Das goldene Zeitalter

- von Richter am Amtsgericht i.R. Spangenberg -

 

Das Amtsgericht in Altenfelde hat von der Öffentlichkeit unbemerkt die PCs entsorgt, seine Räume zur Computerfreien Zone erklärt und die alten Stempel und Stempelkissen wieder hervorgeholt. Alle Betroffenen haben die Maßnahme begrüßt. Hier einige Stimmen.

Der Amtsgerichtsdirektor: „Wir blicken in der Justiz auf eine mehr als 100jährige Tradition in der Verwendung von Stempeln zurück. Stempel sind technisch ausgereift. Sie genießen ein hohes Maß an Akzeptanz in der Bevölkerung. Seit wir wieder stempeln, hat sich das Arbeitsklima in unserem Gericht deutlich verbessert. So etwas wie Aufbruchsstimmung ist zu spüren, Altenfelde vorn“!

Die Vorzimmerdame: „Sie glauben nicht, wie mein Ansehen gestiegen ist, seit ich mit „Amtsgerichtsdirektor i.V.“ unterstempele. Das rote „eilt sehr“ macht mehr Dampf als jede Strafdrohung aus dem Computer. Wenn ich den Stempel „streng vertraulich“ verwende, fühlt sich der Empfänger geehrt. Den Stempel „wir sind umgezogen“ setze ich gegen Querulanten ein.

Der dienstälteste Richter: „Es geht nichts über die alten Hartholzstempel aus den siebziger Jahren. Sie sind schwer, liegen gut in der Hand und sind doch formschöner als alles, was danach kam. Die einzige sinnvolle Neuerung ist das Vierfarbenstempelkissen“.

Ein Zivilrichter: „ Wesentliches Problem der Rechtsfindung ist es, möglichst fehlerfrei zu arbeiten. Durch Mängel des PC, durch solche der für uns entwickelten Programme und durch mangelnde Professionalität am PC entsteht eine hohe „Vorschaltfehlerquote“, noch ehe das erste Rechtsproblem bedacht ist. Nachdem die Vorschaltfehlerquote inzwischen auf Null gesunken ist, kann ich mich wieder meiner eigentlichen Aufgabe widmen. Ich erhoffe mir von der Wiedereinführung der Stempel einen deutlichen Rückgang der Richterbeschimpfungen.

 Der Geschäftsleiter: „Nach der Umstellung habe ich alle zur Stempelführung berechtigten Bediensteten in Gebrauch, Wartung und Verwahrung von Stempeln und Stempelkissen eingewiesen. Das hat 5 Minuten gedauert. Seitdem funktioniert alles reibungslos“.

Eine Justizsekretärin: „An die Stelle des Wustes an Formularen sind drei Stempel getreten, ein goldenes Zeitalter. Einmal hat im Nachbarzimmer jemand darüber geklagt, ich würde wohl meinen heimischen Frust am Stempelkissen auslassen. Die wissen, ich bin eine temperamentvolle Frau“.

 Der Sprecher des Personalrates: „Bei der Versteigerung ausgemusterter Stempel im Rahmen der diesjährigen Weihnachtsfeier konnten 113 € erlöst werden. Den höchsten Preis erzielte der Stempel „Den Beteiligten soll weder eine Ausfertigung des Erbscheines noch eine Abschrift erteilt werden“ (6 €) gefolgt von „Unterstreichungen gelten als gerötet“ (5,60  €). Wir werden den Erlös einem Besuch des Gutenbergmuseums verwenden“.

Ein Zeuge: „Seitdem im Gericht wieder Stempel benutzt werden, finde ich auf Anhieb das Datum meiner Ladung“.

Der Justizminister: „Für eine Total-Ent-PC-isierung der Justiz nach Altenfelder Vorbild ist es sicher noch zu früh. Dass der Wiedereinführung von Stempeln die Zukunft gehört, beweist der rasante Absatz, den die ins Angebot der Firma Tschibo aufgenommenen Stempelsets finden. Die Landesregierung wird die weitere Entwicklung in Altenfelde aufmerksam beobachten.