OLG Frankfurt vom 19.03.2019 (1 SV 5/19)

Stichworte: Zuständigkeit, örtliche; Zuständigkeit, internationale; Zuständigkeit, Bindungswirkung; perpetuatio fori; Stufenverfahren, Verfahrensgegenstand
Normenkette: AUG 28; EuUnthVO 3; EuUnthVO 9; ZPO 36 Abs. 1 Nr. 6; ZPO 261 Abs. 3 Nr. 2; ZPO 281 Abs. 2 S. 4
Orientierungssatz:
  • Der Auskunftsantrag im Stufenverfahren und der Leistungsantrag bilden keine unterschiedlichen Verfahrensgegenstände, so dass Anspruchsidentität besteht.
  • Einer Verweisung eines Verfahrens entgegen dem in den Verfahrensordnungen der ZPO und des FamFG seit jeher verankerten Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) fehlt jegliche Rechtsgrundlage, so dass die Verweisung keine Bindungswirkung entfaltet.
  • 461 F 25017/19 UK
    Amtsgericht Frankfurt/Main

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Zuständigkeitsbestimmungssache

    pp.

    hat das Oberlandesgericht am Main, 1. Senat für Familiensachen, am 19. März 2019 beschlossen:

    Das Amtsgericht – Familiengericht – Wiesbaden ist örtlich zuständig.

    Gründe:

    I.

    Im vorliegenden Verfahren fordert der Antragsteller, vertreten durch die Kindesmutter, von dem Antragsgegner (Kindes-)unterhalt im Wege eines Stufenantrags. Dieser ging am 12.7.2017 bei dem Amtsgericht Wiesbaden ein. Das Amtsgericht hatte zunächst das schriftliche Vorverfahren angeordnet. Der Antragsgegner hat am 31.1.2018 eine Jugendamtsurkunde erstellen lassen, in der er sich – dynamisch - zur Zahlung des Mindestunterhalts verpflichtet hat. Mit Schriftsatz vom 10.4.2018, zugestellt am 20.4.2018, hat der Antragsteller den Leistungsantrag in Form eines Abänderungsantrags gestellt und begehrt neben der Zahlung von Unterhaltsrückständen einen Kindesunterhalt in Höhe von 115 % des Mindestunterhalts.

    Mitte Mai 2018 hat die Kindesmutter zusammen mit dem Antragsteller Deutschland verlassen und ist in die USA zurückgekehrt, wo sie nunmehr dauerhaft wohnhaft ist. Diesen Umstand hat sie dem Gericht zunächst nicht mitgeteilt. Seit Ende August leben die Kindesmutter und das Kind zusammen in Texas.

    Im September 2018 fand bei dem Amtsgericht Wiesbaden ein Verhandlungstermin statt, an dem die Kindesmutter nicht teilnahm. Der Aufenthalt des Kindes und der Kindesmutter wurde diskutiert. Der Antragsgegner behauptete, die Mutter zusammen mit dem Kind lebe schon seit ca. Mai 2018 nicht mehr in Deutschland, sondern in den USA, und zwar das Kind bei seiner Großmutter in Hawaii und die Kindesmutter in Georgia.

    Nach Anhörung der Beteiligten unter Hinweis auf § 28 AUG und auf Antrag des Antragstellers hat das Amtsgericht Wiesbaden das Verfahren mit bekannt gemachtem Beschluss vom 28.1.2019 an das Amtsgericht Frankfurt am Main verwiesen.

    Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es sich wegen des Grundsatzes der perpetuatio fori für unzuständig halte und beabsichtigt sei, das Verfahren dem Oberlandesgericht vorzulegen.

    Mit Beschluss vom 17.2.2019 hat sich das Amtsgericht Frankfurt am Main für unzuständig erklärt und das Verfahren dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt. Zur Begründung führt es aus, der Grundsatz der perpetuatio fori stehe einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit im laufenden Verfahren entgegen und § 28 AUG begründe keine ausschließliche Zuständigkeit. Die Verweisung des Amtsgerichts Wiesbaden sei auch nicht bindend, da sie willkürlich erfolgt sei.

