OLG Frankfurt vom 18.08.1999 (1 UF 154/99)

Stichworte: Begründungspflicht, Verfahrensverstoß, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Normenkette: FGG 25
Orientierungssatz: In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß Entscheidungen von einigem Gewicht begründet sein und die Erwägungen des Gerichts erkennen lassen müssen, die zu der fraglichen Entscheidung geführt haben. Denn nur dann kann das Beschwerdegericht jene Erwägungen überprüfen und seinerseits eine sachgerechte Entscheidung fällen (vgl.: OLG Frankfurt am Main, FamRZ 1978, S. 942 f.; Keidel/Kuntze/Winkler, Kommentar zum FGG, 14. Aufl. 1999, § 25 Rdnr. 11 m.w.N.). Dies gilt insbesondere auch für Entscheidungen bezüglich der (Rück-) Übertragung der elterlichen Sorge, wie sie im vorliegenden Verfahren vom Beschwerdeführer gemäß § 1696 BGB beantragt wird.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Amtsgerichts -Familiengericht- Frankfurt am Main vom 10.05.1999 am 18. August 1999 beschlossen

Dem Beschwerdeführer wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist gewährt.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Bescheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht -Familiengericht- Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 5.000,00 DM.

G r ü n d e :

Der am 23.06.1996 geborene Y. ist das eheliche Kind der Antragsteller. Nachdem dem Amtsgericht bekannt geworden war, daß das Kind bei einer Vorstellung in der Universitätsklinik Frankfurt am Main schwerste Kopfverletzungen aufwies, entzog das Gericht den Eltern durch einstweilige Anordnung vom 28.01.1997 vorläufig das Sorgerecht und übertrug dieses vorerst dem Jugendamt der Stadt Frankfurt am Main als Vormund (Bl. 5/6 d.A.). Nach Einholung eines kinderpsychiatrischen Gutachtens vom 15.07.1997 sowie eines kinderärztlichen Gutachtens vom 03.12.1997 entschied das Amtsgericht mit Beschluß vom 20./26.01.1998, daß den Eltern das gesamte Sorgerecht bis auf weiteres entzogen und das Jugendamt der Stadt Frankfurt am Main weiterhin Vormund des Kindes bleibe. Zugleich ordnete das Gericht an, daß das Kind zur Aufrechterhaltung des beidseitigen Umgangskontaktes in eine Einrichtung zu überführen sei, in der die Eltern -soweit sie dazu bereit und in der Lage seien- gemeinsam mit dem Kind leben könnten. Alternativ dazu komme die Verbringung des Kindes in eine Pflegestelle in Betracht, in der ein kontrollierter Umgang der Eltern mit dem Kind gewährleistet sei. Den Eltern wurde ferner aufgegeben, sich unverzüglich in eine Paartherapie mit dem Ziel, ihre Beziehung zueinander zu klären, zu begeben. Wegen der weiteren einzelnen Einzelheiten wird auf den Beschluß vom 20./26.01.1998 verwiesen (Bl. 300 - 312 d.A.).

In der Folgezeit wurde das Kind zunächst gemeinsam mit der Mutter in einem Mutter-Kind-Haus und sodann in einem Kinderheim untergebracht. Seit 20.11.1998 befindet sich das Kind in einer Pflegestelle. Nach Unterbrechung des Umgangs fand ein erster Besuchskontakt zwischen dem Kind und seinen Eltern am 03.03.1999 statt.

Mit Schreiben vom 05.01.1999 beantragt der Vater nunmehr, das Sorgerecht für Y. auf ihn allein zu übertragen.

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 10.05.1999 hat das Amtsgericht den Antrag des Vaters auf Rückübertragung des Sorgerechts "aus den Gründen des Beschlusses vom 20.01.1998 zurückgewiesen". Eine weitere Begründung enthält diese Entscheidung nicht.

Gegen diesen ihm am 12.05.1999 durch Niederlegung zugestellten Beschluß hat der Vater mit einem am 31.05.1999 beim Amtsgericht eingelegten Schreiben vom 26.05.1999 Beschwerde eingelegt, die vom Amtsrichter zunächst dem Landgericht vorgelegt wurde und nach Rücksendung der Akten sodann am 17.06.1999 beim Oberlandesgericht eingegangen ist.

Die zulässige Beschwerde (§§ 621 e, 621 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO) führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht erster Instanz.

Die gegen den Beschluß eingelegte befristete Beschwerde ist erst am 17.06.1999 und damit verspätet eingegangen. Die einmonatige Beschwerdefrist (§§ 621 e Abs.1 und 3 Satz 2, 516 ZPO) ist am 14.6.1999 abgelaufen. Dem Beschwerdeführer ist jedoch von Amts wegen Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren, da die Nichteinhaltung der Frist nicht auf seinem Verschulden beruhte. Das von ihm eingelegte, am 31.05.1999 bei dem Amtsgericht eingegangene Rechtsmittel wäre nämlich bei ordnungsgemäßer Sachbehandlung noch rechtzeitig innerhalb der Rechtsmittelfrist beim Oberlandesgericht eingegangen.

