OLG Frankfurt vom 26.11.2009 (1 UF 307/09)

Stichworte: einstweilige Anordnungen, Kindschaftssachen, Anfechtbarkeit;
Normenkette: FamFG 151 Nr. 6, 7,167 Abs. 1 S, 1 iVm 331, 58 Abs. 1; FamFG 151 Nr. 6, 7,167 Abs. 1 S, 1 iVm 331, 58 Abs. 1;
Orientierungssatz:
  • Für die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels genügt der Anschein einer gerichtlichen Entscheidung
  • Die Statthaftigkeit der Beschwerde gegen einstweilige Anordnungen in den Kindschaftssachen der § 151 Nr. 6 und 7 FamFG ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 331 i.V.m. § 58 Abs. 1 FamF
  • Es ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber an der Anfechtbarkeit einer einstweiligen Anordnungen, die sich aus §§ 70 m Abs. 1 i.V.m. 70 g Abs. 3 Satz 1 FGG a.F. ergab, etwas ändern wollte
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Kindschaftssache

    hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 1. Senat für Familiensachen, durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Michalik, die Richterin am Oberlandesgericht Wegener und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Heilmann auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Rüsselsheim vom 19. Oktober 2009

    beschlossen:

    Es wird festgestellt, dass eine Genehmigung der Unterbringung des Kindes in einer geschlossenen Einrichtung im Wege der einstweiligen Anordnung durch einen familiengerichtlichen Beschluss vom 19. Oktober 2009 nicht vorliegt.

    Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.

    Gründe:

    I.

    Das betroffene Kind wurde im Februar 1994 geboren. Mit Antrag vom 28. September 2009 begehrte der Vater die Genehmigung der Unterbringung seines Sohnes in einer geschlossenen Einrichtung. Das Amtsgericht hat ein ärztliches Attest eingeholt, welches unter dem 12. Oktober 2009 erstattet worden ist. Es hat zudem das Jugendamt schriftlich sowie den Vater und das Kind persönlich angehört. Unter dem 19. Oktober 2009 wurde die Ausfertigung eines im Wege einstweiliger Anordnung erlassenen Unterbringungsbeschlusses nebst Bestellung eines Verfahrensbeistandes an das Kind, den Vater, das Jugendamt und den Verfahrensbeistand - nicht jedoch an die Mutter - zugestellt. Ein Beschluss befindet sich lediglich als Entwurf in der Akte. Dieser ist von der Richterin nicht unterschrieben. Mit einem am 02. November 2009 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben hat das Kind Beschwerde eingelegt. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens wurde der Mutter und dem Verfahrensbeistand rechtliches Gehör gewährt.

    II.

    Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet. Es führt zur Beseitigung des äußeren Anscheins einer tatsächlich und rechtlich nicht existenten Entscheidung des Amtsgerichts vom 19. Oktober 2009.

    1. Das Rechtsmittel der Beschwerde, welches durch das Amtsgericht erst dem Landgericht zur Entscheidung zugeleitet worden ist, ist statthaft. Für die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels genügt zum einen der Anschein einer gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerfG, NJW 1985, 788). Zum anderen ergibt sich die Statthaftigkeit der Beschwerde gegen einstweilige Anordnungen in den Kindschaftssachen der § 151 Nr. 6 und 7 FamFG aus § 167 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 331 i.V.m. § 58 Abs. 1 FamFG. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 57 FamFG. Zwar bestimmt § 57 Satz 1 FamFG, dass einstweilige Anordnungen in Familiensachen nicht anfechtbar sind, womit nach § 111 Nr. 2 i.V.m. § 151 Nr. 6 FamFG auch einstweilige Anordnungen zur Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen nach § 1631 b BGB erfasst sein könnten. Zumal einer der in § 57 Satz 2 FamFG genannten Ausnahmefälle nicht gegeben ist. Nach § 167 Absatz 1 Satz 1 FamFG finden auf das Unterbringungsverfahren Minderjähriger aber die Vorschriften über die Unterbringungssachen (§§ 312 ff. FamFG) Anwendung. Dort ist die Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung statthaft (vgl. nur Keidel- Budde, FamFG, § 331 Rn. 10). Unbeschadet dessen ergibt sich die Anfechtbarkeit der einstweiligen Anordnung in Unterbringungsverfahren betreffend Minderjährige auch aus einer historischen Auslegung. Denn es ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber an der Anfechtbarkeit dieser einstweiligen Anordnungen, die sich aus §§ 70 m Abs. 1 i.V.m. 70 g Abs. 3 Satz 1 FGG a.F. ergab, etwas ändern wollte. Die Problematik wurde durch die nahezu unveränderte Übernahme von § 620 c ZPO a.F. in § 57 FamFG schlichtweg übersehen.

    Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist das Kind vorliegend mit Blick auf §§ 59 Abs. 1, 167 Abs. 3 FamFG beschwerdeberechtigt.

    2. Die Beschwerde ist begründet.

    Es kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne von § 167 Abs. 1 Satz 1 FamFG i.V.m. § 331 FamFG mit Blick auf § 1631 b BGB vorliegend erfüllt sind. Insoweit bestehen mit Blick auf die Gestaltung des erstinstanzlichen Verfahrens unter Berücksichtigung der Intensität des Eingriffs in die Grundrechte des betroffenen Kindes Bedenken (hierzu BVerfG, FamRZ 2007, 1627ff.). Diese ergeben sich zum einen auf Grund der bislang unzureichend aufgeklärten Rechtslage zum Sorgerecht, über die sich das Gericht im Rahmen des § 26 FamFG eine eigene Überzeugung zu verschaffen hat. Zum anderen lag eine aktuelle Zustimmungserklärung der wohl ebenfalls personensorgeberechtigten Mutter, der vom Amtsgericht überdies rechtliches Gehör nicht gewährt worden ist, zum Zeitpunkt des (beabsichtigten) Erlasses der Entscheidung nicht vor. Schließlich bestehen Bedenken auch im Hinblick auf den Zeitpunkt der (beabsichtigten) Bestellung des Verfahrensbeistandes (vgl. auch § 167 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 331 Abs. 1 Ziff. 3 FamFG). Überdies ist eine Abhilfeprüfung des Amtsgerichts (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 FamFG) unterblieben.

    Die Beschwerde ist unbeschadet dessen deswegen begründet, weil ein wirksamer Beschluss nicht vorliegt und der Mangel im Rahmen des Abhilfeverfahrens ohnehin nicht geheilt werden kann. Denn nach § 38 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist der gerichtliche Beschluss zu unterschreiben. Fehlt die Unterschrift, dann handelt es sich nur um einen Entwurf, dem trotz schriftlicher Bekanntgabe nur die Qualität einer Scheinentscheidung zukommt, weil es der auf die Setzung eines Rechtsaktes gerichteten Willensäußerung des Richters fehlt (vgl. nur Keidel/Meyer-Holtz, FamFG, § 38 Rn. 85f.). Ein unterschriebener Beschluss findet sich nicht in der Akte. Es kommt hinzu, dass von der Richterin ausdrücklich die Fertigung eines "Beschlusses nach folgendem Entwurf" verfügt worden ist, der sodann zur Unterschrift vorgelegt werden sollte. Dies ist offensichtlich nicht geschehen. Vor diesem Hintergrund dient das Rechtsmittel alleine der Beseitigung des äußeren Anscheins, der durch die fehlerhaft erteilten Ausfertigungen erweckt worden ist (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1999, 452).

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 20 FamGKG.

    Michalik Wegener Dr. Heilmann