    II.

    1. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO sind gegeben, denn jedes der beteiligten Gerichte hat mit Außenwirkung seine Zuständigkeit verneint und das jeweils andere Gericht für zuständig erachtet (OLG Hamm FamRZ 2016, 1391 = MDR 2016, 333 f. m.w.N.; OLG Frankfurt am Main FamRZ 2017, 236 und FamRZ 2016, 1691 sowie noch zum alten Recht BGH NJW-RR 1996, 1217; FamRZ 1992, 794; NJW 1986, 2058).

    2. Das Amtsgericht - Familiengericht – Wiesbaden ist als das zuständige Gericht zu bestimmen.

    Sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die örtliche Zuständigkeit richten sich hier nach Art. 3 EuUntVO (Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Aufl. 2015, § 9 Rn. 602; Heger, FPR 2013, 1). Vorliegend treffen sowohl Art. 3 lit. a als auch lit. b EuUntVO zu und führen zur örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Wiesbaden, denn bei Anrufung des Gerichts (vgl. Art. 9 EuUntVO) hatten sowohl die berechtigte Person als auch der „Beklagte“, d.h. der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des Familiengerichts Wiesbaden. Dabei ist die EuUntVO grundsätzlich auch im Verhältnis zu Drittstaaten anwendbar (Heger, a.a.O.).

    An dieser einmal, d.h. bei Anrufung des Gerichts gegebenen, örtlichen Zuständigkeit hat sich dadurch, dass der Antragsteller während des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt in die USA verlegt hat, nichts geändert, denn es gilt der Grundsatz der perpetuatio fori gem. § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO (BGH v. 17.4.2013 – XII ZR 23/12 = FamRZ 2013, 1113, juris Rn. 20; Wendl/Dose, a.a.O., Rn. 659). Zwar sieht das Gesetz in den Fällen, in denen ein Beteiligter seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hat, in § 28 AUG eine Zuständigkeitskonzentration vor; danach wäre das Amtsgericht am Sitz des Oberlandesgerichts, in Hessen somit das Amtsgericht Frankfurt am Main örtlich zuständig. Dabei handelt es sich nach der Neufassung des Gesetzes mit Wirkung vom 26.11.2015 allerdings nicht (mehr) um eine ausschließliche Zuständigkeit. Ferner findet der Grundsatz der perpetuatio fori dort seine Grenze, wo ein neuer Verfahrensgegenstand rechtshängig gemacht wird, was auch dann der Fall ist, wenn eine Antragsänderung eintritt (BGH, a.a.O., Rn. 23; OLG Frankfurt am Main v. 23.2.2012 – 1 UF 365710, juris Rn. 32). Für das Verhältnis von Auskunftsantrag im Stufenverfahren und Leistungsantrag gilt insoweit, dass es sich nicht um unterschiedliche Verfahrensgegenstände handelt, sodass Anspruchsidentität gegeben ist (BGH, a.a.O., Rn. 29). Allerdings könnte eine Antragsänderung insoweit gegeben sein, als der Antrag nunmehr, nachdem der Antragsgegner den Mindestunterhalt mit Urkunde vom 31.1.2018 anerkannt hat, sein Begehren im Wege eines Abänderungsantrags gem. § 239 FamFG weiter verfolgt.

    Dies alles kann jedoch dahinstehen, denn die Umstellung des Antrags ist mit dem am 20.4.2018 zugestellten Schriftsatz vom 10.4.2018 erfolgt, und der Antragsteller hat erst danach, nämlich im Mai 2018, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in die USA verlegt.

    Da der hier zu beachtende Grundsatz der perpetuatio fori gem. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO ein in den Verfahrensordnungen sowohl der ZPO als auch des FamFG seit jeher verankerter allgemeiner Grundsatz des Prozess- bzw. Verfahrensrechts ist und der Verweisung vom 28.12.2018 somit jegliche Rechtsgrundlage fehlt (vgl. insoweit Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 281 Rn. 17 m.w.N.), greift ausnahmsweise die Bindungswirkung des § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO nicht ein.

    Prof. Dr. Heilmann Gottschalk Wegener