Der angefochtene Beschluß ist aufzuheben und die Sache an das Familiengericht erster Instanz zurückzuverweisen, da die Entscheidung auf einem schweren Verfahrensverstoß beruht. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß Entscheidungen von einigen Gewicht begründet sein und die Erwägungen des Gerichts erkennen lassen müssen, die zu der fraglichen Entscheidung geführt haben. Denn nur dann kann das Beschwerdegericht jene Erwägungen überprüfen und seinerseits eine sachgerechte Entscheidung fällen (vgl.: OLG Frankfurt am Main, FamRZ 1978, S. 942 f.; Keidel/Kuntze/Winkler, Kommentar zum FGG, 14. Aufl. 1999, § 25 Rdnr. 11 m.w.N.). Dies gilt insbesondere auch für Entscheidungen bezüglich der (Rück-) Übertragung der elterlichen Sorge, wie sie im vorliegenden Verfahren vom Beschwerdeführer gemäß § 1696 BGB beantragt wird.

Der festgestellte Verfahrensverstoß wird auch nicht dadurch geheilt, daß der Antrag "aus den Gründen des Beschlusses vom 20.01.1998" zurückgewiesen worden ist. Denn die auf diese Weise in Bezug genommenen Gründe des Beschlusses vom 20./26.01.1998 tragen die angefochtene Entscheidung nicht. Teilweise sind sie überholt, teilweise haben sich die tatsächlichen Verhältnisse in erheblichem Umfang verändert, ohne daß dies in der angefochtenen Entscheidung auch nur ansatzweise erörtert worden wäre.

Soweit der in Bezug genommene Beschluß des Amtsgerichts vom 20./26.01.1998 die Aufrechterhaltung der Vormundschaft insbesondere auf den -seinerzeit noch nicht abgeklärten- gravierenden Verdacht einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzung oder eines versuchten Tötungsdelikts durch die Eltern gestützt hat, hat sich die tatsächliche Ausgangslage insoweit geändert, als die Mutter zwischenzeitlich eingeräumt hat, das Kind wiederholt körperlich massiv mißhandelt und dadurch schwer verletzt zu haben, während eine unmittelbare Tatbeteiligung des Vaters -die für dessen Mit-Verantwortlichkeit in familienrechtlicher Hinsicht allerdings nicht ausschlaggebend sein muß- sich als unwahrscheinlich herausgestellt hat. Das Amtsgericht hat in dem in der angefochtenen Entscheidung in Bezug genommenen Beschluß vom 20./26.01.1998 weiter ausgeführt, daß eine weniger schwer eingreifende Maßnahme als die Fremdplazierung des Kindes eine Situation voraussetzen würde, in der sich um Offenheit und Klarlegung ihrer sorgerechtlichen Probleme bemühte Kindeseltern um Unterstützung durch die Jugendhilfe bemühen würden, wovon vorliegend nicht habe ausgegangen werden können. Ob diese Sachlage sich nach dem Eingeständnis der Mißhandlungen des Kindes durch die Mutter geändert hat, oder aus welchen Erwägungen weniger eingreifende Maßnahmen als die Trennung des Kindes von seinen Eltern nach wie vor nicht in Betracht kommen, läßt sich dem angefochtenen Beschluß vom 10.05.1999 in keiner Weise entnehmen.

Darüber hinaus haben seit der mehr als 1 Jahr und 3 Monate zurückliegenden Entscheidung vom 20./26.01.1998 sich die tatsächlichen Verhältnisse in erheblichem Umfang weiter entwickelt, ohne daß sich das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung vom 10.05.199 in irgendeiner Weise damit auseinandergesetzt hätte. So hat sich die Mutter zusammen mit dem Kind mehrere Wochen oder Monate in einem Mutter-Kind-Heim aufgehalten. Anschließend war Y. in einem Kinderheim untergebracht und befindet sich nunmehr seit dem 20.11.1998 bei Pflegeeltern. Das Amtsgericht hat die Eltern wiederholt angehört und in der Sitzung vom 05.11.1998 die die Mutter behandelnde Therapeutin ausführlich zu Wort kommen lassen, und zwar unter anderem auch zu der Frage, wie die Therapeutin die Gefahr einer erneuten Mißhandlung des Kindes durch die Mutter beurteilt. Desweiteren haben sich die Eltern zwischenzeitlich getrennt; allerdings soll die Mutter zwischenzeitlich erneut -unter Aufrechterhaltung der Trennung- in die Wohnung des Vaters eingezogen sein. Schließlich wird eine Rückübertragung des Sorgerechts nunmehr nur noch vom Vater beantragt, gegen den das wegen der Mißhandlung des Kindes eingeleitete staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren inzwischen eingestellt worden ist.

Mit diesen nach Erlaß der in Bezug genommen Entscheidung vom 20./26.01.1998 erfolgten Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse setzt sich die angefochtene Entscheidung vom 10.05.1999 in keiner Weise auseinander. Der angegriffene Beschluß läßt die Erwägungen des Gerichts nicht erkennen, die zur Zurückweisung des Antrags des Vaters auf Aufhebung der Vormundschaft und Rückübertragung des Sorgerechts geführt haben. Der hierin liegende schwere Verfahrensverstoß führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Die Entscheidung über die Gerichtskosten beruht auf § 131 Abs. 3 KostO. Über die außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens wird das Amtsgericht zu befinden haben (vgl. § 13 a Abs. 1 FGG).

Dr. Eschweiler Michalik Carl