OLG Frankfurt vom 24.03.2010 (1 UF 326/09)

Stichworte: Ergänzungspfleger; Ermittlungen; Strafverfahren; Staatsanwaltschaft; Beschwerdeberechtigung; Beschwerdebefugnis;
Normenkette: FamFG 59 Abs. 2; BGB 1796;
Orientierungssatz:
  • 1. Gegen die Zurückweisung eines Gesuchs der Staatsanwaltschaft um Bestellung eines Ergänzungspflegers mit dem Aufgabenkreis, für das Kind über die Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht zu entscheiden, ist die Staatsanwaltschaft beschwerdeberechtigt.
  • 2. Wird gegen Eltern wegen des Verdachts der körperlichen Misshandlung ihres Kindes ermittelt, kann die Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Kind mit dem Aufgabenkreis, über die Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht zu entscheiden, selbst dann geboten sein, wenn die Kindeseltern die Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht zu erklären bereit sind.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Groß-Gerau vom 12.11.2009 am 24. März 2010 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

    Die Entscheidungsbefugnis über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht im Zusammenhang mit der von dem Kind A ... am 31. 7. 2009 erlittenen Verletzungen und deren Behandlung wird den Kindeseltern (den Beteiligten zu 1 und zu 2) entzogen und Frau Rechtsanwältin ... als Ergänzungspflegerin übertragen.

    Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Die Erstattung von Kosten wird nicht angeordnet.

    Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 E festgesetzt.

    Gründe:

    Gegen die Eltern des betroffenen Kindes ermittelt die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt (Az. ...) wegen des Verdachts, das Kind körperlich misshandelt zu haben. Die Staatsanwaltschaft hat beim Familiengericht beantragt, für das Kind einen Ergänzungspfleger zu bestellen, der über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht entscheiden soll. Dies hat die Rechtspflegerin mit dem angefochtenen Beschluss mit der Begründung abgelehnt, ein gesetzlicher Ausschluss der Eltern von der Vertretungsbefugnis bestehe nicht und eine Entziehung ihrer Vertretungsbefugnis sei nicht erforderlich, weil die Eltern im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung die Bereitschaft erklärt hätten, als gesetzliche Vertreter des Kindes die erforderlichen Erklärungen zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht abzugeben.

    Hiergegen richtet sich die von der Staatsanwaltschaft Darmstadt eingelegte Beschwerde.

    Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig. Gegen den Beschluss des Familiengerichts ist die Beschwerde nach § 58 FamFG eröffnet, die form- und fristgerecht eingelegt wurde. Die Staatsanwaltschaft ist nach § 59 FamFG beschwerdeberechtigt, weil sie im Sinne der Wahrung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein rechtliches Interesse an der Änderung der Entscheidung hat und sie durch die angegriffene Entscheidung in den aus ihrer Amtsführung erwachsenen Rechten beeinträchtigt wird (Keidel/Meyer- Holtz, FamFG, § 59 Rdn. 64). Die Beschwerdeberechtigung der Staatsanwaltschaft wurde im Falle der verweigerten Anordnung einer Ergänzungspflegschaft bisher aus § 57 Abs. 1 Nr. 3 FGG (vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 243) bzw. aus § 20 Abs. 2 FGG (OLG Naumburg OLGR 2006, 392) hergeleitet. Das FamFG enthält keine § 57 FGG vergleichbare Sonderregelung der Beschwerdeberechtigung für solche Angelegenheiten, sondern fasst die Beschwerdeberechtigung in der Regelung des § 59 FamFG zusammen. Diese Bestimmung schränkt die Beschwerdeberechtigung im Vergleich zu der bisherigen Rechtslage jedoch nicht ein, weshalb die zum bisherigen Recht ergangene Rechtsprechung, welcher sich der Senat anschließt, auch im Rahmen des § 59 FamFG Bedeutung behält. Die Staatsanwaltschaft ist daher auch unter der Geltung des FamFG beschwerdeberechtigt, wenn ihrem Gesuch auf Bestellung eines Ergänzungspflegers wegen gegen die Eltern des Kindes geführter Ermittlungen nicht entsprochen wird.

    Der Senat teilt die Auffassung der Rechtspflegerin, dass ein gesetzlich geregelter genereller Ausschluss der Vertretungsbefugnis nicht besteht. Die strafprozessualen Vorschriften regeln einen solchen Ausschluss in § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO für die Entscheidung über das Zeugnisverweigerungsrecht des Kindes und in § 81c Abs. 3 Satz 2 StPO für die Entscheidung über die Einwilligung in körperliche Untersuchungen des Kindes im Rahmen strafprozessualer Ermittlungen. Für die Entscheidung über die Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht im Rahmen von ärztlichen Behandlungsmaßnahmen fehlt eine vergleichbare Norm. Das Recht kann zwar zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs einen Eingriff in das elterliche Sorgerecht erlauben, jedoch bedarf es wegen des Gesetzesvorbehalts hierfür einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage (BVerfG - Beschl. v. 16. 1. 2003 - 2 BvR 716/01 - NJW 2003, 2004). Ein genereller Ausschluss eines Teilbereichs des verfassungsrechtlich geschützten Elternrechts kann nicht aus einer analogen Anwendung der oben genannten strafprozessualen Vorschriften hergeleitet werden, da der Gesetzesvorbehalt im grundrechtesrelevanten Bereich der Analogie Grenzen setzt (vgl. z.B. BGH - Beschl. vom 1. 2. 2006 - XII ZB 236/05, zitiert nach juris, dort Rdn. 15).

