OLG Frankfurt vom 21.01.2014 (1 SV 1/14)

Stichworte: Zuständigkeitsbestimmung; sonstige Familiensache; Körperverletzung, sonstige Familiensache; Verweisung; Familiensache, Zivilsache;
Normenkette: GVG 17a; FamFG 266;
Orientierungssatz:
  • 1. Seit Inkrafttreten der Regelung des § 17a Abs. 6 GVG ist auch dann nach § 17a Abs. 2 GVG zu verfahren, wenn das vom Antragsteller angerufene Familiengericht die Sache nicht für eine Familiensache hält und die Zuständigkeit der allgemeinen Zivilabteilung des gleichen Amtsgerichts für gegeben erachtet. Das Familiengericht hat über die fehlende Zuständigkeit durch Beschluss zu entscheiden.
  • 2. Wenn ein inzwischen getrennt lebender Ehepartner gegen den anderen Ehepartner deliktische Ansprüche wegen einer vor der Trennung begangenen Körperverletzung geltend macht, handelt es sich um eine sonstige Familiensache i.S.v. § 266 Abs. 1 FamFG.
  • 21 F 683/13
    AG Alsfeld

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Zuständigkeitsbestimmungssache

    hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 05.12.2013 am 21.01.2014 beschlossen:

    Die Verfügung des Familiengerichts vom 11.11.2013, mit welcher das Verfahren an die Zivilabteilung des Amtsgerichts Alsfeld abgegeben wurde, wird aufgehoben.

    Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben.

    Gründe:

    I.

    Die Antragstellerin hat bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Alsfeld im November 2013 einen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen Antrag eingereicht, mit welchem sie den Antragsgegner - ihren inzwischen von ihr getrennt lebenden Ehemann - auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch nimmt. Sie macht geltend, dass es am 13.04.2012 in der ehelichen Wohnung zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten gekommen sei, in deren Verlauf der Antragsgegner sie erheblich verletzt habe.

    Der Familienrichter fertigte am 11.11.2013 einen Vermerk, in dem er ausführte, dass die Zivilabteilung zuständig sei, weil die Beteiligten zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung noch nicht voneinander getrennt lebten. Gleichzeitig verfügte er die Abgabe des Verfahrens an die Zivilabteilung des Amtsgerichts. Der Richter der allgemeinen Zivilabteilung hat unter Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens die Zustellung der Antragsschrift bewirkt und den Beteiligten mitgeteilt, dass er wegen der Höhe des begehrten Schmerzensgeldes die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts für gegeben erachte und einen Verweisungsantrag anrege.

    Mit Schriftsatz vom 05.12.2013 hat der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin die Abgabe an die Zivilabteilung gerügt und hiergegen Beschwerde eingelegt, der vom Familienrichter mit Beschluss vom 16.12.2013 nicht abgeholfen wurde.

    II.

    Die Beschwerde ist in entsprechender Anwendung von § 17a Abs. 4 S. 3 i.V.m. Abs. 6 GVG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

    Durch die mit dem FGG-Reformgesetz geschaffene und am 01.09.2009 in Kraft getretene Regelung des § 17a Abs. 6 GVG ist das Verhältnis der Spruchkörper der allgemeinen Zivilabteilung und des Familiengericht untereinander in bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit neu geregelt worden und wird nun wie bei einer Rechtswegverweisung behandelt. Seitdem ist daher auch im Verhältnis der Spruchkörper des Familiengerichts und der allgemeinen Zivilabteilung des Amtsgerichts nach § 17a Abs. 2 und 4 GVG zu verfahren, wenn das angerufene Familiengericht die Zuständigkeit der allgemeinen Zivilabteilung für gegeben erachtet. Das Familiengericht kann seine fehlende Zuständigkeit - jedoch nur nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - aussprechen und das Verfahren durch Beschluss an die Zivilabteilung verweisen (§ 17a Abs. 2 i.V.m. Abs. 6 GVG), wobei der Beschluss zu begründen ist (§ 17a Abs. 4 S. 2 i.V.m. Abs. 6 GVG) und gegen diesen Beschluss die sofortige Beschwerde eröffnet ist (§ 17a Abs. 4 S. 3 i.V.m. Abs. 6 GVG).

    Die Verfahrensweise des Familiengerichts war fehlerhaft. Die Antragstellerin hat das Verfahren ausdrücklich beim Familiengericht eingeleitet. Wenn das Familiengericht seine Zuständigkeit für nicht gegeben erachtete, hätte es nach § 17a Abs. 2 GVG verfahren und nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheiden müssen.

    Die Beschwerde ist in entsprechender Anwendung des § 17a Abs. 4 S. 3 GVG aber auch dann eröffnet, wenn die Entscheidung verfahrensfehlerhaft in einer anderen Entscheidungsform ergangen ist. Eine gesetzlich geregelte Anfechtbarkeit einer gerichtlichen Entschließung entfällt nicht dadurch, dass das Gericht diese Entschließung in einer vom Gesetz nicht vorgesehene Entscheidungsform getroffen hat.

    Die Beschwerdefrist ist gewahrt. Eine Zustellung der Entscheidung des Familiengerichts vom 11.11.2013 erfolgte nicht. Von der erfolgten Abgabe erhielt die Antragstellerin erst durch die am 25.11.2013 zugestellte Verfügung des Zivilgerichts Kenntnis.

    Auf die zulässige Beschwerde ist die Zuleitung an die Allgemeine Zivilabteilung schon deshalb aufzuheben, weil sie verfahrensfehlerhaft erfolgte.

    Darüber hinaus teilt der Senat aber auch nicht die Beurteilung des Familiengerichts, es sei unzuständig. Es handelt sich um eine sonstige Familiensache (§§ 111 Nr. 10, 266 FamFG).

    Das Tatbestandsmerkmal des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG "im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung" ist weit auszulegen (BGH, FamRZ 2013, 281). Auf der Grundlage dieses Maßstabs handelt es sich auch dann um einen Anspruch im Zusammenhang mit der Trennung i.S.v. § 266 Nr. 3 FamFG, wenn die streitgegenständliche Tätlichkeit zu der nachfolgende Trennung geführt hat, mithin der Trennungswunsch eines Ehegatten seine Ursache (auch) in dieser Auseinandersetzung hatte.

    Die Sache wäre aber auch selbst dann eine sonstige Familiensache, wenn ein solcher Zusammenhang mit der nachfolgenden Trennung fehlen sollte. Denn Schadensersatzansprüchen der Ehegatten untereinander, die als Folge häuslicher Gewalt vor der Trennung entstanden sind, aber erst nach der Trennung geltend gemacht werden, fallen - auch mit Blick auf das besondere Achtungs- und Rücksichtnahmegebot des § 1353 Abs. 1 BGB, das durch Tätlichkeiten der Ehegatten gegeneinander verletzt wird (Palandt-Brudermüller, § 1353 BGB Rdn. 10) - unter § 266 Abs. 1 Nr. 2 FamFG (vgl. auch Erbarth, Münchener Kommentar zum FamFG, 2. Aufl. 2013, § 266 FamFG, Rdn. 142).

    Das von der Antragstellerin angerufene Familiengericht darf seine Zuständigkeit daher nicht mit der Begründung verneinen, es handele sich um keine Familiensache.

    Gerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind mit Blick auf die unrichtige Sachbehandlung des Familiengerichts nicht zu erheben.

    Michalik Prof. Dr. Heilmann Grün