OLG Frankfurt vom 04.11.1999 (1 UF 107/99)

Stichworte: Weitergeltung, Übergangsbestimmungen, Sorgerecht bei Trennung
Normenkette: BGB 1671, 1672 a.F.
Orientierungssatz: Zur Weitergeltung einer Sorgerechtsentscheidung nach § 1672 a. F. über den Zeitpunkt der Scheidung hinaus.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Antragstellerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Weilburg vom 19. März 1999 am 4. November 1999 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Ausspruch zur elterlichen Sorge abgeändert:

Der Antrag des Vaters auf Änderung der Sorgerechtsregelung im Beschluß des Amtsgerichts Weilburg vom 9. 5. 1997 (25 F 716/94 SO) wird zurückgewiesen. Die elterliche Sorge für die Kinder X. und Z. verbleibt alleine der Mutter.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszugs verbleibt es bei der Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil.

Beschwerdewert: 1.500,-- DM.

Gründe:

Das Amtsgericht Weilburg hat in einem früheren Verfahren die elterliche Sorge für die Kinder der seit 1994 getrenntlebenden Parteien mit Beschluß vom 9. Mai 1997 auf die Mutter übertragen. Seine hiergegen gerichtete Beschwerde (OLG Frankfurt am Main 1 UF 157/97) hat der Vater zurückgenommen, nachdem die Eltern im Termin vor dem beauftragten Richter des Senats eine Vereinbarung getroffen hatten, wonach die Mutter bei wichtigen Entscheidungen der Kinder vorher dem Vater Gelegenheit gibt, seine Vorstellungen dazu einzubringen.

Durch das angefochtene Verbundurteil hat das Amtsgericht die Ehe der Parteien geschieden, den Versorgungsausgleich geregelt und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder auf Antrag der Mutter mit Zustimmung des Vaters der Mutter übertragen. Weitergehende Anträge der Mutter, es bei der alleinigen elterlichen Sorge für sie zu belassen, hat das Amtsgericht zurückgewiesen.

Mit ihrer Beschwerde erstrebt die Mutter die Übertragung der elterlichen Sorge auf sie in vollem Umfang.

