OLG Frankfurt vom 30.10.2000 (1 UF 143/00)

Stichworte: Hausmann fiktive Einkommensberechnung bei Rollentaush
Normenkette: BGB 1603 Abs. 2 S. 1, 1601
Orientierungssatz: Bei dieser Fallkonstellation (Betreuung von Kindern in zweiter Ehe) hätte der Beklagte ein unter dem notwendigen Selbstbehalt liegendes eigenes Einkommen zur Deckung des Kindesunterhalts dann einzusetzen, wenn er aufgrund der Erwerbstätigkeit der jetzigen Ehefrau in der neuen Ehe sein Auskommen hätte (BGH FamRZ 1980, S. 43, 44; ständige Rechtsprechung).

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Richter am Oberlandesgericht Noll als Einzelrichter auf die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Gelnhausen vom 04. Mai 2000 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 09. Oktober 2000 für Recht erkannt:

Das angefochtene Urteil wird abgeändert.

Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Gelnhausen vom 05. Mai 1997 wird insoweit aufrechterhalten, als der Beklagte verurteilt ist, für die Zeit ab 01. 02. 1997 über die mit vollstreckbaren Urkunden des Jugendamts des Main-Kinzig-Kreises vom 16. 11. 1990 - Urkundenregister-Nr. 72/1990 bzw. 73/1990 - titulierten monatlichen Unterhaltsbeträge von je 206,-- DM hinaus weitere monatliche Unterhaltsbeträge von je 34,-- DM monatlich zu zahlen.

Im übrigen werden das Versäumnisurteil vom 05. Mai 1997 aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens 1 UF 56/98 Oberlandesgericht Frankfurt am Main haben die Parteien zu folgenden Anteilen zu tragen:

a) außergerichtliche Kosten des Klägers zu 1) dieser zu 2/3, der Beklagte zu 1/3,

b) außergerichtliche Kosten des Klägers zu 2) dieser zu 2/3, der Beklagte zu 1/3,

c) Gerichtskosten und außergerichtliche Kosten des Beklagten dieser zu 1/3, der Kläger zu 1) zu 1/3 und der Kläger zu 2) zu 1/3.

Von dieser Regelung sind die durch die Säumnis des Beklagten im ersten Rechtszug entstandenen Mehrkosten ausgenommen, welche der Beklagte in vollem Umfang zu tragen hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.808,-- DM festgesetzt. Hiervon entfallen je 1.404,-- DM auf die Berufung gegen den Kläger zu 1) und die Berufung gegen den Kläger zu 2).

Von der Darstellung des Tatbestands wird abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung konnte im Einverständnis der Parteien durch den Einzelrichter ergehen (§ 524 Abs. 4 ZPO).

Die zulässige Berufung des Beklagten ist teilweise begründet. Der Beklagte schuldet den Klägern über den bereits titulierten monatlichen Unterhalt von je 206,-- DM hinaus monatlich weitere je 34,-- DM für die Zeit ab 01. 02. 1997. Der Beklagte ist verpflichtet alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt der am 22. März 1989 geborenen Kläger unter Berücksichtigung gleichrangiger Unterhaltsberechtigter aufzubringen (§§ 1601, 1603 Abs. 2 S. 1 BGB). Allerdings ist dem Beklagten darin zuzustimmen, daß er von dem Arbeitslosengeld, das er zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums bezog, und von der Arbeitslosenhilfe, die im Anschluß an das Arbeitslosengeld einsetzte, keinen Kindesunterhalt über den bereits titulierten Betrag hinaus zahlen kann, da das Arbeitslosengeld gerade in der Größenordnung des notwendigen Selbstbehalts des Beklagten von 1.500,-- DM lag und die Arbeitslosenhilfe diesen Betrag nicht einmal erreicht. Eine andere Beurteilung ergibt sich insoweit auch nicht aus der Tatsache, daß die jetzige Ehefrau des Beklagten teilzeitberufstätig ist und daher davon auszugehen ist, daß der arbeitslose Beklagte im wesentlichen die Betreuung des 1995 geborenen Kindes aus dieser Verbindung übernommen hat. Bei dieser Fallkonstellation hätte der Beklagte ein unter dem notwendigen Selbstbehalt liegendes eigenes Einkommen zur Deckung des Kindesunterhalts dann einzusetzen, wenn er aufgrund der Erwerbstätigkeit der jetzigen Ehefrau in der neuen Ehe sein Auskommen hätte (BGH FamRZ 1980, S. 43, 44; ständige Rechtsprechung). Hiervon kann jedoch nicht ausgegangen werden, da die zweite Ehefrau nur eine Teilzeittätigkeit ausübt und im übrigen die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe im Anschluß an das Arbeitslosengeld zeigt, daß die neue Familie mit dem Einkommen der Ehefrau nicht ernährt werden kann.

