OLG Frankfurt vom .. (1 UF 125/13)

Stichworte: Geringfügigkeit; Gleichartigkeit;
Normenkette: VersAusglG 18 Abs. 2
Orientierungssatz: zur Frage der Gleichartigkeit der Versorgungsanwartschaften VBL (klassik) und VBL (extra)

64 F 22/10
AG Langen

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1.) gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Langen (Hessen) vom 13.02.2013 am 16.07.2013 beschlossen:

Der Beschluss wird in seinem Tenor zu 4.) abgeändert. Ein Ausgleich des Anrechts der Antragstellerin bei der VBL (extra) findet nicht statt.

Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten hat jeder Beteiligte selbst zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf 1.000,- EUR festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 13.02.2013 hat das Familiengericht den Versorgungsausgleich zwischen den Beteiligten durchgeführt, nachdem dieser mit Beschluss vom 13.10.2010 von dem Verbundverfahren abgetrennt worden war. Ausgeglichen wurden die Anwartschaften beider Beteiligter bei der Deutschen Rentenversicherung Bund bzw. Hessen sowie die Anrechte der Antragstellerin bei der weiteren Beteiligten zu 1.) und Beschwerdeführerin, nämlich zum einen das bei der weiteren Beteiligten zu 1.) bestehende Anrecht VBL klassik mit einem Ehezeitanteil von 29,03 Versorgungspunkten, was einem Ausgleichswert von 9,49 Versorgungspunkten entspricht. Der Kapitalwert beträgt 4489,68 EUR. Ausgeglichen wurde zum anderen das Anrecht VBL extra mit einem Ehezeitanteil von 3,45 Versorgungspunkten, was einem Ausgleichswert von 1,18 Versorgungspunkten entspricht. Der Kapitalwert beträgt 535,50 EUR.

Gegen den Ausgleich auch des Anrechts VBL extra wendet sich die weitere Beteiligte zu 1.) mit ihrer Beschwerde. Sie trägt vor, der Ausgleichswert im Hinblick auf diese Anwartschaft sei geringfügig im Sinne von § 18 Abs. 2, 3 VersAusglG und daher nicht auszugleichen. Die Anrechte seien auch nicht gleichartig im Sinne von § 18 Abs. 1 VersAusglG. Besondere Gründe, die trotz der Geringfügigkeit den Ausgleich dieses Anrechts rechtfertigen würden, lägen nicht vor.

II.

Die gemäß den §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1.) führt auch in der Sache zum Erfolg.

Ein Versorgungsausgleich des Anrechts der Antragstellerin VBL extra findet nicht statt, denn das Anrecht liegt mit einem Ausgleichswert in Höhe eines korrespondierenden Kapitalwerts von 535,50 EUR weit unter der Geringfügigkeitsgrenze, die im Jahr 2010 3.066,- EUR betrug (§ 18 Abs. 2, 3 VersAusglG). Bei der Vorschrift des § 18 VersAusglG handelt es sich um eine gesetzlich geregelte Ausnahme vom Halbteilungsgrundsatz im Sinne einer Soll-Vorschrift, d.h. es ist grundsätzlich in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt, ob von der Möglichkeit, den Versorgungsausgleich in den Fällen des § 18 Abs. 1 und Abs. 2 nicht durchzuführen, Gebrauch gemacht wird. Ermessenserwägungen des Amtsgerichts, die trotz Geringfügigkeit hier ausnahmsweise einen Ausgleich des Anrechts angezeigt erscheinen ließen, gehen aus dem angegriffenen Beschluss und seinen Gründen nicht hervor, die Frage der Geringfügigkeit des Anrechts war in erster Instanz von keiner Seite problematisiert worden. Der Senat hat auch jetzt keinen Anlass, vorliegend aufgrund von eigenen Ermessenserwägungen den Ausgleich des Anrechts trotz der Geringfügigkeit zugunsten des Antragsgegners vorzunehmen, denn Gründe, die es gebieten würden, von dieser Ausnahme abzuweichen, sind nicht gegeben.

