OLG Frankfurt vom 20.08.1999 (1 UF 143/99)

Stichworte: Wiedereinsetzung, öffentlich rechtlicher Versorgungsträger, Anforderungen, Büroorganisation
Normenkette: ZPO 233
Orientierungssatz: Legt ein Rechtsmittelführer ein fristgebundenes, beim Rechtsmittelgericht einzulegendes Rechtsmittel beim erstinstanzlichen Gericht ein, so kann er darauf vertrauen, daß dieses das Rechtsmittel noch rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht weiterleitet, wenn dies bei normalem Geschäftsgang erwartet werden kann (Bundesverfassungsgericht FamRZ 1995, S. 1559)...... Dies gilt jedoch nicht, wenn der Beschwerdeführer durch eine Nachricht des erstinstanzlichen Gerichts davon Kenntnis erlangt, daß sein Rechtsmittel nicht mehr rechtzeitig beim Beschwerdegericht eingegangen ist oder eingehen wird. Ist zu dem Zeitpunkt, in dem der Rechtsmittelführer von solchen Umständen Kenntnis erlangt, die Beschwerdefrist bereits abgelaufen, so beginnt zu diesem Zeitpunkt die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist (BGH FamRZ 1998, S. 359, 360).... Eine ordnungsgemäße Organisation bei einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft wie der Beschwerdeführerin, die ständig an gerichtlichen Verfahren beteiligt ist, muß jedoch auch Vorsorge dafür treffen, daß im Krankheitsfall einer Angestellten eine ordnungsgemäß eingewiesene Vertreterin tätig ist. Insoweit sind keine geringeren Anordnungen zu stellen als an die Büroorganisation bei Rechtsanwälten (siehe für die entsprechende Regelung in § 60 VwGO, Eyermann-Schmidt VWGO 10. Auflage § 60 Rdnr. 19).

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 20. August 1999 beschlossen

Der Antrag der weiteren Beteiligten zu 1. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenbach am Main vom 9. April 1999 wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1. gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenbach am Main vom 9. April 1999 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 1.000,-- DM

G r ü n d e :

Durch den angefochtenen Beschluß hat das Amtsgericht den Versorgungsausgleich der bereits zuvor geschiedenen Parteien dahin geregelt, daß es Anwartschaften der Antragstellerin bei der weiteren Beteiligten zu 2. zwischen den Parteien real geteilt hat. Die Antragstellerin hat außerdem Versorgungsanwartschaften bei der Beschwerdeführerin erworben. Diese hat das Amtsgericht mit werthöheren Anwartschaften des Antragsgegners in der gesetzlichen Rentenversicherung und aus betrieblicher Altersversorgung verrechnet.

Der angefochtene Beschluß ist der Beschwerdeführerin am 3. Mai 1999 zugestellt worden. Mit einem an das Amtsgericht gerichteten und dort am 25. Mai 1999 eingegangenen Schreiben vom 20. 5. 1999 hat die Beschwerdeführerin gerügt, daß in dem angefochtenen Beschluß die erforderliche Quotierung nicht beachtet sei und um Überprüfung und Änderung des Beschlusses gebeten. Mit Schreiben vom 27. Mai 1999 hat das Amtsgericht der Beschwerdeführerin mitgeteilt, daß für eine Änderung nach § 319 ZPO kein Raum sei und daher empfohlen werde, Beschwerde einzulegen. Mit Schreiben vom 2. Juni 1999, einem Mittwoch, hat die Beschwerdeführerin Beschwerde beim Oberlandesgericht eingelegt. Die Beschwerde ist dort am Montag, den 7. Juni, eingegangen. Donnerstag, der 3. Juni war gesetzlicher Feiertag. Die Beschwerdeführerin beantragt, die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist.

Zur Begründung führt sie aus:

Das Amtsgericht hätte das Schreiben vom 20. 5. 1999 als Beschwerde ansehen und noch vor Ablauf der Beschwerdefrist an das Oberlandesgericht weiterleiten müssen. Daß das an das Oberlandesgericht gerichtete Schreiben vom 2. 6. 1999 nicht noch am gleichen Tag bei der Post eingeliefert worden sei, habe daran gelegen, daß die für die hauseigene Poststelle verantwortliche Angestellte erkrankt und an diesem Tag von einer anderen Angestellten vertreten worden sei. Diese sei eine zuverlässige Kraft, die regelmäßig auf ihre Pflichten, die Postsendungen sorgfältig zu verrichten und Einzelanweisungen genaustens zu beachten, hingewiesen werde.

