OLG Frankfurt vom 08.08.2000 (1 UF 16/99)

Stichworte: Sorgerechtsentscheidung, ausländische, Anerkennungsfähigkeit Erstentscheidung, Abänderungsentscheidung
Normenkette: HKÜ 3 MSA 2,3,13 Abs. 1 BGB 1671 Abs. 1, 2, 1696 Abs. 1
Orientierungssatz: Es kann dahinstehen, ob die ausländishe Sorgerechtsentscheidung anerkennungsfähig ist oder ob eine Erstentscheidung zu treffen ist, wenn jedenfalls die Voraussetzungen für eine Abänderung nach § 1696 BGB vorliegen (BGH, NJW-RR 1986, S. 1130 f.)

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des Antragsgegners vom 07.05.1999 gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Dillenburg vom 30.03.1999 am 08. August 2000 beschlossen

Die Beschwerde des Antragsgegners betreffend das gemeinsame Kind A.X., geb. am 08.05.1993, wird zurückgewiesen.

Die das gemeinsame Kind R. X., geb. am 12.08.1986, betreffende Beschwerde bleibt einer gesonderten Entscheidung vorbehalten, die auch über die Tragung der Gerichtskosten und die Erstattung der außergerichtlichen Auslagen zu befinden hat.

G r ü n d e :

Die beteiligten Eltern sind getrennt lebende Eheleute. Die Antragstellerin ist deutsche Staatsangehörige, der Antragsgegner besitzt die US-amerikanische Staatsangehörigkeit. Aus ihrer Ehe sind die Kinder R., geb. am 12.08.1986, und A., geb. am 08.05.1993, hervorgegangen. Beide Kinder besitzen die deutsche und die US-amerikanische Staatsangehörigkeit. Nachdem die Eltern im April 1998 getrennt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist waren, reisten beide Kinder am 09.05.1998 nach Deutschland ein. Zuvor hatte die Familie in den letzten Jahren in Manassas/Virginia (USA) gelebt. Seitdem lebt A. ununterbrochen bei der Mutter. Auch R. lebte bei seiner Mutter, bevor er Ende März 2000 zu seinem Vater in die USA verzog, der alsbald in die USA zurückgekehrt war und seinen Wohnsitz mittlerweile nach L./Kansas (USA) verlegt hatte. Ein im Juli 1998 gestellter Antrag des Vaters, die Herausgabe der Kinder nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte der internationalen Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ) anzuordnen, wurde letztinstanzlich durch Beschluß des Senats vom 23.11.1998 (1 UF 302/98) zurückgewiesen, da die Überführung der Kinder von ihrem bisherigen Aufenthaltsort in Virginia nach Deutschland mit ausdrücklicher Zustimmung des (mit-) sorgeberechtigten Vaters erfolgt und daher nicht wiederrechtlich im Sinne des Art. 3 HKÜ war.

Der Vater erwirkte beim Jugend- und Familiengericht Virginia Beschlüsse vom 06.08.1998 sowie vom 01.12.1998, mit denen dem Vater das Sorgerecht für beide Kinder zunächst vorläufig und sodann auf Dauer zuerkannt wurde. Über die Anträge auf Anerkennung dieser Entscheidung hat das vom Vater angerufene Amtsgericht - Familiengericht - Dillenburg (Az. 2 F 475/98) noch nicht entschieden.

Das Amtsgericht hat dem Antrag der Mutter, ihr die elterliche Sorge für beide Kinder zu übertragen, stattgegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung vom 30.03.1999 (Bl. 64 bis 75 d.A.) Bezug genommen.