Andererseits müssen die unterhaltsberechtigten minderjährigen Kinder aus der früheren Ehe eine derartige Rollenverteilung nur dann hinnehmen, wenn sich durch die Übernahme der Betreuung des Kindes aus der neuen Ehe durch den Unterhaltspflichtigen der Familienunterhalt in der neuen Ehe dadurch, daß der andere Ehegatte erwerbstätig ist, wesentlich günstiger gestaltet als es bei umgekehrter Rollenverteilung der Fall wäre. Dies ist hier nicht der Fall. Der Beklagte könnte nämlich, wenn er eine Vollzeittätigkeit ausüben würde, deutlich mehr verdienen als die jetzige Ehefrau. Dem Amtsgericht ist dahin zu folgen, daß der Beklagte nicht krankheitsbedingt an der Ausübung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit gehindert ist. Nach den in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachten ist davon auszugehen, daß der Beklagte leichte körperliche Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen ohne Zwangshaltung und in wechselnder Körperhaltung ausüben könnte. Dies scheint auch der jetzigen Einschätzung des Beklagten zu entsprechen, der sich in zweiter Instanz im wesentlich darauf beruft, daß er sich um solche Tätigkeiten bemühe, aber keine Tätigkeit finden könne.

Der Beklagte hat indessen nicht hinreichen dargetan, daß es ihm nicht möglich wäre, eine Arbeitsstelle zu finden. In Betracht kommen unter anderem Tätigkeiten etwa als Pförtner, Bürobote und auch wie er selber geltend macht, Hausmeistertätigkeiten. Konkrete Bemühungen um eine solche Arbeitsstelle außer der Meldung beim Arbeitsamt hat der Beklagte bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nicht vorgetragen. Die nach Schluß der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsätze vom 12. Oktober und 16. Oktober 2000 bieten schon deshalb keinen Anlaß zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, da auch sie nicht zu einer anderen Beurteilung führen könnten. Sie zeigen lediglich auf, daß der Beklagte beim Arbeitsamt als arbeitssuchend gemeldet ist und er von den Arbeitgebern, die ihm vermittelt wurden, nicht eingestellt wurde. Der Beklagte ist indessen gehalten, zur Erfüllung seiner gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern alle erdenklichen Bemühungen zu unternehmen, um eine Arbeitsstelle zu finden. Hierzu gehören auch intensive Bemühungen auf die zahlreichen Stellenangebote, die jede Woche in den Zeitungen erscheinen, zu reagieren und auch auf diese Weise sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen. Der jetzt 43jährige Beklagte ist auch noch nicht in einem Alter, bei dem davon ausgegangen werden könnte, daß er auch bei weitergehenden Bemühungen auf dem Arbeitsmarkt keinerlei Chance hätte. Ihm ist daher zur Beurteilung seiner Unterhaltspflicht ein fiktives Arbeitseinkommen zuzurechnen.

Das Gericht geht davon aus, daß der Beklagte bei hinreichenden Arbeitsbemühungen im hier fraglichen Zeitraum ab Februar 1997 und bis auf weiteres ein Arbeitseinkommen von monatlich rund 3.200,-- DM brutto unter Hinzurechnung von Sonderzuwendungen erzielen könnte. Er hat bereits im Jahr 1992 ein Bruttoeinkommen von knapp 3.200,-- DM ohne Sonderzuwendungen erzielt, wie die Kläger durch Vorlage des Versicherungsverlaufs aus dem Versorgungsausgleichsverfahren dokumentiert haben. Damals hat der Beklagte als Fenstermonteur gearbeitet. Angesichts der Lohnsteigerungen seit 1992 wäre davon auszugehen, daß er bei einer entsprechenden Arbeit heute mehr verdienen könnte. Da er aber körperliche anstrengende Arbeiten nicht mehr ausführen kann, müßte er Lohneinbußen hinnehmen. Im Ergebnis kann davon ausgegangen werden, daß diese Lohneinbußen die Lohnsteigerungen seit 1992 aufzehren würden und der Beklagte daher auch im Zeitraum ab 1997 rund 3.200,-- DM brutto verdienen könnte. Soweit die Kläger dargelegt haben, daß für bestimmte Hausmeisterstellen, die in den letzten Jahren besetzt wurden, höhere Bruttogehälter gezahlt wurden, handelt es sich um relativ gut bezahlte Stellen, teils im öffentlichen Dienst, die für zahlreiche Bewerber attraktiv sein dürften. Hier ist zu berücksichtigen, daß der Beklagte aufgrund seiner längeren Arbeitslosigkeit und der Tatsache, daß er seit langem keinen Führerschein mehr besitzt, gegenüber Mitbewerbern im Nachteil sein dürfte. Es ist daher davon auszugehen, daß er mit schlechter bezahlten Stellen zufrieden sein müßte.