Die Beschwerde war als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der Beschwerdefrist beim Oberlandesgericht eingelegt worden ist (§§ 621 i Abs. 3, 516 ZPO). Da der angefochtene Beschluß der Beschwerdeführerin am 3. Mai 1999 zugestellt worden war und der 3. Juni ein gesetzlicher Feiertag war, lief die Beschwerdefrist am 4. Juni ab.

Der Beschwerdeführerin konnte keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist gewährt werden, da die Versäumung der Frist auf einem der Beschwerdeführerin zuzurechnenden Organisationsverschuldnen beruht (§ 233 ZPO).

Zwar ist der Beschwerdeführerin dahin Recht zu geben, daß einiges dafür spricht, daß das Amtsgericht ihre Eingabe vom 20. 5. 1999 als Beschwerde hätte ansehen und an das Oberlandesgericht weiterleiten können. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung des Beschlusses nach § 319 ZPO waren, wovon das Amtsgericht zutreffend ausgeht, offensichtlich nicht gegeben. Es ging allein um die Frage der Rechtsanwendung. Das Amtsgericht hatte sich der früheren Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hinsichtlich der Ausgleichsrangfolge bei Anwendung der Absätze zwei und drei des § 1 VAHRG angeschlossen, der der Bundesgerichtshof allerdings später entgegengetreten ist (BGH FamRZ 94, S. 90). Diese Rechtsauffassung hat die Beteiligte zu 1) gerügt. Es lag daher nahe, die Eingabe der Beschwerdeführerin als das statthafte Rechtsmittel der Beschwerde anzusehen und diese noch vor Ablauf der Beschwerdefrist weiterzuleiten. Legt ein Rechtsmittelführer ein fristgebundenes, beim Rechtsmittelgericht einzulegendes Rechtsmittel beim erstinstanzlichen Gericht ein, so kann er darauf vertrauen, daß dieses das Rechtsmittel noch rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht weiterleitet, wenn dies bei normalem Geschäftsgang erwartet werden kann (Bundesverfassungsgericht FamRZ 1995, S. 1559). Solange ein derartiger Vertrauenstatbestand besteht, ist dem Rechtsmittelführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn die Weiterleitung des Rechtsmittels an das Rechtsmittelgericht unterbleibt. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Beschwerdeführer durch eine Nachricht des erstinstanzlichen Gerichts davon Kenntnis erlangt, daß sein Rechtsmittel nicht mehr rechtzeitig beim Beschwerdegericht eingegangen ist oder eingehen wird. Ist zu dem Zeitpunkt, in dem der Rechtsmittelführer von solchen Umständen Kenntnis erlangt, die Beschwerdefrist bereits abgelaufen, so beginnt zu diesem Zeitpunkt die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist (BGH FamRZ 1998, S. 359, 360). Ist die Rechtsmittelfrist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen und der Beschwerdeführer noch in der Lage, sein Rechtsmittel beim Beschwerdegericht einzulegen, so gereicht es ihm zum Verschulden, wenn er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht.

Letzteres war hier der Fall. Mit Eingang der Mitteilung des Amtsgerichts vom 27. 5. 1999 bei der Beschwerdeführerin war klar, daß das Amtsgericht das Schreiben vom 20. 5. 1999 nicht als Beschwerde behandeln und dem Oberlandesgericht vorlegen würde. Denn die Empfehlung, Beschwerde einzulegen, hatte nur Sinn, wenn keine Vorlage durch das Amtsgericht an das Oberlandesgericht erfolgte. Dies war der Sachbearbeiterin bei der Beschwerdeführerin auch klar, die diese Mitteilung des Amtsgerichts zum Anlaß genommen hat, am 2. 6. 1999 eine Beschwerdeschrift zu fertigen und noch am gleichen Tag zur Poststelle zu geben, wobei sie nach ihrer eidesstattlichen Versicherung davon ausging, daß das Schreiben noch am selben Tag bei der Deutschen Post eingeliefert werden würde. Wäre dies der Fall gewesen, wäre es bei normalem Verlauf rechtzeitig am nächsten Werktag, dem 4. 6. 1999, beim Oberlandesgericht eingegangen.

