OLG Frankfurt vom 26.01.2000 (1 UF 342/98)

Stichworte: Prozessvergleich, Anfechtung, Kalkulationsirrtum, Rechenfehler
Normenkette: BGB 119, 121, 139, 242
Orientierungssatz: Zur Anfechtbarkeit eines Prozessvergleichs, den die Parteien aufgrund einer fehlerhaften, von ihnen nicht weiter geprüften Berechnung des Richters geschlossen haben.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschweiler, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am OberlandesgerichtCarl im schriftlichen Verfahren aufgrund der bis zum 26. 01. 2000 eingereichten Schriftsätze für Recht erkannt:

Es wird festgestellt, daß der Rechtsstreit durch den vor der Einzelrichterin des Senats am 22. 03. 1999 abgeschlossenen Vergleich nicht beendet worden ist.

Das Teilurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Usingen vom 06. 01. 1998 wird aufgehoben und die Sache zur Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Usingen zurückverwiesen.

T a t b e s t a n d

Die Parteien streiten um Kindes- und Ehegattenunterhalt. Das Familiengericht Usingen hat durch Teilurteil über den Kindesunterhalt vorab entschieden und den Beklagten insoweit zur Zahlung von Unterhalt für die gemeinsamen drei Kinder der Parteien beginnend mit dem 1. 7. 1997 in unterschiedlicher Höhe verurteilt. Hinsichtlich des Ehegattenunterhalts wurde durch Beschluß des Familiengerichts vom 6. 11. 1997 Beweiserhebung über das Einkommen der Klägerin aus selbständiger Erwerbstätigkeit durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachten angeordnet.

Gegen die Verurteilung zum Kindesunterhalt hat der Beklagte Berufung eingelegt, mit der er hauptsächlich beantragt, das Teilurteil aufzuheben und die Sache an das Familiengericht zurückzuverweisen, hilfsweise beantragt er die Aufhebung des Urteils und die Abweisung der Klage. Zur Begründung hat er ausgeführt, ein Teilurteil habe nicht ergehen können, weil es an der dafür notwendigen Entscheidungsreife gefehlt habe. Maßgeblich für die Höhe des Kindesunterhalts sei auch das Einkommen der Klägerin.

Die Klägerin hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vor der Einzelrichterin des Senats haben die Parteien am 22. 3. 1999 einen Vergleich über den in der Berufungsinstanz anhängigen Rechtsstreit über den Kindesunterhalt getroffen und gleichzeitig eine vergleichsweise Regelung auch des erstinstanzlich noch nicht beschiedenen Ehegattenunterhalts erzielt. Bei der Berechnung des Ehegattenunterhalts verließen sich die Prozeßbevollmächtigten der Parteien auf die von der Einzelrichterin des Senats vorgenommene und vorgetragene Berechnung. Der Einzelrichterin unterlief dabei ein Rechenfehler in der Weise, daß sie nach Abzug des Kindesunterhalts von dem bereinigten Nettoeinkommen des Beklagten von einer Differenz der Höhe des zugrundegelegten Einkommens der Parteien ausging, die für die unterschiedlichen Zeitabschnitte um jeweils 1.000,-- DM zu gering war.

Mit Schreiben vom 20.05. 1999 der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin focht diese die getroffene Vereinbarung über den Ehegattenunterhalt wegen Irrtums an, nachdem sie bei der Berechnung des nachehelichen Unterhalts den Irrtum festgestellt hatte. Nachdem der Beklagte eine den Rechenfehler berücksichtigende Anpassung der Vereinbarung abgelehnt hatte, stellt die Klägerin nunmehr den Antrag, festzustellen, daß der Prozeßvergleich vom 22. 03. 1999 hinsichtlich des Ehegattenunterhalts unwirksam ist und der Rechtsstreit über den Trennungsunterhalt damit nicht erledigt ist.