Bei einem Bruttoeinkommen von 3.200,-- DM liegt bei Steuerklasse 3 und 1,5 Kinderfreibeträgen das Nettoeinkommen in der Zeit seit 1997 mit leichten Schwankungen aufgrund geänderter Steuertabellen und geänderter Sozialversicherungssätze in einem Bereich zwischen 2.400,-- und 2.500,-- DM. Das Gericht geht daher von einem durchgängig erzielbaren Nettoeinkommen von 2.450,-- DM aus. Für die Ermittlung des Unterhaltsanspruchs der Kläger ist davon auszugehen, daß der Beklagte bei einer Vollzeittätigkeit nicht nur für die Kläger und das jüngere Kind aus der neuen Ehe aufkommen müßte, sondern auch für seine Ehefrau, die dann nicht berufstätig sein könnte, sondern die 1995 geborene Tochter betreuen müßte. Erziehungsgeld der Ehefrau wäre gem. § 9 S. 1 BerzGG nicht anzurechnen. Der Ausnahmefall des § 9 S. 2 BerzGG liegt nicht vor, da es nicht um die Berechnung einer Unterhaltsverpflichtung der zweiten Ehefrau gegenüber minderjährigen Kindern geht (siehe OLG Hamm, FamRZ 1995, S. 805). Der Unterhaltsbedarf für die Kläger und das Kind aus der jetzigen Ehe ist jeweils der ersten Gruppe der Düsseldorfer Tabelle zu entnehmen, da wegen der Unterhaltspflicht gegenüber vier Personen eine Herabstufung um eine Gruppe erfolgen muß.

Für die Zeit von Februar 1997 bis Juni 1999 ergibt sich folgende Berechnung:

Nettoeinkommen Beklagter 2.450,-- DM

Bedarf Kläger zu 1) 424,-- DM

Bedarf Kläger zu 2) 424,-- DM

Bedarf jüngstes Kind 349,-- DM

verbleiben 1.253,-- DM.

Bedarf Ehefrau (40 %) 501,-- DM

Da der Beklagte einen notwendigen Selbstbehalt von 1.500,-- DM verteidigen kann, stehen für den Unterhalt der Berechtigten von seinem Einkommen von 2.450,-- DM 950,-- DM zur Verfügung. Der Gesamtbedarf der vier Unterhaltsberechtigten beläuft sich auf 1.698,-- DM, 950,-- DM sind hiervon 56 %. Mit diesem Prozentsatz kann der Beklagte den Unterhaltsbedarf der Kläger von je 424,-- DM decken, also mit 237,-- DM, gerundet240,-- DM. Eine Anrechnung von Kindergeld findet nicht statt, da dieser Betrag niedriger liegt als der unterste Tabellenbetrag abzüglich hälftigem Kindergeld.

Für die Zeit ab 01. 07. 1999 ergibt sich bei geringfügig erhöhten Mindestbedarfsätzen für die Kinder folgende Berechnung:

Nettoeinkommen Beklagter 2.450,-- DM

Bedarf Kläger zu 1) 431,-- DM

Bedarf Kläger zu 2) 431,-- DM

Bedarf jüngstes Kind 355,-- DM

1.233,-- DM

Bedarf Ehefrau (40 %) 493,-- DM

Mit den zur Verfügung stehenden 950,-- DM kann bei einem Gesamtbedarf von 1.710,-- DM aller vier Unterhaltsberechtigten eine Quote von 55,6 % befriedigt werden. Das sind bei einem Bedarf der Kläger von 431,-- DM jeweils 240,-- DM.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 Abs. 1, 344 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht (§§ 621 d Abs. 1, 546 Abs. 1 ZPO).

Die Wertfestsetzung folgt aus § 17 Abs. 1 und 4 GKG und berücksichtigt neben dem Jahresbetrag des laufenden Unterhalts den für die Zeit vor Einreichung der Klage (27. Februar 1997) geltend gemachten Rückstand.

Noll