Daß das Schreiben vom 2. 6. 1999 nicht am 4. 6. beim Oberlandesgericht erging, sondern erst am Montag, den 7. 6., lag daran, daß die an diesem Tag auf der Poststelle der beschäftigte Angestellte der Beschwerdeführerin am 2. 6. 1999 wegen starkem Arbeitsanfalls nicht mehr zur Post ging. Ein hierin etwa liegendes Verschulden dieser Angestellten wäre der Beschwerdeführerin allerdings noch nicht als Verschulden zuzurechnen, da die Angestellte keine Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO ist. Der verspätete Eingang der Beschwerdeschrift beim Oberlandesgericht hat seine Ursache jedoch in einer mangelhaften Organisation, die sich die Beschwerdeführerin als Verschulden zurechnen lassen muß. Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine Körperschaft öffentlichen Rechts, an deren Versorgungswerk die in Hessen tätigen Ärzte kraft öffentlich-rechtlicher Pflichtmitgliedschaft teilhaben. Dies hat zur Folge, daß die Beschwerdeführerin bei allen Scheidungsverfahren in Hessen tätiger Ärzte am Versorgungsausgleichsverfahren beteiligt ist. Häufig kommt es in diesen Verfahren wegen des Versorgungsausgleichs auch zu Rechtsmittelverfahren vor dem Oberlandesgericht. Von der Beschwerdeführerin muß daher erwartet werden, daß sie den Postausgang so organisiert, daß der pünktliche Zugang der Post, soweit Fristen einzuhalten sind, gewährleistet ist. Die Beschwerdeführerin hat mit Schriftsatz vom 27. 7. 1999 ihre Organisation auch so geschildert, daß sie diesen Anforderungen dann genügt, wenn die üblicherweise auf der Poststelle tätige Bedienstete anwesend ist. Es besteht die Weisung, Post noch am Tag des Eingangs bei der Postausgangsstelle bei der Deutschen Post AG einzuliefern. Ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, erfolgt ein entsprechender Hinweis durch die Poststelle. In diesem Fall kann der Sachbearbeiter wohl durch Einzelanweisung dafür Sorge tragen, daß das fristwahrende Schriftstück doch noch am gleichen Tag zur Post gebracht wird. Daß diese Organisation am 2. Juni 1999 versagte, lag nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin allein daran, daß an diesem Tag die sonst verantwortliche Angestellte auf der Poststelle vertreten wurde. Von der Beschwerdeführerin mußte aber erwartet werden, daß auch für den Vertretungsfall Vorsorge getroffen ist, daß der geschilderte Organisationsablauf eingehalten wird. Dies war offensichtlich nicht der Fall. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, insbesondere im Schriftsatz vom 27. 7. 1999 kann jedenfalls nicht entnommen werden, daß auch die an diesem Tag anwesende Vertreterin angewiesen war, entweder die Post noch am gleichen Tag zur Post zu bringen oder rechtzeitig die Sachbearbeiterin zu informieren. Ihre eidesstattliche Versicherung vom 13. 7. 1999 besagt derartiges nicht. Das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 27. 7. 1999 spricht eher dafür, daß die am 2. Juni auf der Poststelle tätige Mitarbeiterin nicht entsprechend eingewiesen war. Eine ordnungsgemäße Organisation bei einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft wie der Beschwerdeführerin, die ständig an gerichtlichen Verfahren beteiligt ist, muß jedoch auch Vorsorge dafür treffen, daß im Krankheitsfall einer Angestellten eine ordnungsgemäß eingewiesene Vertreterin tätig ist. Insoweit sind keine geringeren Anordnungen zu stellen als an die Büroorganisation bei Rechtsanwälten (siehe für die entsprechende Regelung in § 60 VwGO, Eyermann-Schmidt VWGO 10. Auflage § 60 Rdnr. 19).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Wertfestsetzung aus § 17 a GKG.

Dr. Eschweiler Michalik Noll