Liebe Kolleginnen, Kollegen, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte,
... Spaß beiseite, es handelt sich nämlich um eine fürwahr traurige Angelegenheit, weil unsere beiden höchsten Gerichte in dieser wichtigen Frage leider beide keinen Ruhm angehäuft haben.
Der BGH nicht, weil er sich mit seinem Begriff von den "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen" in der Tat der Kritik ausgesetzt hat, die Unterscheidung zwischen Bedürftigkeit, Bedarf, Leistungsfähigkeit und Rangfolge aufgehoben zu haben! Jedenfalls dann, wenn der geschiedene Ehegatte (wie früher nach § 1582 BGB meistens) auch nach neuem Recht noch vorrangig ist, wirkt es sich eben auch tatsächlich zu seinem Nachteil aus, dass der nachrangige Ehegatte nach dieser Theorie auf der Bedarfsebene in die Dreiteilung einbezogen wird, obwohl der nachrangige zweite Ehegatte den Bedarf des ersten nicht ohne weiteres schmälern dürfte. Diese Fälle sind nach Änderung des § 1582 BGB zwar seltener geworden, aber hier ist die Kritik am BGH-Modell berechtigt, denn er hat eben nicht nur vereinfachend Bedarf und Leistungsfähigkeit bei der Berechnung "vereinheitlicht", sondern tatsächlich auch das Ergebnis zum Nachteil des Vorrangigen verändert. Der Rang spielte beim BGH nur an der Grenze des Selbstbehalts eine Rolle. Konsequent hat der BGH zuletzt auch wiederholt entschieden, dass vorrangige minderjährige Kinder nur den Mindestbedarf bekommen, wenn andernfalls für nachrangige Ehegatten ein Mangelfall entsteht. Auch dies müsste nun wieder neu hinterfragt werden.
Das BVerfG hatte nun zwar offenbar einen solchen (heute selteneren) Fall eines nach § 1609 BGB vorrangigen ersten Ehegatten (24 Jahre Ehe) und eines neuen nachrangigen Ehegatten (jetzt zwei Jahre verheiratet, Rentnerin). Allerdings muss man sich das mühsam aus dem Sachverhalt selbst erschließen. Insoweit hätte sich das BVerfG damit begnügen können und müssen, diesen Fall zu lösen und nur für diesen Fall nach seiner Auffassung auch das Dreiteilungsmodell zu kippen.
Das BVerfG stellt aber auf den in seinem Fall wohl gegebenen Vorrang gar nicht weiter ab, sondern schließt undifferenziert seine gesamten theoretischen Ausführungen gegen die Dreiteilung ungeachtet der Rangfrage an.
Spätestens da muss man nun umschwenken und das BVerfG kritisieren. Das BVerfG hat sich nämlich nirgendwo damit befasst, wie bei zwei gleichrangigen Ehegatten (hier z. B. bei einer zweiten Ehefrau mit kleinem Kind aus dieser Ehe), deren Bedarf tatsächlich jeweils nach der Halbteilung ermittelt wird (!!), die anschließende Konkurrenz auf der Leistungsfähigkeitsebene aufzulösen ist. Dieses Rechenbeispiel findet sich bei www.hefam.de unter Nr. 15.5 und bei Büttner/Niepmann/Schwamb Rdn. 52). Es ist doch völlig klar, dass nicht beide Ehefrauen ihren vollen Bedarf durchsetzen können. Man kommt doch deswegen in diesen Fällen nicht umhin, auf der Leistungsfähigkeitsebene den jeweils errechneten Unterhaltsbedarf für einen Ehegatten als Verbindlichkeit des Pflichtigen in die Berechnung für den anderen Ehegatten einzustellen. Hier trifft voll und ganz die Auffassung des BGH zu, dass es sich bei der Dreiteilung, zu der diese Berechnungsform nach mehreren Annäherungsrechnungen automatisch führt, nur um eine Vereinfachung der Berechnung von Bedarf und Leistungsfähigkeit handelt. Dies wird nun vom BVerfG offenbar verkannt, das generell eine krasse Verletzung des § 1578 BGB feststellt, ohne diese Zusammenhänge auch nur zu erörtern. Völlig falsch ist der Vorwurf des BVerfG, der BGH habe den Erstehegatten benachteiligt, indem er seinen Anspruch einseitig auf das Maß der ehelichen Lebensverhältnisse nach oben begrenzt. Der BGH hat auch nie vertreten, dass der zweite Ehegatte mehr als das Ergebnis der Halbteilung bekommen soll. Es ist eben ein Element der Leistungsfähigkeit, dass der Kuchen bei mehreren Berechtigten insgesamt für alle nur noch kleinere Stücke hergibt. Bringt die zweite Ehefrau so viel ein, dass sie keinen Restbedarf mehr hat, ist es doch völlig klar, dass die erste Ehefrau genau ihren Bedarf aus der ersten Ehe (aber auch nicht mehr) erhält.
Richtig schlimm wird es aber in Rdn. 71 der BVerfG-Entscheidung, wenn dort steht, dem unterhaltsberechtigten (Erst-)Ehegatten bleibe die richterliche Prüfung versagt, ob der Unterhaltspflichtige ..."beispielsweise infolge nicht prägender nachehelicher Einkünfte, in der Lage ist, ihm Unterhalt in Höhe des ermittelten Bedarfs zu gewähren." Genau das Gegenteil hat der BGH - wenn auch insoweit im Widerspruch zu seiner Theorie, vgl. dazu Büttner/Niepmann/Schwamb Rdn. 52 , S. 29 - wiederholt entschieden (BGH FamRZ 2009, 411 = NJW 2009, 588 - Tz. 33, 34 und FamRZ 2009, 579 = NJW 2009, 1271).
Und wie soll nun entschieden werden, wenn die zweite Ehefrau mit Kind gemäß §§ 1570, 1609 BGB der ersten Ehefrau (keine lange Ehe ohne Kind) gegenüber vorrangig ist? Obwohl das BVerfG (unnötigerweise, s. o.) über seinen Fall hinaus allgemeine Grundsätze zu § 1578 BGB aufgestellt hat, hat es diesen Fall nach seiner gesamten Argumentation womöglich gar nicht im Blick gehabt.
Man kann es leider nicht anders formulieren, als dass nun BGH und BVerfG gemeinsam einen Scherbenhaufen hinterlassen haben, der wohl nur vom Gesetzgeber wieder zusammen gefügt werden kann. Für die Rechtsprechung gibt es derzeit keine wirklich handhabbare Regelung mehr. Vielleicht nimmt der Gesetzgeber dann auch noch gleich den ebenso unkalkulierbar gewordenen § 1570 BGB mit ins Visier.
Nachdenkliche Wochenendgrüße ...
Werner Schwamb