OLG Frankfurt vom 05.08.1998 (1 UF 195/98)

Stichworte:
Normenkette: BGB 1671 BGB 1672 aF BGB 1671 nF KindRG Art. 15 Par. 2 Abs. 4 ZPO 623 Abs. 2
Orientierungssatz: BGB §§ 1671, 1672 a.F. und 1671 n.F.; KindRG Art. 15 § 2 IV; 623II ZPO. Auch wenn in erster Instanz ein Scheidungsverfahren anhängig ist, wird ein Beschwerdeverfahren betreffend eine vor dem 01.07.1998 ergangene erstinstanzliche Sorgerechtsentscheidung nach § 1672 BGB a.F. als isolierte Familiensache weiter geführt. (Anders: OLG Hamm, FamRZ 98, 1136: Erledigung der Hauptsache in der Beschwerdeinstanz)

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin aus dem Beschwerdeverfahren zu tragen. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Der Beschwerdewert wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.

G r ü n d e :

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Amtsgericht die elterliche Sorge für das gemeinsame Kind der Parteien auf die Mutter übertragen und gleichzeitig die Herausgabe an sie angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, beide Eltern hätten in der Vergangenheit nicht auf die Belange des Kindes Rücksicht genommen. Die Mutter habe eine Beteiligung des Vaters an der Erziehung des Kindes zu verhindern versucht und Kontakte nur durch Vermittlung ihrer Mutter zugestanden. Der Vater habe nur an die Durchsetzung seiner Interessen gedacht, als er das Kind gegen den Willen seiner Mutter nach Deutschland verbracht habe. Dieses für das kleine Kind schreckliche Erlebnis lasse sich nicht damit rechtfertigen, daß der Vater den Verlust seiner Vaterrolle gefürchtet habe. Solche Befürchtungen könnten im übrigen auch nicht das schreckliche Erlebnis rechtfertigen, das ein kleines Kind erleide, wenn es aus seiner bisherigen vertrauten Umgebung herausgerissen und von allen bisherigen Bezugspersonen getrennt werde. Der Antragsteller habe mit dieser Handlungsweise massiv gegen das Wohl seines Kindes verstoßen, aus diesem Grund könne ihm die elterliche Sorge für das gemeinsame Kind nicht übertragen werden.

Gegen diesen Beschluß hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt. In der Beschwerdebegründung führt er aus, er habe immer wieder versucht, im Interesse seines Kindes mit der Antragsgegnerin Absprachen über ein Umgangsrecht zu treffen, die Antragsgegnerin habe dies aber systematisch blockiert. Die Möglichkeit, ein Besuchsrecht in Japan vor Gericht durchzusetzen, bestehe nicht. Vor dem Hintergrund des durch die Antragsgegnerin entwürdigend ausgestalteten Besuchsrechts und der von ihr beabsichtigten Adoption durch die Großeltern sei die Herausnahme des Kindes aus der Obhut seiner Mutter letztlich in dessen Interesse erforderlich gewesen. Da auch er eine vertraute Bezugsperson für das Kind gewesen sei, habe eine Gefährdung des Kindeswohls darin nicht gelegen. Das Kind habe durch den Wechsel auch keinerlei nachteiliger Auswirkung erfahren müssen, weil eine gute Bindung zu dem Vater schon in Japan bestanden habe und nach wie vor bestehe.

Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen. Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertritt die Auffassung, daß es zum Wohl des Kindes geboten sei, wenn es unverzüglich in ihre Obhut zurückkehre. Sie räumt ein, daß ihr der Kontakt zum Antragsteller gegenwärtig schwer falle, weil sie sein Verhalten ihr gegenüber als kränkend erlebt habe. Die mit ihren Eltern angesprochene Adoption des Kindes durch die Großeltern habe nicht dem Ziel gedient, den Vater aus der Familie auszuschließen, sondern sei lediglich ins Auge gefaßt worden, um die vermögensrechtliche Situation des Kindes abzusichern. Diese Pläne würden aber nicht weiter verfolgt.

Beide Eltern haben in der Anhörung durch die beauftragte Richterin des Senats erklärt, sie würden bei einem endgültigen Verbleiben des Kindes in ihrer Obhut Kontakte zum anderen Elternteil aufbauen und fördern.

