Bezirksrichterrat: Forderungen weitgehend erfüllt ?

Kollege Sagebiel, Mitglied des Bezirksrichterrats für den Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, hat sich im "NRV-Hessen-Info Januar 2003" in einem Interview zu dem Abschluss einer Dienstvereinbarung des Bezirksrichterrats mit dem Hessischen Ministerium der Justiz (HMdJ) über die EDV-Ausstattung in den Gerichten und die Inbetriebnahme des EDV-Netzes zufrieden geäußert (NRV Hessen Info, S.20). Die Forderungen (der Richterschaft ?) seien weitgehend erfüllt worden.

Hingegen sind mir Forderungen des Bezirksrichterrats in dieser Hinsicht unbekannt geblieben. Aus der verlautbarten Vereinbarung (NRV-Info, aaO.) kann nicht geschlussfolgert werden, welche Ziele der Bezirksrichterrat bei den Verhandlungen verfolgt hat. Es wird aber genügend deutlich, dass der Bezirksrichterrat das Ende der mit der Gewaltenteilung nicht in Einklang zu bringenden Administration der PC-Arbeitsplätze der Richter in Hessen nicht anstrebt (und auch nicht das Ende der fortwährenden Verletzung einfachrechtlicher Bestimmungen in diesem Zusammenhang). Vielmehr gestattet der Bezirksrichterrat dem HMdJ für die Dauer zweier (weiterer) Jahre die Fortsetzung der Missachtung der Gewaltenteilung, ohne wenigstens zugleich zu fordern, dass dieser Missstand künftig beseitigt wird.

Der Bezirksrichterrat vertritt die kollektiven Interessen der Richterschaft. Zu seinen Aufgaben gehört aber auch die Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit und weiterer Verfassungsgrundsätze, die zu deren Wirksamkeit notwendig beitragen. Richterliche Unabhängigkeit hat nicht das Ziel, der Richterschaft Privilegien oder auch nur technische Erleichterungen zu sichern, sondern ist Voraussetzung und Wirksamkeitsprinzip des demokratischen Rechtsstaats. Der Verpflichtung, diese Interessen zu verteidigen, hat der Bezirksrichterrat nicht genügt. Das Interview des Kollegen Sagebiel müsste eigentlich folgende Überschrift tragen: "Nichts erreicht, weil nichts verstanden".

Worin besteht der Verstoß gegen die Gewaltenteilung bei der konkreten Vernetzung der Richterarbeitsplätze in Hessen ?

Sie besteht in der Einschaltung der dem Hessischen Ministerium des Innern zugeordneten Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) zur Fernwartung der Richterarbeitsplätze und schränkt damit auch die richterliche Unabhängigkeit unzulässig ein (Art. 97 Abs. 1 GG). Diese Auffassung vertritt auch der Datenschutzbeauftragte des Landes Hessen und gibt diese Meinung unablässig kund, zuletzt auf der vom HMdJ durchgeführten Modernisierungskonferenz in Frankfurt am Main. Das HMdJ ist selbst der Auffassung, dass der derzeitige Stand der Vernetzung die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt und den Gewaltenteilungsgrundsatz verletzt. Die gemeinsame Arbeitsgruppe von Mitarbeitern des Hessischen Datenschutzbeauftragten und Mitarbeitern des Hessischen Ministeriums der Justiz fasst die Problemstellung in ihrem Abschlußbericht vom 26.06.2002, unterschrieben von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe, am Ende so zusammen:

"Bei dieser Sachlage hält die Arbeitsgruppe die Belange der Gewaltenteilung und der richterlichen Unabhängigkeit für am Weitestgehenden gewahrt, wenn die für die Systembetreuung der Justiz zuständigen Betriebsteile der HZD organisatorisch der Justiz eingegliedert würden."

Jedermann weiß, dass die HZD weiterhin rechtlich zum Innenministerium gehört und eben nicht in die Justiz (besser: in die Justizverwaltung, die "Justiz" ist bereits durch die Paulskirchenverfassung abgeschafft worden) eingegliedert ist. Dann kann doch die Erkenntnis nicht fehlen, dass dieser Zustand auch vom Justizministerium für rechtswidrig gehalten wird. Warum fordert der Bezirksrichterrat dann nicht, was der (richtigen) Erkenntnis des Verhandlungspartners entspricht ?

