OLG Frankfurt vom 25.10.1999 (1 UF 224/99)

Stichworte: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Sorgfaltspflicht des PV, Kontrolle des Fristablaufs
Normenkette: ZPO 85 Abs. 2, 212a, 233
Orientierungssatz: Die ordnungsgemäße und insbesondere fristgerechte Erteilung des Rechtsmittelauftrags macht es erforderlich, das für den Lauf der Rechtsmittelfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zu ermitteln (BGH, NJW--RR 1995, S. 825; st. Rspr.). Bei der Prüfung des Fristablaufs für die Einlegung der Berufung durfte der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte nicht ohne weiteres von dem Eingangsstempel auf der in der Handakte zuletzt abgehefteten Urteilsausfertigung ausgehen. Vielmehr mußte ihm bekannt sein, das nicht dieser Stempel, sondern allein das Datum, unter dem das Empfangsbekenntnis gemäß § 212 a ZPO unterzeichnet worden war, für den Beginn der Berufungsfrist maßgebend war.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 25. Oktober 1999 beschlossen

Der Antrag der Beklagten, ihr wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

Dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ist am 22.07.1999 eine Ausfertigung des am 21.07.1999 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Dillenburg zugestellt worden. Dies ergibt sich sowohl aus dem von dem Prozeßbevollmächtigten unterzeichnetem Empfangsbekenntnis als auch aus dem Eingangsstempel, der sich auf der von dem Prozeßbevollmächtigten bestimmten Urteilsausfertigung befindet. Eine vollstreckbare Ausfertigung wurde dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten sodann am 29.07.1999 übersandt und von dessen Büro mit einem Eingangsstempel vom gleichen Tage versehen. Mit Schreiben vom 20.08.1999 bat der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagten den beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main zugelassenen Rechtsanwalt W., gegen das dem Schreiben in Ablichtung beigefügte Urteil vom 21.07.1999, das am 29.07.1999 zugestellt worden sei, Berufung einzulegen. Dieses Schreiben wurde Rechtsanwalt W. am 20.08.1999 per Telefax übermittelt. Am 26.08.1999 ging beim Oberlandesgericht die Berufungsschrift ein. Mit Schriftsatz vom 08.09.1999 hat die Beklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der eingelegten Berufung beantragt.

Der zulässige Antrag auf Wiedereinsetzung hat in der Sache keinen Erfolg, da die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung auf einem der Beklagten zuzurechnenden Verschulden ihres erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten beruht. Dieser hat mit eidesstattlicher Versicherung vom 31.08.1999 glaubhaft gemacht, daß die unrichtige Mitteilung des Datums der Zustellung des angefochtenen Urteils darauf beruht habe, daß ihm nach der am 22.07.1999 erfolgten Zustellung einer Urteilsausfertigung eine weitere Ausfertigung des Urteils übermittelt worden sei, die den Eingangsstempel vom 29.07.1999 erhalten habe. Nachdem diese Urteilsausfertigung sowie weitere Posteingänge in die Handakte oben aufgeheftet worden seien, sei dem mit der Berufung beauftragten zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten eine Kopie der am 29.07.1999 eingegangenen vollstreckbaren Urteilsausfertigung übersandt und diesem zugleich ein falsches Zustellungsdatum -der 29.07.1999- mitgeteilt worden.

Danach hat der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagte seiner Sorgfaltspflicht nicht genügt. Die ordnungsgemäße und insbesondere fristgerechte Erteilung des Rechtsmittelauftrags macht es nämlich erforderlich, das für den Lauf der Rechtsmittelfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zu ermitteln (BGH, NJW--RR 1995, S. 825; st. Rspr.). Bei der Prüfung des Fristablaufs für die Einlegung der Berufung durfte der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte nicht ohne weiteres von dem Eingangsstempel auf der in der Handakte zuletzt abgehefteten Urteilsausfertigung ausgehen. Vielmehr mußte ihm bekannt sein, das nicht dieser Stempel, sondern allein das Datum, unter dem das Empfangsbekenntnis gemäß § 212 a ZPO unterzeichnet worden war, für den Beginn der Berufungsfrist maßgebend war. Deshalb bedarf es regelmäßig einen besonderen Vermerks, wann die Zustellung des Urteils erfolgt ist. Diesen Vermerk vermag der Eingangsstempel des Anwaltsbüros auf dem zugestellten Urteil nicht zu ersetzen, weil er nur den Eingang dieses Dokuments in der Kanzlei bestätigt, nicht jedoch die für eine Zustellung gemäß § 212 a ZPO erforderliche und für den Fristbeginn maßgebliche Entgegennahme durch den Rechtsanwalt (vgl. BGH NJW 1996, S. 1968, 1969 m.w.N.; st. Rspr.).

Das der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Verschulden ihres erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten entfällt auch nicht dadurch, daß dieser das -falsche- Zustellungsdatum, der ihm am 29.07.1999 übermittelten vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils entnommen hat. Ein das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten ausschließender Sachverhalt, wie er dem vom Bundesgerichtshof in VersR 1987 S. 258 f. entschiedenen Fall zugrunde lag, liegt hier nicht vor. Am 29.07.1999 erfolgte nämlich weder absichtlich noch "versehentlich" ein zweites Mal die Zustellung einer Ausfertigung des angefochtenen Urteils. Vielmehr wurde dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten an diesem Tag eine vollstreckbare Ausfertigung des bereits am 22.07.1999 gemäß § 212 a ZPO zugestellten Urteils -formlos- übermittelt.

Dr. Eschweiler Noll Carl