OLG Frankfurt vom 21.10.2002 (1 UF 190/02)

Stichworte: Verwirkung, Unterhalt Unterhalt, Rückstand, Verwirkung
Normenkette: BGB 242
Orientierungssatz: Auf das Verwirkungsmoment als Tatbestandsmerkmal für die Verwirkung von Unterhaltsrückständen kann sich nicht berufen, wer selbst unredlich handelt. Das ist der Fall, wenn der Unterhaltsgläubiger auf eine Unterhaltsberechnung des Schuldners, in der dieser einkommensmindernd die Tragung gesamtschuldnerischer Verbindlichkeiten eingestellt hat, stillhält und der Schuldner später unter Leugnung dieses Zusammenhangs eine hälftige Mithaftung des anderen Teils für diesen zurückliegenden Zeitraum bestreitet.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 21.10.2002 beschlossen:

Der Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Berufung gegen das am 05.07.2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts Familiengericht - Weilburg wird zurückgewiesen.

Gründe

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht den Beklagten zur Zahlung von rückständigem Kindesunterhalt für den Zeitraum von Februar 1999 bis Juni 2000 verurteilt. Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten mit dem Ziel vollständiger Klageabweisung. Er beruft sich auf eine behauptete Vereinbarung über die Höhe des Unterhalts in dem streitigen Zeitraum entsprechend den von ihm tatsächlich geleisteten Zahlungen. Dadurch sei der Verzug für die Mehrforderung in diesem Zeitraum entfallen.

Die von ihm für seine Berufung beantragte Prozesskostenhilfe kann ihm mangels hinreichender Erfolgsaussicht seiner Rechtsverfolgung (§ 114 ZPO) nicht bewilligt werden.

Die Berufung greift das Rechenwerk des Amtsgerichts über die Höhe des nach seinem Einkommen geschuldeten Kindesunterhalts in dem Streitzeitraum unter Berücksichtigung erbrachter Zahlungen nicht an. Zahlungsverzug als Voraussetzung für die Geltendmachung rückständigen Unterhalts (§§ 1613 BGB) ist unstreitig mit anwaltlichem Aufforderungsschreiben vom 19.03.1997 erfolgt.

Mit zutreffenden Ausführungen, die von der Berufung ohne Erfolgsaussicht angegriffen werden, hat das Amtsgericht auch eine Vereinbarung der Parteien über die Höhe des in diesem Zeitraum geschuldeten Unterhalts, was eine Höherforderung für zurückliegende Zeiträume ausschlösse, verneint. Nach dem vorgelegten Schriftwechsel hat sich die gesetzliche Vertreterin der Klägerinnen mit der Unterhaltsberechnung des Beklagten zufrieden gegeben und nichts weiter unternommen. Einen für einen Vertragsschluß unerlässlichen Bindungswillen hatte nach diesem Geschehensablauf keine Seite. Im übrigen würde sich der Beklagte mit der behaupteten Vereinbarung auch in Widerspruch zu seinem Vortrag in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Limburg setzen, in dem die dortige Beklagte eine solche stillschweigende Vereinbarung (gekürzter Kindesunterhalt unter Berücksichtigung der von ihm getragenen gemeinsamen Verbindlichkeiten der Eltern) behauptet hatte und dies der jetzige Beklagte - mit Erfolg - bestritten hat.