Mit seiner Beschwerde beantragt der Vater, den Beschluß des Amtsgerichts vom 30.03.1999 aufzuheben und den Antrag der Mutter zurückzuweisen. Das Amtsgericht Dillenburg sei für die Entscheidung nicht zuständig gewesen. Weder die Reise der Kinder nach Deutschland noch der bis dahin erfolgte Aufenthalt der Kinder bei der Mutter habe einen gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder in Deutschland im Sinne des Art. 13 Abs. 1 des Haager Übereinkommens vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit von Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (MSA) begründet. Der Beschluß sei auch inhaltlich nicht überzeugend. Weder das Jugendamt noch das Familiengericht hätten sich mit den Bedenken des Vaters gegen die Erziehungseignung der Mutter befasst. Um in verantwortlicher Weise das Sorgerecht bestimmen zu können, bedürfe es eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens. Die Mutter verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Der beauftragte Richter des Senats hat die Eltern und beide Kinder sowie die Mutter des Vaters angehört. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 29.11.1999 (Bl. 119 bis 128 d.A.) Bezug genommen. Sowohl das Jugendamt des Lahn-Dill-Kreises als auch das nach dem Umzug der Mutter und der Kinder örtlich zuständige Jugendamt des Landkreises Amberg-Sulzbach haben im Beschwerdeverfahren Stellung genommen. Im März 2000 ist der gemeinsame Sohn R. im Einverständnis beider Eltern zum Vater in die USA gereist, wo er sich seitdem ununterbrochen aufhält.

Die nach §§ 621 e, 629 a ZPO zulässige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat in der Sache bezüglich der gemeinsamen Tochter A. keinen Erfolg.

Die deutschen Gerichte sind für die hier zu treffende Entscheidung international zuständig. Nach Art. 13 Abs. 1 MSA findet das Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 hier Anwendung, weil die Tochter A. zum Zeitpunkt des Erlasses der Beschwerdeentscheidung seit über 26 Monaten in Deutschland lebte und damit hier ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 13 und Art. 1 MSA hat (vgl. hierzu: BGH, FamRZ 1997, S. 1070). Nach Art. 1 MSA sind die Gerichte des Aufenthaltsstaates des minderjährigen Kindes für Maßnahmen zum Schutz von dessen Person zuständig. Schutzmaßnahmen in diesem Sinne sind auch die Entscheidungen zum Sorgerecht. Artikel 3 MSA schließt die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht aus, weil auch nach dem Recht des Staates Virginia (USA) ein richterlicher Eingriff in die Rechtsstellung des Vaters, wie er nach deutschem Recht bei Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter eintritt, nicht ausgeschlossen ist (vgl. Henrich, in: Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil USA, Stand: 31.07.1994, S. 49 f.).

Auch in der Sache selbst hält die angefochtenen Entscheidung der rechtlichen Überprüfung stand. Gemäß Art. 2 MSA gilt deutsches Sachrecht. Danach ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Dabei kann dahinstehen, ob hier - wie das Amtsgericht meint - mangels Anerkennungsfähigkeit der Sorgerechtsentscheidungen des Jugend- und Familiengerichts Manassas/Virginia (USA) eine erstmalige Sorgerechtsregelung nach § 1671 Abs. 1 und 2 Ziff. 2. BGB zu treffen oder - bei Anerkennungsfähigkeit der US-amerikanischen Sorgerechtsentscheidung - in Wahrheit über eine Änderung der Sorgerechtsregelung nach § 1696 Abs. 1 BGB zu entscheiden ist; denn in beiden Fällen hat die Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter Bestand (vgl. ebenso: BGH, NJW-RR 1986, S. 1130 f.).

Nach § 1671 Abs. 1, Abs. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils, ihm die elterliche Sorge allein zu übertragen, stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf die antragstellende Partei dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Diese Voraussetzungen sind für die Übertragung der elterlichen Sorge für die gemeinsame Tochter A. auf die Mutter allein erfüllt.