    Dies gilt vor allem auch deshalb, weil es einer solchen analogen Anwendung nicht bedarf, wenn über §§ 1629, 1693, 1796 BGB die erforderlichen sorgerechtlichen Maßnahmen ergehen können, um einem Interessenkonflikt Rechnung zu tragen.

    Nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB kann bei erheblichem Widerstreit zwischen den Interessen der Eltern und des Kindes den Eltern die Vertretungsbefugnis entzogen werden.

    Es unterliegt keinem Zweifel, dass bei Ermittlungsverfahren gegen die Eltern wegen des Verdachts einer zum Nachteil des Kindes ausgeübten erheblichen Straftat ein Interessenwiderstreit vorliegt, der eine Ergänzungspflegerbestellung nach § 1796 BGB gebieten kann. Anders als § 1795 BGB setzt § 1796 BGB aber einen sich aus dem Einzelfall ergebenden Interessenwiderstreit voraus. Ein Entzug der Vertretungsbefugnis hat zu unterbleiben, wenn zu erwarten ist, dass die Eltern trotz des erkennbaren Interessenkonflikts dennoch im Interesse ihres Kindes handeln werden (OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 51). Andererseits kann aber auch für bestimmte Fälle des Interessenkonflikts die Gefahr einer den Interessen des Kindes zuwiderlaufenden Ausübung der Vertretungsbefugnis so groß sein, dass dem durch die Bestellung eines Pflegers rechtzeitig vorgebeugt werden muss (BGH FamRZ 2008, 1156). Es ist daher im Rahmen tatrichterlicher Verantwortung unter Abwägung aller Umstände zu entscheiden, ob eine vorbeugende Pflegschaftsanordnung geboten ist oder ob ein Zuwarten ratsam erscheint, bis sich klärt, ob die Eltern ihre Vertretungsbefugnis interessengerecht ausüben oder ob sie die Belange des Vertretenen nicht im gebotenen Maße wahren (BGH FamRZ 2008, 1156).

    Hier erachtet der Senat abweichend vom Familiengericht eine Entziehung der Vertretungsbefugnis und die Bestellung eines Ergänzungspflegers trotz der von den Eltern bekundeten Bereitschaft, die erforderlichen Erklärungen für die Schweigepflichtentbindung abzugeben, für erforderlich. Dass die Kindeseltern gegenüber der Rechtspflegerin erklärt haben, sie würden im Namen des Kindes die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden, beseitigt nicht die Gefahr einer künftigen anderweitigen Entscheidung der Eltern. Zudem könnte eine durch die Eltern für das Kind erklärte Schweigepflichtentbindung von diesen jederzeit widerrufen werden mit der Folge, dass die aus den Angaben und Unterlagen der Ärzte gewonnenen Erkenntnisse im Strafverfahren nicht verwertbar wären. Zwar könnte auch dann noch eine Ergänzungspflegschaft angeordnet werden und von einem dann zu bestellenden Pfleger die Entbindung von der Schweigepflicht erklärt werden. Die damit verbundenen Nachteile - etwa wenn ein solcher Widerruf im Rahmen einer Hauptverhandlung erfolgen würde und eine Pflegerbestellung nicht innerhalb der strafprozessualen Fristen für die Unterbrechung eines Strafverfahrens nachgeholt werden kann - gebieten es, hier trotz der erklärten Bereitschaft zur Schweigepflichtentbindung vorbeugend die Vertretungsbefugnis der Eltern zu diesem Wirkungskreis zu entziehen und gemäß § 1909 BGB die Ergänzungspflegschaft anzuordnen. Dies gilt auch deshalb, weil die Entbindung von der Schweigepflicht nicht nur für das Ermittlungsverfahren, sondern auch für die nach § 1666, 1666a BGB erforderliche Klärung Bedeutung erlangen kann.

    Abweichend von der Anregung der Staatsanwaltschaft bestellt der Senat nicht die in dem beim Familiengericht anhängigen Sorgerechtsverfahren für das Kind bestellte Verfahrensbeiständin als Ergänzungspflegerin. Die Interessen des Kindes im Sorgerechtsverfahren können andere sein als im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Zudem stehen die Aufgaben eines Verfahrensbeistands nicht im Einklang mit den Aufgaben des Ergänzungspflegers. So ergibt sich schon aus § 158 FamFG, dass der Verfahrensbeistand nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes sein soll, was jedoch der Ergänzungspfleger für den ihm übertragenen Wirkungskreis ist.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG.

    Michalik Dr. Heilmann Grün