OLG Frankfurt vom 28.07.2006 (1 UF 119/05)

Stichworte: Sorgerecht, Verfahrensdauer
Normenkette: BGB 1671
Orientierungssatz: Es liegt in der Natur kindschaftsrechtlicher Verfahren, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere auch die den Maßstab des Kindeswohls beeinflussenden Faktoren, mit Zeitablauf und damit während des Verfahrens verändern. Diesem Gesichtspunkt kann und muss durch die Ausgestaltung des Verfahrens, insbesondere mit Blick auf die Verfahrensdauer Rechnung getragen werden (vgl. BVerfG, FamRZ 2001, S. 753 ff.), nicht jedoch durch eine den Maßstab des Kindeswohls verlassende Sorgerechtsentscheidung.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 28.07.2006 beschlossen :

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 3.000,00 Euro.

Gründe:

J. ist der gemeinschaftliche Sohn der nicht miteinander verheirateten Parteien. Der Antragsgegner erkannte die Vaterschaft an. Beide Elternteile gaben Sorgerklärungen ab. Sie lebten zunächst in einem gemeinschaftlichen Haushalt, trennten sich jedoch im März 2005. Bei einem gemeinsamen Aufenthalt bei den Eltern der Antragstellerin gab diese entgegen ihrer eigentlichen Absicht vor, mit dem Kind in den gemeinschaftlichen Haushalt zurückkehren zu wollen. Der Antragsgegner reiste daraufhin ab. Seit dem hat das Kind seinen Lebensmittelpunkt bei der Antragstellerin. Der Antragsgegner hat regelmäßig alle 14 Tage von Donnerstag bis Sonntag Umgang mit dem Kind.

Die Antragstellerin hat das erstinstanzliche Verfahren, verbunden mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, unter dem 01. April 2005 eingeleitet. Das Familiengericht hat der Antragstellerin nach Anhörung der Parteien und Einholung einer Stellungnahme des Jugendamtes mit dem angefochtenen Beschluss vom 19. April 2005 das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Erziehung in religiösen Angelegenheiten einschließlich der Vertretung des Kindes in kirchlichen Institutionen und die Vertretung des Kindes gegenüber Behörden sowie schulischen und außerschulischen Einrichtungen (z. B. Kindergarten) alleine übertragen.

Mit der Beschwerde begehrt der Antragsgegner die Abänderung der angefochtenen Entscheidung und die Übertragung der auf die Antragstellerin übertragenen Teilbereiche des Sorgerechts auf sich.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die familiengerichtliche Entscheidung ist nach den Ermittlungen des Senats nicht zu beanstanden.

Hinsichtlich der vom Familiengericht auf die Antragstellerin alleine übertragenen Teilbereiche der elterlichen Sorge entspricht eine Aufhebung der gemeinschaftlichen elterlichen Sorge dem Wohle des Kindes J. am Besten (vgl. § 1671 Abs. 2 Ziff. 2 Hs. 1 BGB). Eine hinreichende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Parteien ist in diesen Teilbereichen der elterlichen Sorge nicht vorhanden. Dies ergibt sich aus der persönlichen Anhörung der Parteien und findet seine Bestätigung nicht zuletzt im Scheitern eines auf Anraten des Senats durchgeführten Mediationsverfahrens.

Auch entspricht die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, die Erziehung in religiösen Angelegenheiten einschließlich der Vertretung des Kindes in kirchlichen Institutionen und die Vertretung des Kindes gegenüber Behörden sowie schulischen und außerschulischen Einrichtungen (z. B. Kindergarten) auf die Antragstellerin alleine dem Wohle des Kindes am Besten (vgl. § 1671 Abs. 2 Ziff. 2 Hs. 2 BGB).

Der Senat geht davon aus, dass beide Elternteile grundsätzlich erziehungsgeeignet sind und das Kind zu beiden Bindungen besitzt, die es zu erhalten gilt. Der Einholung eines ergänzenden Jugendamtsberichts zur Lebenssituation J.s beim Antragsgegner, wie von diesem angeregt, bedarf es vor diesem Hintergrund nicht. Nach Überzeugung des Senats steht aber nach der vorgenommenen Gesamtabwägung aller Umstände insbesondere fest, dass es dem Wohle von J. am Besten entspricht, seinen Lebensmittelpunkt bei der Antragstellerin beizubehalten. Dies ergibt sich bereits aus den bisherigen Ermittlungen, insbesondere der persönlichen Anhörung der Parteien und der Stellungnahme des Jugendamtes. Die Antragstellerin hat ein Betreuungsmodell gefunden, mit welchem es ihr gelingt, ihren Beruf als Krankenschwester mit der Betreuung des Kindes in einer seinem Wohl entsprechenden Weise in Einklang zu bringen. J. ist inzwischen in seinem Lebensumfeld integriert und fühlt sich dort wohl. Nach der Trennung der Parteien und seinem Umzug ist es ihm nicht zuzumuten, den Lebensmittelpunkt und die Lebensumstände, die wesentlich von der Antragstellerin als seine Hauptbezugsperson geprägt werden, erneut zu verändern.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht durch die Umstände der Trennung. Bei der Trennung von Eltern ist denknotwendig eine Entscheidung über den Lebensmittelpunkt gemeinschaftlicher Kinder zu treffen. Können die Parteien sich insoweit nicht einigen, muss gegebenenfalls das Familiengericht entscheiden, bei welchem Elternteil das Kind seinen Lebensmittelpunkt haben wird. Ein entsprechendes Verfahren hat die Antragstellerin unverzüglich eingeleitet. Denn sie hat den Antrag nach der Trennung der Parteien am 30./31. März 2005 noch unter dem 01. April 2005 beim Familiengericht eingereicht. Unbeschadet dessen liegt es in der Natur kindschaftsrechtlicher Verfahren, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere auch die den Maßstab des Kindeswohls beeinflussenden Faktoren, mit Zeitablauf und damit während des Verfahrens verändern. Diesem Gesichtspunkt kann und muss durch die Ausgestaltung des Verfahrens, insbesondere mit Blick auf die Verfahrensdauer Rechnung getragen werden (vgl. BVerfG, FamRZ 2001, S. 753 ff.), nicht jedoch durch eine den Maßstab des Kindeswohls verlassende Sorgerechtsentscheidung.

Schließlich verlangt auch das Förderungsprinzip nach keiner anderen Betrachtung. Die Antragstellerin ist in der gebotenen Weise bereit und fähig, den Kontakt des Kindes zum Antragsgegner zu fördern und zu unterstützen. Mit Blick auf das Alter des Kindes und die Umstände dieses Falles vermag der Senat bei der derzeitigen Ausgestaltung des Umgangs keinerlei Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass die gebotene Bindungstoleranz der Antragstellerin eingeschränkt wäre. Vielmehr orientiert sie sich nach Überzeugung des Senats auch insoweit in sachgerechter Weise am Kindeswohl.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 131 Abs. 3 KostO und § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG. Nach der letztgenannten Vorschrift sind dem Antragsgegner die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen, denn er hat diese durch sein unbegründetes Rechtsmittel veranlasst.

Dr. Heilmann