Die alle Form- und Fristerfordernisse wahrende Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Dem Antrag des Vaters, mit Ausnahme des Aufenthaltsbestimmungsrechts beiden Eltern die elterliche Sorge zu übertragen bzw. zu belassen, konnte nicht stattgegeben werden. Das Amtsgericht Weilburg hatte bereits nach § 1672 BGB in der bis 30. 6. 1998 geltenden Fassung die elterliche Sorge für beide Kinder in dem früheren Verfahren der Mutter übertragen. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Amtsgerichts, daß diese Entscheidung mit Rechtskraft des Scheidungsausspruchs auslaufen würde. Allerdings war dies bis zum 30. Juni 1998 bei Entscheidungen nach § 1672 BGB der Fall. Im Fall der Scheidung hatte das Familiengericht nach der damals geltenden Rechtslage nach § 1671 BGB eine neue Entscheidung über die elterliche Sorge von Amts wegen zu treffen, auch wenn bereits eine Entscheidung nach § 1672 BGB ergangen war. Mit Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes ist die Aufspaltung der Sorgerechtsregelung in eine Entscheidung für die Dauer des Getrenntlebens und für die Zeit nach der Scheidung aufgehoben. Nach Trennung der Eheleute erfolgt jetzt auf Antrag eine Regelung der elterlichen Sorge nach § 1671 BGB neuer Fassung. Eine erneute Entscheidung im Fall der Scheidung von Amts wegen ergeht nicht. Welche Konsequenzen dies für Entscheidungen hat, die noch nach altem Recht nach § 1672 BGB ergangen sind, ist in der Rechtsprechung umstritten. Die Auffassung des Amtsgerichts Weilburg, wonach eine solche Entscheidung mit der Scheidung ausläuft, wird unter anderem geteilt vom Oberlandesgericht Köln (FamRZ 1999, S. 613), OLG Nürnberg (FamRZ 1999, S. 614) und OLG Hamm (FamRZ 1999, S. 803). Die Gegenmeinung, daß die nach § 1672 BGB alter Fassung getroffene Entscheidung aufgrund der seit 1. 7. 1998 geltenden Rechtslage über eine Scheidung hinaus fortwirkt, wird unter anderem vertreten vom OLG Stuttgart (FamRZ 1999, S. 804) und vom 6. Familiensenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (FamRZ 1999, S. 612). Der Senat schließt sich der letztgenannten Entscheidung an. Bei der Beurteilung dieser Frage kann es nicht im einzelnen darauf ankommen, welchen genauen Wortlaut der Tenor der nach § 1672 BGB alter Fassung getroffenen Entscheidung hat. Im vorliegenden Fall hatte das Amtsgericht Weilburg im Beschluß vom 9. 5. 1997 die elterliche Sorge für die beiden Kinder ausdrücklich für die Dauer des Getrenntlebens der Mutter übertragen. Dies entsprach einer vielfach geübten Praxis. Zum Teil hat die Praxis bei Beschlüssen nach § 1672 BGB alter Fassung demgegenüber nur so tenoriert, daß die elterliche Sorge übertragen wird. Inhaltlich macht dies keinen Unterschied aus. Da eine Übergangsregelung zu dieser Frage im Kindschaftsrechtsreformgesetz nicht enthalten ist, muß der zeitliche Geltungsbereich einer nach Trennung der Eltern getroffenen Entscheidung nach § 1672 BGB alter Fassung am jetzt geltenden Recht gemessen werden. Bedenken dagegen, daß damit eine im Grunde vorläufige und unter dem Vorbehalt einer endgültigen Entscheidung stehenden Regelung zu einer Regelung aufgewertet würde, die nur noch unter den besonderen Voraussetzungen des § 1696 BGB geändert werden könnte (so OLG Nürnberg, a.a.O.), kann dadurch Rechnung getragen werden, daß die Schwelle für eine Abänderung nach § 1696 BGB niedrig angesetzt wird. Dabei kann dem Gesichtspunkt, daß nach damaligem Recht in der Regel eine Überprüfung der Entscheidung im Scheidungsverfahren zu erwarten war, Rechnung getragen werden.

Im konkreten Fall spielt die Streitfrage für die Entscheidung, wer künftig Inhaber der elterlichen Sorge für die beiden Kinder sein soll, indessen keine ausschlaggebende Rolle. Denn auch vom dogmatischen Standpunkt des Amtsgerichts her, daß der seinerzeit ergangene Sorgerechtsbeschluß mit der Scheidung auslaufe, ist es im Ergebnis erforderlich, daß die elterliche Sorge für beide Kinder alleine bei der Mutter verbleibt. Soweit es um das Aufenthaltsbestimmungsrecht geht, folgt dies daraus, daß der Vater insoweit dem Antrag der Mutter zustimmt (§ 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Soweit es um die übrige elterliche Sorge geht, entspricht es dem Wohl der Kinder am besten, wenn sie alleine bei der Mutter verbleibt (§ 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