Die gemäß § 621 e ZPO zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Familiengericht Langen war für die mit der Beschwerde angefochtenen Regelungen international zuständig. Die Zuständigkeit folgt nicht aus den Vorschriften des Haager- Minderjährigen-Schutzabkommens (MSA), weil dessen Anwendbarkeit gemäß Art. 13 Abs. 1 MSA wegen der an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes geknüpften Zuständigkeit scheitert. Xxx xxx hält sich erst seit 3 Monaten in Deutschland auf, bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, daß er hier bereits seinen Lebensmittelpunkt begründet hat. Als dieser ist nach wie vor Japan anzusehen, das dem Abkommen nicht beigetreten ist. Aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Rechtshängigkeit einer Ehesache bei dem Familiengericht in Langen folgt die internationale Zuständigkeit dieses Gerichts aber aufgrund der ihm zustehenden örtlichen Zuständigkeit im Sinne von § 621 Abs. 2 S. 1 ZPO. Da die mündliche Verhandlung vor dem Familiengericht am 30.06.1998, also vor Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 01.07.1998 (Art. 17 § 1 der Schlußvorschriften zum Kindschaftsrechtsreformgesetz) geschlossen worden war, wurde das nach altem Recht anhängige isolierte Verfahren zur Regelung der elterlichen Sorge gemäß § 1672 BGB (alte Fassung) nicht Folgesache im Verfahrensverbund des Scheidungsverfahrens gemäß § 623 Abs. 2 ZPO (neue Fassung). Eine Abtrennung des Sorgerechts- und Herausgabeverfahrens aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Gesetzesänderung, die zur Folge hätte, daß beide Verfahren nunmehr als Folgesachen der rechtshängigen Ehesache anzusehen wären (§ 623 Abs. 2 ZPO, neue Fassung), hält der Senat nicht für geboten. Ist, wie hier, die mündliche Verhandlung vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes geschlossen worden, ist es sachlich geboten, das Verfahren auch in zweiter Instanz als isoliertes Verfahren weiter zu betreiben, weil ansonsten eine Entscheidung in der Sache nicht möglich wäre. Dies entspricht nicht dem Sinn des Gesetzes, was auch daraus folgt, daß gemäß § 623 Abs. 2 ZPO (neue Fassung), eine Folgesache zur Regelung des Sorgerechts jederzeit vom Scheidungsverfahren abzutrennen ist.

Die Sachentscheidung folgt aus dem japanischen Recht. Dieses Recht ist gemäß Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 EGBGB vorliegend für die allgemeinen Ehewirkungen der Parteien maßgeblich, weil beide Parteien zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Japan hatten und die Antragsgegnerin noch dort wohnt. Diesem Eherechtsstatut unterliegt gemäß Art. 19 Abs. 2 EGBGB auch das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern. In Artikel 818 des japanischen bürgerlichen Gesetzbuches ist geregelt, daß ein Kind bis zur Volljährigkeit der elterlichen Gewalt der Eltern untersteht (Art. 818 Abs. 1). Weiter bestimmt diese Vorschrift, daß die Eltern während der Ehe die elterliche Gewalt gemeinschaftlich ausüben. Ist aber einer der Elternteile zur Ausübung der elterlichen Gewalt unfähig, so übt sie der andere Elternteil aus. Worin eine solche Unfähigkeit zur Ausübung der elterlichen Gewalt zu sehen ist, wird im Gesetz nicht ausgeführt. Der Senat geht aber davon aus, daß auch das japanische Recht für den Fall eines schwerwiegenden Elternkonflikts aus Anlaß der Trennung einen der beiden Elternteile als nicht dazu in der Lage (unfähig) ansehen wird, die elterliche Gewalt auszuüben, und in diesem Fall eine Übertragung des Sorgerechts auf nur einen Elternteil zum Schutz des Kindes vorsieht. Entsprechend wird diese Norm des Japanischen Bürgerlichen Gesetzbuchs ausgelegt. Hilfsweise ist dieses Ergebnis auch aus Art. 6 EGBGB herzuleiten. Danach ist die Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist. Insbesondere scheidet die Anwendung einer Rechtsnorm danach aus, wenn sie mit den Grundrechten unvereinbar ist. Die für die Anwendung dieser Vorbehaltsklausel erforderliche genügende Inlandsbeziehung ist vorliegend ohne weiteres gegeben, da das Kind der Parteien auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, und diese Rechtsstellung bei der auf das Kind anzuwendenden Rechtsnorm des Art. 5 EGBGB anderen Rechtsstellungen vorgeht. Danach besteht vorliegend eine Inlandsbeziehung von großer Intensität, die es gebietet, einen Verstoß gegen deutsche Gerechtigkeitsvorstellungen abzuwenden. Als einen solchen Verstoß gegen durch die Grundrechte verankerter Wertvorstellungen (Art. 2 I i.V.m. 1 I GG) wäre es anzusehen, wenn einem Kind bei Trennung der Eltern nicht die für sein Wohlergehen bestmögliche Lebensperspektive öffnet werden könnte. Ist dies ausnahmsweise nur durch die Übertragung des Sorgerechts nur auf einen Elternteil möglich, kann entgegenstehendes ausländisches Recht nicht angewendet werden. In diesem Fall ist nach deutschem Recht die Regelung zu treffen, die dem Wohl des Kindes am besten entspricht (§ 1671 Abs. 1 und 2 Ziff. 2 BGB neue Fassung).