Zweck der Vorschrift des § 18 VersAuglG ist es u.a., einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand der Versorgungsträger sowie Splitterversorgungen zu vermeiden (BGH vom 30.11.2011, XII ZB 328/10 Rz. 19 ff.). Ein solcher unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand sowie eine solche Splitterversorgung würden hier jedoch durch den Ausgleich auch des geringfügigen Anrechts VBL extra entstehen, denn die Anrechte VBL klassik und VBL extra sind nicht gleichartig und können nicht miteinander verrechnet bzw.- im vorliegenden Fall - zusammengerechnet werden.

Die Anrechte VBL klassik und VBL extra beruhen auf verschiedenen Rechtsgrundlagen, die Rechtsgrundlage der VBL klassik ist die Satzung der VBL, diejenige der VBL extra sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die freiwillige Versicherung in Anlehnung an das Punktemodell in der Fassung vom 21.05.2010, AVBextra 02. Sie werden getrennt voneinander verwaltet. Bei der VBL klassik handelt es sich um eine Pflichtversicherung. Deren Höhe richtet sich nach der Summe der Versorgungspunkte, die sich wiederum nach der Höhe des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts richten, somit entgeltabhängig sind. Zudem richtet sie sich nach Bonuspunkten und nach zusätzlich aufgrund sozialer Komponenten erworbenen Versorgungspunkten. Die Anpassung der Betriebsrente erfolgt jährlich um 1 %.

Hingegen handelt es sich bei der VBL extra um eine freiwillige Versicherung, deren Höhe sich zwar auch nach Versorgungspunkten richtet, diese wiederum sind aber beitragsabhängig, d.h. sie richten sich nach der Höhe der entrichteten Beiträge, ggfs. ergänzt um Zulagen. Die Anpassung erfolgt durch einen nicht garantierten Gewinnzuschlag von bis zu 20 % (§ 8 AVBextra 02). Es handelt sich um eine Betriebsrente mit der Möglichkeit des Ausschlusses des Risikos der Erwerbsminderung und mit der Möglichkeit, die Hinterbliebenenversorgung auszuschließen (§ 3 Abs. 2 AVBextra02). Von der Möglichkeit dieses Risikoausschlusses hat die Antragstellerin auch Gebrauch gemacht. Demgegenüber ist ein Ausschluss von Risiken in der VBL klassik, der Pflichtversicherung nicht möglich. Die Anwartschaft VBL extra unterscheidet sich auch dadurch, dass der Anwartschaftsberechtigte die Möglichkeit hat, eine staatliche Förderung für die Altersversorgung in Anspruch zu nehmen (Altersvorsorgezulage nach Abschnitt XI EStG i.V.m. § 10 a EStG, "Riesterrente").