Der Senat folgt dem Amtsgericht darin, daß nicht jedwede Spannungen zwischen den Eltern zur Folge haben müssen, daß eine gemeinsame Sorge auch in Teilbereichen ausgeschlossen ist. Es kommt vielmehr im Einzelfall darauf an, wie sich eine gemeinsame Sorge in Teilbereichen auf das Kind auswirken würde. Im vorliegenden Fall hat die Vergangenheit gezeigt, daß eine gemeinsame Sorge, in welchem Bereich auch immer, dem Wohl der Kinder abträglich wäre, da die Eltern eine solche Regelung dazu benutzen würden, ihre Streitigkeiten weiter zu Lasten der Kinder auszutragen. Beredtes Beispiel dafür liefert der Vorfall am 24. 9. 1998 auf dem Elternabend der Schulklasse, die die Tochter Elena damals besuchte. Abgesehen davon, daß nur die Mutter als - damals - allein sorgeberechtigter Elternteil wahlberechtigt bei den Wahlen zum Elternbeirat war (§§ 100 Nr. 1, 102 Abs. 1 Hessisches Schulgesetz), zeigen die Vorgänge dort, daß die Eltern bisher nicht in der Lage sind, auch nur einen Teilbereich der elterlichen Sorge zum Wohl der Kinder gemeinsamen auszuüben. Wenn der Vater, obwohl nicht sorge- und damit nicht zum Elternbeirat wahlberechtigt, es so weit kommen ließ, daß die anderen Eltern abgestimmt haben, wer wählen soll, so hat er damit sich und die Mutter der Kinder in einer Weise bloßgestellt, die auch Rückwirkungen auf die Tochter Elena haben konnte, etwa durch Berichte anderer Eltern gegenüber ihren Kindern, mit der Folge, daß sich so etwas in der Klasse des Kindes leicht herumsprechen kann. Der Senat kann auch nicht davon ausgehen, daß dies ein einmaliger Vorfall war. In der Vergangenheit hat es wiederholt Meinungsverschiedenheiten gegeben, die die Eltern nicht lösen konnten. So haben die Eltern in dem früheren Verfahren vor dem beauftragten Richter des Senats übereinstimmend erklärt, daß es bei der Einschulung von X. Meinungsverschiedenheiten darüber gab, ob er ins erste Schuljahr oder zunächst in eine Vorschulklasse gehen sollte. Durchgesetzt hat sich damals der Vater. Bei der Art und Weise, wie die Eltern miteinander umgehen, kann hieraus jedoch nicht geschlossen werden, daß die Eltern in konstruktiver Diskussion einvernehmlich eine Lösung gefunden haben, sondern daß sich der Vater gegen den Willen der Mutter durchgesetzt hat. Dieses Verhaltensmuster zeigt sich auch im Ablauf des Besuchswochenendes vor dem Termin vor dem beauftragten Richter des Senats im vorliegenden Verfahren Ende Oktober 1999. Der Vater hat die Kinder nicht, wie in der gerichtlichen Umgangsregelung vorgesehen, sonntagabends zurückgebracht, sondern sie bis zu dem Anhörungstermin am Montag bei sich behalten. Er hat dies der Mutter zwar am Sonntagabend telefonisch mitgeteilt, räumt aber ein, daß diese damit nicht einverstanden war. Umgekehrt gelingt es der Mutter sich dort durchzusetzen, wo sie "am längeren Hebel sitzt", wie das Besuchswochenende im Oktober 1998 zeigt, bei dem Elena wegen des anstehenden Handballspiels nicht zum Vater ging. Insgesamt sind Verhaltensmuster bei beiden Eltern gegeben, die nicht erwarten lassen, daß die Ausübung einer gemeinsamen elterlichen Sorge auch in Teilbereichen dem Kindeswohl dienlich wäre.

Das Amtsgericht geht in der angefochtenen Entscheidung allerdings ebenfalls davon aus, daß es bei einer elterlichen Sorge wegen der fehlenden Kooperationsbereitschaft beider Eltern Probleme geben würde. Insoweit ist das Amtsgericht der Auffassung, daß die Möglichkeit, dann das Familiengericht im konkreten Fall anzurufen, ausreiche, um die sich daraus ergebenden Bedenken auszuräumen. Der Senat teilt indessen nicht die Auffassung des Amtsgerichts, daß § 1671 BGB gebiete, eine vorprogrammierte Anrufung des Familiengerichts wegen fehlender Einigungsbereitschaft der Eltern in wichtigen Angelegenheiten hinzunehmen. Derartige Verfahren würden dann zu einer erneuten Belastung der Kinder führen, was nicht in deren Interesse sein kann.

Angesichts der Tatsache, daß die konkreten Umstände eine Alleinübertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter gebieten, kann offen bleiben, ob die gemeinsame elterliche Sorge nach Trennung und Scheidung nach der Neuregelung des § 1671 BGB einen gesetzlichen Regelfall darstellt (so das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluß) oder ob das nicht der Fall ist (so OLG Frankfurt am Main - 3. Senat für Familiensachen, FamRZ 1999, S. 392).

Die Kostenentscheidung und die Wertfestsetzung folgen aus §§ 93 a ZPO, 12 GKG.

Dr. Eschweiler Juncker Noll