Der Beklagte hält den Vergleich über den Ehegattenunterhalt für wirksam. Er erklärt aber, hilfsweise für den Fall, daß der Vergleich für unwirksam erklärt werde, erhebe er Widerklage mit dem Antrag, den Vergleich auch hinsichtlich des Kindesunterhalts für unwirksam zu erklären.

Zur Begründung führt er aus, das Einkommen der Parteien habe nicht grundsätzlich außer Streit gestanden, es sei nur vergleichsweise zugrundegelegt worden, um eine Gesamtlösung herbeizuführen, nur diese Gesamtlösung sei für den Beklagten akzeptabel gewesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Der von den Parteien vor der Einzelrichterin des Senats geschlossene Vergleich über den Kindes- und Ehegattenunterhalt hat keinen Bestand. Die in dem Vergleich zum Ehegattenunterhalt festgelegten Beträge beruhten auf einem Rechenfehler der Einzelrichterin, dessen Ergebnis die Parteien ungeprüft übernommen haben. Beide Parteien sind dabei dem Irrtum unterlegen, daß die Berechnung - unter korrekter Anwendung der Unterhaltsrichtlinien des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main - rechnerisch richtig durchgeführt worden sei. Es handelt sich insofern um einen Sonderfall des in Rechtsprechung und Literatur vielfach erörterten Kalkulationsirrtums, weil der Irrtum nicht auf einer internen Fehlkalkulation einer der Parteien beruhte, sondern von einer dritten Person verursacht worden ist, die keine besondere Nähe zu einer der Parteien aufwies, sondern gerade wegen ihrer Distanz zu beiden Parteien mit der Vermittlung in ihrem Streit im Rahmen von Vergleichsgesprächen betraut worden war.

Welche Rechtsfolgen ein Kalkulationsirrtum einer der Parteien für den Bestand einer Vereinbarung der Parteien hat, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Das Reichsgericht hat in ständiger Rechtsprechung (z. B. RGZ 64, S. 266 ff., RGZ 101, S. 107 ff.) die Auffassung vertreten, daß ein Kalkualtionsfehler immer dann als ein beachtlicher Irrtum über den Inhalt einer Erklärung und nicht lediglich als unbeachtlicher Motivirrtum anzusehen sei, wenn die Kalkulation zum Gegenstand der für den Vertragsschluß entscheidenden Verhandlungen gemacht worden ist; wenn bei den für den Vertragsschluß entscheidenden Verhandlungen, dem anderen Teil erkennbar, die verlangte oder angebotene Gegenleistung als durch näher bezeichnete Kalkulationen zustandene gekommen bezeichnet worden ist (RGZ 64, S. 268). Diese Auffassung des Reichsgerichts hat in der Literatur vielfach Widerspruch gefunden (Palandt-Heinrichs, BGB, 59. Aufl., Anm. 19 zu § 119 BGB m.w.N., John in JuS 1983, S. 176,178), doch hält der Senat die Auffassung des Reichsgerichts jedenfalls in dem hier vorliegenden Fall für zutreffend, in dem der Kalkulationsirrtum nicht aus der Sphäre einer Partei herrührt, sondern von dritter Seite in die Vereinbarung hineingetragen worden ist. Für diesen Fall des gemeinsamen Irrtums über die Berechnungsgrundlage vertritt auch Singer (JZ 1999, S. 342, hier S. 346 und 349) die Auffassung, daß ein solcher Kalkulationsfehler zur Irrtumsanfechtung berechtige. Er ist der Auffassung, es erscheine geradezu willkürlich, nur den für die Folgen eines Irrtums haften zu lassen, zu dessen Nachteil sich der beiderseitige Irrtum auswirken würde, obwohl ihn nicht alleine die Verantwortung treffe. Diese zutreffende Wertung von Singer gewinnt vorliegend besondere Bedeutung dadurch, daß der gemeinsame Irrtum der Parteien nicht ursächlich in einer internen Fehlvorstellung bestand, sondern auf einer externen Ursache (fehlerhafte Vorgabe der Richterin) beruhte.