Die Anrechte VBL klassik und VBL extra können aufgrund der Verschiedenheit der Rechtsgrundlagen, der Finanzierungsart, des Leistungsspektrums und der Anpassung auch nicht miteinander verrechnet bzw. zusammengerechnet werden (§ 12c AVBextra02). Im Falle eines Ausgleichs beider Anrechte müssten für den Ausgleichsberechtigten daher auch zwei unterschiedliche Konten eingerichtet werden, eines für die VBL klassik und eines für die VBL extra, was einen hohen Verwaltungsaufwand und - trotz der Identität des Versorgungsträgers - das Entstehen einer Splitterversorgung zur Folge hätte. Auch im Rentenfall müssten die Leistungen aus den beiden Versorgungen, insbesondere auch wegen der unterschiedlichen Anpassungsregelungen, immer getrennt voneinander berechnet werden (OLG Hamm II-4 UF 184/12 entgegen OLG Naumburg vom 10.08.2012, 8 UF 9/12, zitiert nach Juris Rz. 35). Selbst wenn, was offen ist, die eigentliche monatliche Auszahlung der Renten im Rentenfall letztendlich durch ein und dieselbe Banküberweisung erfolgen wird, stellte dies neben der ansonsten getrennten Kontenverwaltung nur eine untergeordnete Verwaltungsvereinfachung dar, die einen Ausgleich des geringfügigen Anrechts VBL extra nicht gebietet. Insofern liegt der vorliegende Fall also anders als der Fall, über den der BGH in seiner Entscheidung vom 30.11.2011 (XII ZB 344/10, FamRZ 2012, 192) zu entscheiden hatte, die wiederum das OLG Naumburg seiner Entscheidung vom 10.08.2012 zugrunde gelegt hat. In dem Fall, über den der BGH in der zitierten Entscheidung zu befinden hatte, waren auf Seiten beider Ehegatten Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung auszugleichen, die sich nur insoweit unterschieden, als auch Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung Ost auszugleichen waren. Der Bundesgerichtshof hatte ausgeführt, die Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung West und Ost seien zwar nicht gleichartig, da sie aber jeweils auf ein und demselben Konto des Anwartschaftsinhabers geführt würden und ohnehin ein Ausgleich im Wege der internen Teilung wegen der weiteren, nicht geringfügigen Anrechte der Beteiligten vorzunehmen sei, sei der Verwaltungsaufwand für den Versorgungsträger, der nur Umbuchungen vorzunehmen habe, äußerst gering, so dass der Ausgleich trotz der Geringfügigkeit zu erfolgen habe (BGH, a.a.O., zitiert nach Juris Rz. 42). So liegt der Fall hier aber gerade nicht, wie oben ausgeführt wurde. Die weitere Beteiligte zu 1.) müsste im Falle des Ausgleichs auch der Anwartschaft VBL extra ein weiteres, zusätzliches Konto für den Antragsgegner einrichten, eine Verrechnung bzw. hier Zusammenrechnung der beiden Anwartschaften könnte aufgrund ihrer grundsätzlichen Verschiedenheit nicht stattfinden.

Es handelt sich bei den unterschiedlichen Anwartschaften VBL klassik und VBL extra auch nicht - wie in dem Fall, über den der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 01.02.2012 (XII ZB 172/11, FamRZ 2012, 610) zu entscheiden hatte - um eine einheitliche betriebliche Altersversorgung bzw. - hier - öffentlich-rechtliche Zusatzversorgung, die sich nur aus verschiedenen Bausteinen zusammensetzt, so dass der Anwendung des Geringfügigkeitsprinzips auch diese Entscheidung des BGH nicht entgegensteht. Vielmehr handelt es sich um zwei vollständig voneinander getrennt zu behandelnde Anwartschaften, allerdings bei identischem Versorgungsträger.

Auch eine allgemeine Billigkeitsprüfung im Sinne einer Gesamtbetrachtung ergibt vorliegend keinen ungerechtfertigten Eingriff in den Halbteilungsgrundsatz. Auch insofern liegt der Fall hier anders als in der Entscheidung des BGH vom 01.02.2012 (a.a.O.). Es sind keine Gründe ersichtlich, die es aus Gerechtigkeitserwägungen heraus erforderlich machen würden, das geringfügige Anrecht der Antragstellerin zugunsten des Antragsgegners auszugleichen. Insbesondere ist der Antragsgegner nicht auf den Ausgleich der geringfügigen Anwartschaft angewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG.

Der Beschwerdewert richtet sich nach § 50 Abs. 1 S. 2 FamGKG.

Im Hinblick auf die entgegenstehende Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg vom 10.08.2012 war die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 Ziff. 2 FamFG).

Rechtsbehelfsbelehrung: Gegen diese Entscheidung ist die Rechtsbeschwerde statthaft (§ 70 Absatz 1 FamFG). Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung dieses Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht - Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe - einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten: 1. die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, 2. die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde. 3. Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben.

Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden. Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 S. 5 und 6 der ZPO gilt entsprechend. Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen dort zugelassenen Rechtsanwalt (§ 114 Abs. 2 FamFG) oder unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 3 FamFG durch eine zur Vertretung berechtigte Person, die die Befähigung zum Richteramt hat, vertreten lassen.

Michalik Prof. Dr. Heilmann Wegener