Nicht uneingeschränkt zu teilen vermag der Senat allerdings die Ausführungen des Amtsgerichts zu den Voraussetzungen einer Verwirkung. Nach den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen kann der Gläubiger einer Unterhaltsrente an der Geltendmachung - obgleich wirksam angemahnten - Unterhalts nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert sein, wenn er über längere Zeit das Recht nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment) und durch sein Verhalten in dem Unterhaltsschuldner die Vorstellung bewirkt oder bestärkt hat, er werde auch künftig diesen Anspruch nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment). Als Zeitmoment wird der Zeitraum von (mindestens) einem Jahr angesehen. Dies ist hier erfüllt, da die gesetzliche Vertreterin der Klägerin den vom Beklagten errechneten und gezahlten Unterhalt ab Februar 1998 bis zur erneuten Anmahnung im März 2000 beanstandungslos entgegengenommen hat. Als Umstandsmoment kann die fehlende Reaktion auf die Unterhaltsberechnung des Beklagten in dessen Anwaltsschriftsatz vom 22.01.1998 angesehen werden. Mit diesem Schreiben hat der Beklagte den geschuldeten Unterhalt aus seiner Sicht errechnet, anerkannt und in der Folgezeit auch bezahlt. In der widerspruchslosen Hinnahme einer solchen Zahlung über einen längeren Zeitraum hin kann in dem Unterhaltsschuldner die Vorstellung erweckt oder bestärkt werden, die Unterhaltsgläubiger seien von der Richtigkeit dieser Berechnung überzeugt worden und hätten ihr nichts entgegenzusetzen. Dem steht auch nicht die Erwägung entgegen, wonach Schweigen im Rechtsverkehr grundsätzlich keine Zustimmung bedeutet. Zwischen den Parteien einer Unterhaltsbeziehung besteht eben nicht nur ein Rechtsverkehr, sondern auch ein wechselseitiges Band von Solidarität und Rücksichtnahme, aus dem letztlich auch die Unterhaltsverpflichtung resultiert. Nach der Lebenserfahrung werden in einfachen und mittleren wirtschaftlichen Verhältnissen, wie hier gegeben, keine Rücklagen gebildet, sondern der Lebensstil und das Ausgabeverhalten den vorhandenen Einkünften angepasst. Rückständiger Unterhalt kann danach nicht wie laufender Unterhalt unter entsprechender Einschränkung den laufenden Einkünften entnommen werden, woraus sich eine drückende Schuldenlast ergeben kann. Dem hat im Rahmen der gebotenen Rücksichtnahme auch der Gläubiger entgegen zu wirken, dem es deshalb obliegt, seinen Unterhaltsanspruch möglichst zeitnah auch geltend zu machen (BGH FamRZ 1988, 370, 372). Diese dort für den Trennungsunterhalt entwickelten Grundsätze gelten auch für Kindesunterhalt, selbst für rechtskräftig zuerkannten laufenden Unterhalt.

Dies mag im einzelnen jedoch auf sich beruhen. Denn der Beklagte ist seinerseits nach Treu und Glauben daran gehindert, sich nunmehr auf dieses Umstandsmoment zu berufen. In seiner Unterhaltsberechnung, die der Höhe der in der Folgezeit geleisteten Unterhaltszahlungen für die Kinder zugrunde liegt und die die gesetzliche Vertreterin der Klägerinnen letztlich hingenommen hat, wenn auch, wie sie angibt, widerstrebend und nur aus Unlust an weiterem Streit, hat er als Berechnungselement die Übernahme der vollen gemeinschaftlichen Verbindlichkeiten der Eheleute eingestellt. Im Widerspruch dazu hat er in der Folgezeit vor dem Zivilgericht die gesetzliche Vertreterin der Klägerin auf hälftige Erstattung gemäß § 426 BGB in Anspruch genommen, wobei er einen Zusammenhang zwischen der Höhe des gezahlten Kindesunterhalts und der Tragung dieser gemeinschaftlichen Verpflichtungen geleugnet hat. Damit ist er auch durchgedrungen. Es wäre nunmehr widersprüchlich und damit treuwidrig, wenn er sich auf einen von den Klägerinnen geschaffenen Vertrauenstatbestand beruft, nachdem er diese zuvor mit einer Unterhaltsberechnung hingehalten und an weiterem Geltendmachung ihres Anspruchs gehindert hat und in der Folgezeit selbst die Grundlage dieses Stillhaltens beseitigt hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die wirtschaftlichen Auswirkungen der von ihm in seinen Unterhaltsberechnungen eingestellten gemeinschaftlichen Verbindlichkeiten als Belastungsfaktor mit der Differenz zu dem tatsächlich unter Abwägung aller Umstände geschuldeten Unterhalt korrespondieren. Vielmehr war nunmehr der Weg offen für eine neue Berechnung des geschuldeten Kindesunterhalts für diesen Zeitraum, nachdem die Basis für das Untätigbleiben der Klägerinnen in diesem Zeitraum durch sein eigenes Verhalten zerstört ist.

Dr. Eschweiler Michalik Juncker