Vorliegend ist der Senat davon überzeugt, daß es dem Wohl des Kindes am besten entspricht, wenn es wieder zurück in die Obhut seiner Mutter gebracht wird und mit ihr gemeinsam in deren Wohnung nach Japan zurückkehrt. Diese Regelung berücksichtigt die stärkere Bindung des Kindes an seine Mutter, weil es bis zum Verbringen nach Deutschland ganz überwiegend in deren vertrauter Nähe aufgewachsen ist. Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß Xxx xxx von seiner Mutter noch gestillt worden ist, als er vom Vater weggebracht wurde. Dieser Sachverhalt ist auch vom Vater nicht bestritten worden, wenn er auch den Umfang der Stillzeit nicht mehr für bedeutend hielt. Der dadurch besonders intensive Kontakt zu seiner Mutter wurde durch das Verbringen des Kindes nach Deutschland abrupt unterbrochen, was einen tiefen Einschnitt in die seelischen Beziehungen des Kindes und auch seine körperliche Befindlichkeit bedeutet. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig nachvollziehbar, wenn der Vater nach dem Wechsel in seinen Haushalt bei dem Kind keinerlei Veränderungen, Befindlichkeitsstörungen, z.B. Traurigkeit und Verunsicherung festgestellt haben will. Die Entscheidung des Vaters, Xxx xxx unvermittelt seiner Mutter zu entziehen, bewirkt erhebliche Zweifel, ob er dazu fähig ist, für sein Kind verantwortlich zu handeln und eigene Bedürfnisse dafür hinzustellen. Die von ihm zur Begründung seiner Handlungsweise herangezogene Verweigerung des Umgangsrechts rechtfertigt sein Vorgehen nicht. Auch wenn die Möglichkeiten des Vaters, Kontakt zu seinem Kind zu halten, erheblich eingeschränkt worden sind, was auch die Antragsgegnerin zugesteht, zeugt sein Handeln nicht von Fürsorge seinem Kind gegenüber, sondern belegt, daß er der Durchsetzung der eigenen Vaterrolle Vorrang vor den Interessen des Kindes eingeräumt hat. Daß die Eskalation des Elternkonflikts ebenso auf der Handlungsweise der Antragsgegnerin beruht, ändert an dieser Beurteilung nichts.

Der Rückkehr in die Obhut der Mutter stehen auch die Auswirkungen der zwischenzeitlich beim Vater verbrachten Zeit und die dadurch gewachsene engere Bindung des Kindes an ihn nicht entgegen. Daß solche engen Bindungen jetzt bestehen, konnte im Umgang des Vaters mit seinem Sohn von allen Verfahrensbeteiligten beobachtet werden. Diese enge gefühlsmäßige Bindung, die das Kind erkennbar jedenfalls jetzt auch gegenüber seinem Vater entwickelt hat, ist für das Kind förderlich und muß von der Mutter bei der künftigen Gestaltung des Umgangsrechts mit seinem Vater weiter gestärkt werden, damit dem Kind eine erneute gefühlsmäßige Enttäuschung, wie sie das Wegbringen von der Mutter bewirkt hat, erspart wird. Wie die beauftragte Richterin des Senats bei der Beobachtung des Spiels der Mutter mit ihrem Kind beobachten konnte, besteht aber nach wie vor auch ein guter Kontakt des Kindes zu seiner Mutter, der es ihm erleichtern wird, die nun auch schon vertraute Umgebung beim Vater zu verlassen und das enge tägliche Zusammensein mit ihm aufgeben zu müssen. Unter Berücksichtigung der nunmehr drei Monate andauernden Trennung des Kindes von seiner Mutter hat das unbeschwerte Zusammensein des Kindes mit seiner Mutter gleichzeitig auch gezeigt, daß die nach der Geburt und während der Stillzeit gewachsenen engen Bindungen des Kindes an seine Mutter noch tragfähig sind.

Beide Eltern haben in ihrer persönlichen Anhörung ihren Willen bekundet, Kontakte zum jeweils anderen Elternteil aufzubauen und zu fördern. Der Senat erwartet von der Mutter, daß sie diese Vorstellungen künftig auch in die Tat umsetzt. Von der Möglichkeit des Kindes, auch zu seinem Vater einen unbelasteten Zugang zu haben, mit ihm seiner Entwicklung entsprechend Kontakt zu halten, von ihm besucht zu werden und ihn auch selbst zu besuchen, wird sein weiteres Wohlergehen in erheblichen Umfang abhängen. Wie die Mutter selbst erklärt hat, möchte sie die schmerzlichen Gefühle, die das Wegbringen ihres Kindes für sie verursacht hat, dem Vater des Kindes nicht zumuten. Der Senat hofft, daß sie mit diesen Worten einen Wandel ihrer früheren ablehnenden Haltung zum Umgang des Vaters mit seinem Kind zum Ausdruck gebracht hat, und erwartet von ihr, daß sie künftig im Sinne einer seelisch unbeschwerten Entwicklung ihres Sohnes auch danach handelt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 13 a Abs. 1 S. 2 FGG, 131 KostO, die Wertfestsetzung aus § 30 KostO.