Bereits das Amtsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Jugendamt des Lahn-Dill-Kreises festgestellt, dass die Kinder von der Mutter in befriedigender Weise betreut und erzogen werden und der in der Regel außer Hauses beruflich tätige Vater die Betreuung und Erziehung seiner Kinder nicht selbst übernehmen kann, sondern auf die Hilfe Dritter angewiesen ist. Zwar sind die Eltern bei unterschiedlichen Erziehungshaltungen in gleichem Maße als erziehungsfähig anzusehen. Die Mutter setzt sich jedoch wesentlich intensiver und konkreter mit den alltäglichen Bedürfnissen und Sorgen der gemeinsamen Kinder auseinander, während der Vater eher seine eigenen Vorstellungen und Wünsche zum Wohlergehen der Kinder einbringt. Seine diesbezüglichen Überlegungen erscheinen in pädagogischer Hinsicht durchaus nachvollziehbar und plausibel, knüpfen jedoch weniger an die konkreten Bedürfnisse und die auch auf den Auseinandersetzungen der Eltern beruhenden Sorgen und Ängste der Kinder an. Der Wunsch des finanziell wesentlich besser ausgestatteten Vaters, seinen Kindern eine gute Schul- und Berufsausbildung zu bieten, ist durchaus positiv zu bewerten, wenngleich der Vater diese Bereitschaft bisher nur für seinen in die USA zurückgekehrten Sohn R. realisiert hat. Gleichwohl hat dieser Gesichtspunkt hier keine ausschlaggebende Bedeutung. Jedenfalls für die erst 7-jährige Tochter A. ist die Bereitschaft und Fähigkeit eines Elternteils, sich mit ihren alltäglichen Problemen und ihren grundlegenden Bedürfnissen, Sorgen und Ängsten auseinanderzusetzen, von großer Bedeutung. Hierzu ist nach dem Eindruck des beauftragten Richters, den dieser bei der Anhörung der Eltern und der Kinder gewonnen hat, die Mutter wesentlich besser geeignet. Dies wird auch bestätigt durch das einfühlsame und verständnisvolle Verhalten der Mutter, mit der diese auf den im März dieses Jahres überraschend von dem gemeinsamen Sohn R. geäußerten Wunsch, zum Vater in die USA zu übersiedeln, reagiert und den Wechsel des Jungen zum Vater positiv begleitet hat.

Von besonderer Bedeutung sind weiterhin die sowohl von dem beauftragten Richter als auch dem Kreisjugendamt Amberg-Sulzbach festgestellten guten Bindungen der Tochter A. an die Mutter sowie der im Laufe des Verfahrens immer nachhaltiger geäußerte Wunsch der Tochter, bei der Mutter zu bleiben. Während A. sich zu Beginn des Verfahrens vor dem Amtsgericht durchaus noch einen Wechsel zum Vater vorstellen konnte, lehnt sie inzwischen eine Übersiedlung in die USA ohne ihre Mutter nachdrücklich ab. Hierzu mag zwar der jetzt mehr als 2-jährige Aufenthalt bei der Mutter beigetragen haben. Gleichwohl hat A. auch nach der Übersiedlung ihres älteren Bruders zum Vater an ihrem Wunsch festgehalten, bei der Mutter zu bleiben, und hat sich in ihrem Entschluß auch nicht durch zeitweilig sehr großzügige Geschenke von Seiten des Vaters beeinflussen lassen.

Danach ist hier die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter allein geboten. Die Einholung eines kinderpsychochologischen Sachverständigengutachtens, wie vom Vater angeregt, war bei dieser Sachlage nicht erforderlich.

Diese Entscheidung begegnet auch dann keinen rechtlichen Bedenken, wenn die Sorgerechtsentscheidungen des Jugend- und Familiengerichts Manassas/Virginia (USA) als anerkennungsfähig anzusehen sind. Diese sind nämlich nach deutschem Recht gemäß § 1696 Abs. 1 BGB jederzeit abänderbar, wenn das Gericht dies im Interesse des Kindes für angezeigt hält (vgl.: BGH a.a.0., S. 1131). Nach der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklung ist aufgrund der im einzelnen dargelegten Gesichtspunkte eine Änderung der US-amerikanischen Sorgerechtsentscheidungen durch trifftige, das Wohl der gemeinsamen Tochter A. nachhaltig berührende Gründe veranlasst.

Nach alledem bleibt die Beschwerde gegen die die gemeinsame Tochter A. betreffende Sorgerechtsentscheidung des Amtsgerichts ohne Erfolg, so dass das Rechtsmittel insoweit zurückzuweisen war.

Hinsichtlich des Sohnes R. hat der Senat eine Entscheidung zurückgestellt, da zunächst über den Internationalen Sozialdienst noch ein Bericht der für den Aufenthaltsort von R. zuständigen Jugend- und Sozialbehörde in L./Kansas (USA) eingeholt werden soll.

Die Entscheidung über die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Auslagen war der Schlussentscheidung vorzubehalten.

Dr. Eschweiler Michalik Carl