Stattdessen verpflichtet der Bezirksrichterrat den HMdJ in Ziff. 6. der Dienstvereinbarung zu rechtlich unmöglichem Verhalten:

" 6. Das HMdJ stellt sicher, dass die mit der Administration des Justiz-Netzes befassten Bediensteten der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) zur Geheimhaltung justizieller Daten - auch gegenüber dem grundsätzlich die Dienst- und Fachaufsicht über die HZD ausübenden Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport (HMdIuS) - verpflichtet sind."

Eine solche Verpflichtung läuft ins Leere. Denn der Justizminister kann das Weisungsrecht des Innenministers nicht so aufheben (lassen), das die verfassungsrechtliche Schranke auf diese Weise gewahrt würde. Der Innenminister ist aufgrund seines Weisungsrechts jederzeit in der Lage, die Bestimmung zu unterlaufen. Aus diesem Grund lehnt auch der Datenschutzbeauftragte selbst die "Hilfslösung" als mit der Unabhängigkeit der Justiz nicht vereinbar ab (Protokollnotiz zum Abschlussbericht S. 20 , gemeint ist die richterliche Unabhängigkeit, die "Justiz" ist nicht unabhängig). Zu Recht !

Allerdings verpflichtet der Bezirksrichterrat das HMdJ auch bei der "Hilfslösung" nicht vollständig zu dem, was das HMdJ selbst als notwendig ansieht. Denn die im Abschlussbericht ausdrücklich als "zweitbeste Lösung" beschriebene Vorgehensweise enthält notwendig den Abschluss eines umfassenden Fernwartungsvertrages mit der HZD, der weit über den Gesichtspunkt des Weisungsrechts hinausgeht. Aus dem Abschlussbericht:

"Sollte dieser Vorschlag nicht umgesetzt werden können, hält es die Arbeitsgruppe für die "zweitbeste" Lösung, die Befugnisse der HZD und die Aufsichtsrechte der Justiz in der in dem beigefügten Entwurf des Fernwartungsvertrages vorgeschlagenen Weise zu regeln und den Vertrag zeitnah abzuschließen. (siehe Protokollnotiz)".

Auch hier hat der Bezirksrichterrat - abgesehen von der rechtlichen Unmöglichkeit - nicht einmal das eingefordert, was das HMdJ selbst für nötig hält: Den Abschluss des Fernwartungsvertrages. Dieser ist auch nicht abgeschlossen worden. Ebenso wenig hat das HMdJ bis heute sicherstellen können, dass Ziff. 6. der Dienstvereinbarung umgesetzt wird. Warum wohl ?

Interessenwahrnehmung erfordert nicht nur Flexibilität. Wer eine Niederlage erleidet, muss sich nicht grämen. Er kann die Sache erneut verfechten. Wer aber nicht bemerkt, dass er mehr gibt als von ihm verlangt wird, befindet sich in ziemlich aussichtsloser Lage. Es ist der Eindruck entstanden, dass nicht einmal die Vorlage des HMdJ, die den Verhandlungen über die Dienstvereinbarung zugrunde lag, gründlich gelesen und verstanden worden ist.

Warum schließt sich der Bezirksrichterrat, wenn die technischen und rechtlichen Fragen als "Neuland" schwer zu durchschauen sind, nicht dem Votum der Behörde an, die für die Beurteilung dieser Fragen zuständig und mit entsprechendem Sachverstand in technischer und rechtlicher Hinsicht ausgestattet ist ? Warum verteidigt der Datenschutzbeauftragte die richterliche Unabhängigkeit und warum nicht die Richterschaft durch ihre Mitbestimmungsorgane ?

Auf die sonstigen rechtlichen Probleme (die Nichteinhaltung des Hessischen Datenschutzgesetzes - hier insbesondere des § 4) und deren Nichtberücksichtigung in der Dienstvereinbarung werde ich an anderer Stelle noch eingehen.