Die weiteren Voraussetzungen der wirksamen Anfechtung nach § 119 BGB liegen vor. Insbesondere ist der Vergleich rechtzeitig angefochten worden. Die Anfechtung erfolgte unverzüglich (§ 121 Abs. 1 BGB), nachdem die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ihren Irrtum bemerkt hatte.

Der Vergleich ist aber auch als unwirksam anzusehen, wenn man seine Anfechtung wegen Irrtums nicht für zulässig hält. Der Vergleich wäre dann nach der Rechtsprechung über den Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 242 BGB unwirksam. Zwar haben die Vergleichsschließenden sich vorliegend nicht über einen realen Sachverhalt geirrt, beide hatten aber zur Geschäftsgrundlage gemacht, daß die Einzelrichterin des Senats ihre Berechnung in zutreffender Anwendung der Unterhaltsrichtlinien des Oberlandesgerichts und mit zutreffender Berechnungsmethode durchführt. Eine solche allseitige Fehlvorstellung über eine bestimmte Vorgehensweise ist wie der Wegfall einer realen Geschäftsgrundlage zu behandeln. Auch der Bundesgerichtshof hat in vergleichbaren Fällen externer Kalkulationsfehler die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage für möglich gehalten, wenn der Geschäftswille beider Parteien auf dieser Grundlage aufgebaut hatte (BGH NJW 1981, S. 1551).

Die Voraussetzungen für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage sind vorliegend gegeben. Insbesondere handelt es sich um eine wesentliche Fehlvorstellung, weil das Ergebnis zu einer erheblichen Abweichung des nach dem Vergleich vereinbarten von dem nach der zugrundliegende Berechnungsmethode zu errechnenden Unterhalts führte. Der in dem Vergleich der Parteien vereinbarte Ehegattenunterhalt hatte - für unterschiedliche Zeiträume leicht abweichend - eine Höhe zwischen 645,-- DM und 770,-- DM. Rechnerisch wären für diesen Zeitraum jeweils 400,-- DM mehr als monatlicher Ehegattenunterhalt zu zahlen gewesen. Die bei der Beurteilung der Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorzunehmende umfassende Interessenabwägung führt vorliegend dazu, daß eine Anpassung des Vergleichs nicht möglich ist. In Anbetracht des streitigen Ausgangseinkommens beider Parteien bei der Berechnung des Unterhalts kann der Senat eine angemessene Höhe des Ehegattenunterhalts nicht einseitig festsetzen.

Der Vergleich der Parteien ist bezüglich des Ehegattenunterhalts aber auch als unwirksam anzusehen, wenn man mit der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Fälle eines externen Kalkulationsirrtums den Bestand einer darauf beruhenden Vereinbarung davon abhängig macht, ob es als unzulässige Rechtsausübung im Sinne des § 242 BGB anzusehen ist, wenn der Vertragspartner auf der Durchführung des Vertrages besteht (BGH NJW 1998, S. 3192 ff.,3194). Die Voraussetzungen, unter denen der Bundesgerichtshof im Festhalten an einem auf Irrtum beruhenden Vertrag eine unzulässige Rechtsausübung sieht, sind vorliegend gegeben. Danach muß ein Irrtum von einigem Gewicht vorliegen mit der Folge, daß bei verständiger Würdigung des Einzelfalles die angefochtene Erklärung nicht abgegeben worden wäre. Außerdem muß die Vertragsdurchführung für einen der Erklärenden schlechthin unzumutbar sein. In Anbetracht des Umfangs des Irrtums, der dazu geführt hat, daß im Vergleich ein Ehegattenunterhalt festgehalten wurde, der im Durchschnitt ca. nur 2/3 des nach korrektem Vorgehen zu errechnenden Betrages ausgemacht hat, ist eine solche wirtschaftliche Unzumutbarkeit ohne weiteres zu bejahen. Besonderes Gewicht erlangt neben dem Umstand, daß vorliegend der Irrtum nicht von dem Vertragspartner hervorgerufen worden ist, weiter auch die Tatsache, daß es sich um einen fortlaufend geschuldeten Betrag handelte, welcher der Klägerin für einen zunächst nicht begrenzten Zeitraum erhebliche Unterhaltseinbußen zugemutet hätte. Schließlich ist auch zu beachten, daß der Gesichtspunkt von Treu und Glauben hier eine besondere Bedeutung dadurch erhält, daß die Vertragsparteien Ehegatten sind, die sich entsprechend der Rechtsmaxime des § 1353 Abs. 1 BGB besondere Rücksichtnahme schulden.

