihr erstattete Strafanzeige als Verwirkungsgrund betrachte, sei dem entgegenzusetzen, daß zwischenzeitlich in zweiter Instanz gegen ihn eine Verwarnung mit Strafvorbehalt verhängt worden sei.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 518 ff. ZPO zulässige, insbesondere fristgerecht eingereichte und begründete Berufung des Antragsgegners gegen das Scheidungsverbundurteil des Amtsgerichts Langen ist in der Sache nicht begründet. Soweit der Antragsgegner die Entscheidung des Familiengerichts zum Sorgerecht angreift, teilt der Senat die Auffassung des Familiengerichts, daß zwischen den Eltern kein tragfähiges Maß an Einvernehmen vorhanden ist. Die persönliche Anhörung der Eltern durch die Berichterstatterin als beauftragte Richterin des Senats hat ergeben, daß eine ausreichende Kommunikationsbasis der Eltern nicht vorhanden ist. Im Vordergrund steht vielmehr der Partnerschaftskonflikt der Eltern, der von ihnen in vielfältiger Weise agiert wird. Die Unfähigkeit der Eltern, miteinander in angemessener Weise ein Gespräch zu führen, führt zu einer ständigen Belastung der Kinder, was auch bei ihrer persönlichen Anhörung deutlich erkennbar und von den Kindern thematisiert wurde. Diese festgestellten Umstände lassen erwarten, daß die Übertragung des Sorgerechts für die Kinder allein auf die Mutter ihrem Wohl am Besten entspricht (§ 1671 Abs. 2 Ziffer 2 BGB).

Die Berufung des Antragsgegners ist auch unbegründet, soweit er sich gegen die Verurteilung zur Zahlung einer Abfindung für den nachehelichen Unterhalt wendet. Der Senat teilt die Auffassung des Familiengerichts, daß die Parteien in der notariellen Urkunde vom 01. 02. 1990 eine Abfindungsvereinbarung dahingehend getroffen haben, daß der Antragstellerin ein Wahlrecht zusteht, ob sie nach der Scheidung Ehegattenunterhalt nach den gesetzlichen Regeln verlangen will oder statt dessen eine einmalige Abfindung in Höhe von 150.000,-- DM von dem Antragsgegner verlangt (VIII Ziffer 5 b der notariellen Vereinbarung). Dieses Wahlrecht hat die Antragstellerin ausgeübt, indem sie den Abfindungsbetrag verlangt hat. Der Wortlaut dieser Vereinbarung ist eindeutig, er läßt für die von dem Antragsgegner behauptete Voraussetzung, daß die Abfindung nur aus dem Erlös einer Grundstücksveräußerung habe gezahlt werden sollen, ebensowenig Raum wie für seine weitere Behauptung, die Zahlung des Abfindungsbetrages sei abhängig von der Bedürftigkeit der Antragstellerin und der Leistungsfähigkeit des Antragsgegners.

Der Unterhaltsanspruch der Antragstellerin ist auch nicht verwirkt. Die Antragstellerin hat zwar gegen ihre Verpflichtung aus der notariellen Vereinbarung verstoßen, das ihr übertragene Grundstück nicht ohne Zustimmung des Antragsgegners zu veräußern, doch stellt dieser Sachverhalt allein - unabhängig davon, ob die Antragstellerin dazu aufgrund einer Notlage gezwungen war - keine so schwerwiegende Pflichtverletzung dar, daß die Zahlung nachehelichen Unterhalts auch in Form eines Abfindungsbetrages deswegen als grob unbillig angesehen werden könnte (§ 1579 BGB). Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Vereinbarung vom 01. Februar 1990 für den Fall der Pflichtverletzung selbst eine Regelung trifft (Restitution). Für eine weitergehende Sanktion in Form der Verlust von Unterhaltsansprüchen besteht kein hinreichender Grund. Die von der Antragstellerin gegen den Antragsgegner erstattete Strafanzeige wegen Diebstahls ihres PKW's kann schon deswegen nicht einen Verwirkungsgrund darstellen, weil sie zu einer strafrechtlichen Ahndung des Verhaltens des Antragsgegners geführt hat.

Der Antragsgegner kann schließlich auch nicht gegen die der Antragstellerin zustehende Abfindungszahlung aufrechnen. Zum einen steht noch nicht fest, ob ihm eine entsprechende Forderung überhaupt zusteht. Die Antragstellerin behauptet, dem Antragsgegner sei ein Schaden nicht entstanden, weil sie das Grundstück zum bestmöglichen Preis in einer Notsituation habe veräußern müssen. Weil die Entscheidung dieser Frage Gegenstand eines anderweit rechtshängigen Verfahrens bildet, hätte der Senat das Verfahren gemäß § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit aussetzen müssen, wenn es für die hier zu treffende Entscheidung darauf ankäme. Dies ist aber nicht der Fall. Der Senat ist vielmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Bamberg (FamRZ 1996, S. 1487 ff.) der Auffassung, daß einer Aufrechnung des Antragsgegners das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB entgegensteht. Dieses Aufrechnungsverbot, das für Forderungen besteht, die nicht der Pfändung unterworfen sind, gilt nach allgemeiner Auffassung für Unterhaltsrenten jeglicher Art, die auf gesetzlicher Vorschrift beruhen. Während allgemein anerkannt ist, daß hiervon auch Rückstände erfaßt sind (BGHZ 31, 210,218), ist die Frage eines Aufrechnungsverbots umstritten, soweit die Einmalzahlung auch künftige Unterhaltsansprüche des Unterhaltsgläubigers abgelten soll. Der Senat teilt die Auffassung des Oberlandesgerichts Bamberg, daß das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB auch hier Geltung haben muß. Auch bei einer Einmalzahlung zur Abgeltung von Unterhaltsansprüchen ist das vom Gesetzgeber in § 850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO anerkannte Interesse zu berücksichtigen, daß Unterhaltsleistungen dem Unterhaltsgläubiger ungeschmälert zukommen sollen, weil nur so dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Lebensunterhalts des Unterhaltsberechtigten Genüge getan werde. Diese Auffassung steht allerdings im Widerspruch zu einer Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 17. 03. 1987 (12 W 31/98 U). Das Hanseatische Oberlandesgericht hat in dieser Entscheidung hinsichtlich der zur Abgeltung rückständigen Ehegattenunterhalts und zur Freistellung von zukünftigen Unterhaltsansprüchen der gemeinsamen Töchter gezahlten Kapitalabfindung eine Aufrechnung für zulässig erachtet, weil der soziale Schutzzweck des § 850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO sich auf solche Erstattungsforderungen nicht erstrecke. Das Oberlandesgericht Bremen hat in einer Entscheidung zum alten Eherecht (Rechtspfleger 1954, S. 48) entschieden, daß eine Abfindungszahlung keinen Pfändungsschutz genieße, weil sie ihres gesetzlichen Anspruchs entkleidet worden, insbesondere nicht mehr von der Bedürftigkeit der Gläubigerin und der Leistungsfähigkeit der Schuldners abhängig sei. Höchstrichterlich ist die Frage, inwieweit Abfindung nach Ehescheidung dem Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB unterliegen, noch nicht entschieden. Die Entscheidung über diese Frage hat aber grundsätzliche Bedeutung, weil sie die in einer Vielzahl von gleichgelagerten Fällen bestehende Rechtsunsicherheit beenden könnte. Der Senat hat deswegen hinsichtlich der Entscheidung über den nachehelichen Ehegattenunterhalt die Revision zugelassen (§ 621 d i.V.m. § 546 Abs. 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.

Dr. Eschweiler Juncker Michalik