Der Vergleich vom 22. 03. 1999 ist somit hinsichtlich des Ehegattenunterhalts als unwirksam anzusehen. Diese Unwirksamkeit erfaßt nach § 139 BGB auch den Vergleich über den Kindesunterhalt. Der Beklagte hat nachvollziehbar dargetan, daß er den gesamten Vergleich nicht abgeschlossen hätte, wenn er davon hätte ausgehen müssen, daß die Vereinbarung über den Ehegattenunterhalt keinen Bestand hat. Die Klägerin hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, daß das Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen Teil zustande gekommen wäre. Ihre Behauptung, der Vergleich wäre ohnehin über den Kindesunterhalt abgeschlossen worden, ersetzt einen konkreten Tatsachenvortrag nicht.

Nachdem feststeht, daß der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 22. 03. 1999 nicht beendet worden ist, ist nunmehr über die Berufung des Beklagten gegen den im Teilurteil des Familiengerichts zuerkannten Kindesunterhalt zu befinden. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an die erste Instanz. Der Senat konnte einen entsprechenden Antrag des Beklagten, obwohl er in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt worden ist, vorliegend ohne weiteres berücksichtigen, weil Entscheidungsgrundlage im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO das gesamte mündliche und schriftliche Vorbringen einschließlich von Prozeßhandlungen ist, die in vorbereitenden Schriftsätzen erst für die mündliche Verhandlung angekündigt wurden (vgl.Zöller Kommentar zur Zivilprozeßordnung 20. Aufl. Anm. 14 a zu § 128 ZPO).

Das Teilurteil des Familiengerichts zum Kindesunterhalt war aufzuheben, weil die Entscheidung über die Höhe des Kindesunterhalts nicht unabhängig von einer Entscheidung über das Bestehen eines Anspruchs der Klägerin auf Zahlung von Ehegatten beurteilt werden kann. Der Beklagte hat sich nicht nur der Höhe sondern auch dem Grunde nach gegen die Zahlung von Ehegattenunterhalt bewendet. Für die Frage der Höhe des Kindesunterhalts ist es aber von Bedeutung, ob ein Anspruch auf Ehegattenunterhalt besteht. Nach den Leitlinien zum Unterhaltsrecht des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main ist für die Einstufung eines Unterhaltspflichtigen in eine bestimmte Gruppe der Düsseldorfer Tabelle - und damit verbunden die Frage der Höhe des Unterhaltsanspruchs - unter anderem maßgeblich, wie hoch die Zahl der Unterhaltsberechtigten ist. Eine größere oder geringere Zahl von Unterhaltsberechtigten hat eine Einstufung in eine niedrigere oder höhere Einkommensgruppe zur Folge (vgl. III B 1 der Leitlinien des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main zum Unterhaltsrecht). Da vorliegend der Unterhalt für die Klägerin selbst im Streit steht, ist eine abschließende Entscheidung über die Einstufung der unterhaltsberechtigten Kinder in das Tabellenwerk der Düsseldorfer Tabelle nach Frankfurter Praxis nicht möglich. Das Teilurteil des Amtsgerichts Usingen ist als horizontales Teilurteil somit unzulässig und war aufzuheben.

Über die Kosten des Berufungsrechtsstreit wird das Amtsgericht bei der abschließenden Entscheidung in erster Instanz zu befinden haben.

Dr. Eschweiler Carl Michalik